21. November 2016 Lesezeit: ~8 Minuten

Bolivien – Ein Abenteuer auf über 3.000 m Höhe

La Quiaca, eine argentinische Grenzstadt auf 3.441 m Höhe. Meine Frau und ich schnallten uns unsere Rucksäcke um und verließen den Bus. Die Luft war dünn, die Sonne brannte und die Menschen bemerkten schnell unsere Hilflosigkeit. Freundlich dirigierte uns eine Frau den Weg zur argentinisch-bolivianischen Grenze. Nur noch ein paar hundert Meter und wir wären in Bolivien.

Frauen mit langen geflochtenen Zöpfen und weit ausgestellten Kleidern rannten unentwegt über eine Brücke an der Grenze und transportierten in großen bunten Tüchern Waren von Bolivien nach Argentinien. Ein Grenzer rief laut und verdeutlichte uns, dass wir unsere Rucksäcke abnehmen und uns einreihen sollten.

Nach den üblichen Formalitäten durften wir einreisen und die bolivianische Grenzstadt Villazón betreten. Auch dort erkannte man uns als „Gringos“ und jede*r versuchte, uns eine Fahrt in eine der nächstgrößeren Städte anzubieten.

Am Busbahnhof rief eine Frau mit lauter Stimme „Tupiza… Tupiza… Tupiza“ und da dies unser erstes Ziel werden sollte, stiegen wir in einen überfüllten „Collectivo“ (Kleinbus). Es gab keine Klimaanlage, die Luft stand und die zunehmende Höhe und der Staub ließen unsere Köpfe schwer werden.

Eine Frau mit Kind auf dem Rücken

Wüste mit Bergen

Als Reisekamera diente uns eine Panasonic Lumix DMC-SZ8 , da die schwere Spiegelreflexkamera nach mehrmaligem Umpacken und Wiegen des Rucksackes zu Hause bleiben musste. Diese Entscheidung fiel nicht leicht, aber machte aus logistischen Gründen Sinn. Jedoch blieb damit auch ein Stück meiner Fotobegeisterung zu Hause.

Plötzlich hielt der „Collectivo“ an, da Demonstrant*innen den Weg versperrten. Die Mitfahrer*innen protestierten zwar und verlangten, dass der Fahrer weiter fahren sollte, doch dieser fuhr nur noch einige Meter bis zu einer verlassenen Tankstelle. Endstation. Rucksäcke auf und zu Fuß ging es weiter nach Tupiza. Dort angekommen, einer kleinen Stadt mitten im Gebirge der kargen Hochebene Altiplano, waren unsere Kräfte aufgebraucht und wir gönnten uns ein Doppelzimmer in einem schlichten Hotel.

Straßenszene

Eine Frau schläft auf der Straße

Ein später Gang durch diese wunderschöne Stadt ließ uns feststellen, dass der Tourismus dort noch nicht wirklich angekommen zu sein schien. Niemand versuchte, uns etwas zu verkaufen, keine*r wollte uns irgendwohin fahren. Wir genossen die Ruhe unter den dort lebenden Menschen und waren fasziniert vom Leben mitten im Hochgebirge, umgeben von vielfarbigen Gebirgsketten, engen Canyons und unberührter Natur soweit das Auge reicht auf knapp 3.000 m Höhe.

Nach zwei Tagen der Akklimatisierung starteten wir eine dreitägige Jeeptour mit dem Ziel Uyuni. Zusammen mit einem Fahrer, einer Köchin, deren Tochter und zwei weiteren Tourist*innen fuhren wir in Richtung Wüste. Die Luft wurde knapper und schnell brachte man uns auf 4.000 m Höhe. Jeder Schritt war mühsam und anstrengend.

Gegen Kopfschmerzen und das Unwohlsein kauten wir zur Betäubung Kokablätter. Etwas ungewohnt, aber es half. Nach etwa sieben Stunden Fahrt durch die Wüste erreichten wir endlich ein kleines Dorf, in dem unsere eher spärliche Unterkunft lag. Die Nacht brach an, die Temperaturen sanken auf um die -20 °C und wir versuchten, zu schlafen.

Karge Landschaft

Lama in der Landschaft

Spätestens hier in der staubigen Wüste mit den heftigen Temperaturschwankungen war ich froh, nicht meine komplette Fotoausrüstung mitgenommen zu haben. Zwar musste ich deutliche Abstriche bei der Qualität der Bilder machen, hatte aber dafür viel mehr Zeit, Situationen und Momente auf mich wirken zu lassen.

Am nächsten Tag ging es weiter und ehe wir uns versahen, waren wir auf 5.000 m über dem Meeresspiegel. Die Erde dampfte, die Sonne brannte, die Luft war dünn, viel zu dünn und mein Körper war dem Zusammenbruch sehr nah. Mir wurde schwarz vor Augen und mein Kopf drohte zu explodieren. Kurze Zeit später und etwa 300 Höhenmeter tiefer bedankte sich mein Körper für den schnellen Aufstieg in eine für Menschen nicht gewöhnliche Höhe und ich musste Bekanntschaft mit der Höhenkrankheit machen.

Die Nacht war qualvoll und mein Körper am Ende, doch Hoffnung war in Sicht, denn höher sollte es nicht mehr gehen. Der Abstieg auf 4.300 m Höhe erleichterte die Regeneration und schon bald konnte auch ich die atemberaubenden Lagunen voller pinkfarbener Flamingos genießen. Mitten in der Wüste, umgeben von Vulkanen, tummelten sie sich zu Hunderten.

Flamingos im Wasser

Haus in der Wüste

Ein Höhepunkt unter vielen dieser Reise durch die Wüste war der Salar de Uyuni, einer der ehemals größten Salzseen der Welt. Pünktlich zum Sonnenaufgang brachte man uns mitten auf den vertrockneten See. Die Schatten der Jeeps schienen bis ins Unendliche zu reichen, als der Tag anbrach. Es war ruhig, still und sehr kalt.

In der touristischen Stadt Uyuni angekommen, war es relativ schwierig, eine Weiterfahrt nach La Paz organisiert zu bekommen. Die für Tourist*innen empfohlene Busfirma war für die nächsten Wochen komplett ausgebucht und so mussten wir auf ein anderes Unternehmen ausweichen. Da auf der Strecke von Uyuni nach La Paz regelmäßig Busse verunglücken, bestanden wir darauf, Fahrer und Bus zu begutachten.

Der Bus hatte noch einigermaßen Profil auf den Reifen, Scheibenwischer und auch Licht schienen zu funktionieren und der Fahrer machte einen nüchternen Eindruck. Wir buchten die Nachtfahrt und warteten. Auf unausgebauten Straßen ging es mit rasantem Tempo durch die Nacht nach La Paz.

Ein Mann arbeitet an einem Haus

Alter Zug in der Wüste

Die Stadt zählt mit zu den größten, höchstgelegenen und am dichtesten besiedelen Städten der Welt. Ein einfacher Spaziergang durch die hektischen Straßen lässt einem das Herz schneller schlagen. Wir mussten aufpassen, nicht überfahren zu werden oder die Orientierung zu verlieren. Enge, steile Gassen, unverputzte Häuser, wirre Stromverkabelungen und maskierte Schuhputzer prägten das Stadtbild. Der Puls der Stadt und die dort lebenden Menschen hinterließen einen bleibenden Eindruck.

Das Elendsviertel von La Paz hat sich weiter westlich ausgedehnt und ist mittlerweile zu einer der am schnellsten wachsenden, aber zugleich auch ärmsten Stadt der Welt geworden – El Alto. Sie liegt auf 4.100 m Höhe und einige Menschen dort scheinen noch nie einen Touristen, geschweige denn seinen Fotoapparat zu Gesicht bekommen zu haben. Aus Respekt vor ihrem Glauben, durch ein Foto ihre Seele verlieren zu können, verzichtete ich auf die Suche nach der perfekten Aufnahme.

Armenviertel

Großstadt

Zudem war Vorsicht geboten, nicht zwangsläufig als Tourist*innen aufzufallen, da die Gegend sehr unsicher war. Wir versuchten, uns so gut es ging in das Stadtbild einzufügen. Trotzdem fühlten wir uns mit unseren Outdoorschuhen fremd und hatten das Gefühl, in eine andere Welt eingetaucht zu sein.

Der unendlich große Wochen- und Schwarzmarkt schenkte uns einen tiefen Einblick in das Leben der Menschen dort. Fernab vom westlichen Luxus sahen wir Menschen, die sich keine Gedanken über Ernährung oder Kleidung machen können oder auch wollen, sondern nehmen müssen, was sie bekommen. Mittendrin wir als Europäer*innen, die wir das alles als Tourist*innen betrachten konnten, um dann die Stadt wieder zu verlassen.

Die uns dargebotenen Momente waren uns zeitweise sehr fremd, jedoch stets berührend und intensiv. Wir waren ergriffen von der Schönheit des Landes, der Einfachheit des Lebens und der Freundlichkeit der Menschen und sind es immer noch. Die wenigen Tage, die wir Zeit hatten, Land und Leute kennenzulernen, haben uns sehr geprägt.

Auch der Verzicht auf eine professionelle Fotoausrüstung zeigte sich für mich im Nachhinein als befreiend, da ich in erster Linie mit den Augen und dem Herzen sehen konnte und nicht mit dem Sucher. Die kleine und einfache Kamera reichte aus, um die für mich wichtigen Momente einzufangen.

12 Kommentare

Die Kommentare dieses Artikels sind geschlossen. ~ Die Redaktion

  1. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich die Leserzahlen auf Kwerfeldein immer weiter verringern. Da hilft es auch nicht sich durch „politisch korrekten Feminismus“ in Form von *innen usw. beliebt zu machen. Ganz ehrlich… das ließt sich furchtbar unnatürlich und ich weiß auch nicht was ihr damit bezwecken wollt. Ich glaube allerdings nicht, dass ihr dadurch die „Stammleser“ halten werden, geschweige denn neue hinzu gewinnt!

    • Neeee, Daniel, neeee! Kwerfeldein gewinnt Neue, wich ich’s bin, gerade weil es so wohltuend anders ist. Meine Lieblingsadresse unterdessen

    • „… ich weiß auch nicht was ihr damit bezwecken wollt“ – ach, wirklich nicht? Denk mal nach, vielleicht kommst du von allein drauf.

      P.S.
      Da wurde sogar noch ein Sternchen vergessen: „keiner wollte uns irgendwohin fahren“ muss ja wohl „keine*r wollte uns irgendwohin fahren“ heißen, oder?
      ;-)

    • Also ich freue mich sehr über das *innen.
      Tatsächlich ist das auch ein Grund von mir und Freund*innen nun doch mal wenigstens etwas Geld an Kwerfeldein zu senden.
      Ich habe täglich mit solchen Texten zu tun und kann dir sagen, dass man sich dran gewöhnt.
      Und etwas drüber stolpern soll man ja auch. Dafür ist das Sternchen ja gedacht.

  2. Sehr spannend, dein Bericht, vor allem auch die vielen kleineren und größeren inneren Konflikte.
    Das Problem mit der Kamera sollte doch heute keins mehr sein: du bekommst doch viele Kompaktkameras und spiegellose Systemkameras mit Pancake-Objektiven, die sehr gute bis sogar herausragende Bildqualität liefern, und trotzdem klein und leicht sind.
    „Aus Respekt vor ihrem Glauben, durch ein Foto ihre Seele verlieren zu können“ – Interessant finde ich, dass in einem anderen Sinn Fotos wirklich „die Seele rauben“. Nicht der einzelne Reisende, aber in dem Moment, in dem Massen von Fotografen kommen, stirbt „die Seele“ des Ortes, des Volkes, deren Authentizität, und der Ort verkommt zu einem Ort von Klischees. Insofern wandelt man da immer auf einem sehr schmalen Grat.
    Dass ihr mit Bussen wie dem „colectivo“ herumreist, finde ich sehr sympathisch. Das unterscheidet den „guten“ Reisenden vom gedankenlosen „Touristen“. Denn Reisen bildet, aber nicht jede Art des Reisens.

    • Vielen Dank Jürgen,

      das ist richtig, heute bekommt man viele gute Kompaktkameras. 2014 sah das noch etwas anders aus. Aber auch eine gute Kompaktkamera hätte ich in einigen Situationen aus Angst vor Diebstahl nicht herausgeholt. Spannender Gedanke, dass „die Seele“ eines Ortes sterben kann. Im „Colectivo“ hatten wir auch sehr interessante Begegnungen. Auf Reisen versuchen wir, so oft es möglich ist, den breiten Weg der Touristen zu verlassen. Das ist nicht immer ganz einfach, aber wenn es klappt, erlebt man ein Land/Region viel intensiver.