Oliver Blohm: Atmen des Moments
An einem warmen Frühlingssonntag begab ich mich mit frisch gebackenem Apfelkuchen zu Oliver Blohm. Unaufgeregt öffnete er mir die Tür, ließ mich herein und bereitete einen leckeren Kaffee zu.
Wir genossen den Platz direkt am Fenster, denn auf dem Balkon verweilte noch die alte Waschmaschine und ließ uns keinen Platz. Zwischen Oliver und mir das Diktiergerät, mit aufgezeichneter Stille, Vogelgezwitscher und Worten.
Oliver, ich muss gestehen, ein Hauptgrund, hier zu sein, ist es, Deine Großbildkamera zu sehen, mit der Du die surrealen und dunklen Portraits auf Polaroid anfertigst.
Da muss ich Dich enttäuschen, die existiert nicht mehr. Ich baue mir gerade eine neue auf.
Wie bitte?
Es gibt da einen Scheich in Qatar, der interessiert sich sehr für Fotografie und wollte dieses Jahr mit einer 8×10-Kamera fotografieren. Über einen Wiener Freund kamen wir zusammen. Ich sollte ihm eine Kamera zusammenstellen, suchte nach Einzelteilen und führte einige unerwartete Gespräche mit Amerika, auch mit einem sehr spannenden Kamerasammler aus Deutschland.
Nun ja, viele gute Einzelteile gibt es einfach nicht mehr frei zugänglich auf dem Markt oder man kommt nur unter erschwerten Bedingungen an sie heran. Die Zeit drängte und am Ende verbaute ich auch Teile meiner Kamera. Und dann war ich 13 Tage in Qatar, fotografierte Sanddünen, Kamele, Pferde und lebte in einer surrealen Welt zwischen Fünf-Sterne Hotel und dem endlosen Nichts der Wüste.
Das muss sehr beeindruckend gewesen sein.
Ich war das erste Mal außerhalb von Europa unterwegs. Ich bin früher nicht viel weiter rausgekommen, kenne das nicht von Zuhause. Meine Eltern haben da eher eine Gartenkultur. Ich bin nahe der Ostseeküste in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Meine Mutter ist ein Mensch mit den Händen im Boden, das ist Ausgleich für sie und mein Vater ist da auch sehr entspannt.
Er freut sich, wenn er ihr ein Vogelhaus oder ein Insektenhotel bauen kann. Sie suchen sich so ihre eigenen Projekte, denn still sitzen können die beiden nicht unbedingt. Mit der Fotografie merke ich, dass ich herumkomme. 90 % meiner Auslandsreisen verdanke ich der Fotografie, sei es durch Aufträge, Ausstellungen, Vorträge, die ich halte oder anderen Veranstaltungen in diesem Zusammenhang.
Du arbeitest ausschließlich analog?
Ja, meine einzige digitale Kamera ist mein Smartphone. Es sei denn, das Projekt, der Auftrag ist nicht analog zu bewältigen, wie zum Beispiel größere Lookbooks, aber mittlerweile werde ich direkt für analoge Arbeiten angefragt.
Das ist ebenfalls beeindruckend, wie kommt’s?
Da muss ich weit ausholen: Zur Schulzeit war ich ein typischer Nerd. Interessierte mich für Computerspiele, aber auch für Kunst, ohne aber bewusst damit umzugehen. Ich besuchte auch den Kunstleistungskurs und war einmal die Woche in der Kunstschule in Schwerin. Eines Tages kam unser stellvertretender Direktor auf mich zu und meinte: „Oliver, Du interessierst Dich doch für Kunst, willst Du nicht das Weihnachtsfest der Schule fotografieren?“ Die Schule hatte gerade eine richtige Spiegelreflexkamera bekommen und wollte mir 10 oder 20 Euro für die Arbeit bezahlen.
Ich sagte natürlich zu und hatte das erste Mal mit 16 Jahren eine richtige Kamera in den Händen – es hat „klick“ gemacht. Da wusste ich, das ist es, das will ich machen. Von Zuhause kannte ich das Fotografieren nicht. Meine Eltern fotografierten mal im Urlaub und fast alle fotografischen Erinnerungen meiner Großeltern sind im Krieg verloren gegangen.
Du wolltest also Fotograf werden?
Nicht sofort, es gab, bevor das alles passierte, noch eine Zwischenstation auf dem Sportgymnasium. Bei einem Leichtathletikturnier in Schwerin kam Jürgen Schult, ehemaliger Olympiasieger im Diskuswerfen und Bundestrainer, auf mich zu und fragte mich, ob ich das intensiver betreiben möchte. Es gab ein Testtraining in Rostock und dann war klar, mein nächstes Ziel ist die Olympiade in Japan.
Nach ein paar Wochen Training konnte ich die Treppen nicht mehr richtig hochgehen. Als Kind bin ich sehr schnell gewachsen, man hätte das körperlich kompensieren können, aber mit vielen Schmerzen und ärztlicher Unterstützung. Und als mir auch mein Trainer mit Mitte vierzig kaum noch Bewegungen ohne Schmerzen zeigen konnte, habe ich schnell gemerkt, dass das nichts für mich ist.
In Rostock hatte ich neben dem Training aber angefangen, intensiver zu zeichnen. Als ich dann wieder Zuhause gewesen bin, bekam ich die Möglichkeit, der erste Schulfotograf zu werden und ich entschloss mich, etwas Kreatives zu machen und habe dann erst einmal ein Praktikum in Lübeck bei einem Fotografen absolviert.
Über ihn kam ich in der bunten Welt der Werbung an. Ich habe mich in Potsdam und Leipzig beworben, Letzteres war etwas naiv von mir. Aber ich hatte mich, auch unter dem Druck meiner Eltern, in Wismar für Kommunikationsdesign beworben. Wismar hat mich auch genommen und meine Eltern waren beruhigt.
In den Semesterferien passierte dann das, was meinen weiteren Lebensweg stark beeinflusste: Die Laborantin unseres Labors war im Mutterschutz, durfte bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausführen und brauchte einen zweiten Assistenten, der wurde ich. Es kam auch noch ein weiterer Fotograf ins Team, der mein Mentor werden sollte. Er brachte mir alles bei, was ich über Fotografie wissen musste, von analog bis digital, von Großbild zu Kleinbild usw.
Initial war dann ein Projekt mit den Namen „SX70 – Negativ“. Innerhalb ein paar weniger Tage produzierte ich meine erste Publikation über das Kombinieren einer SX70 mit Großbildnegativen. Ich hatte Blut geleckt und wusste von da an, wohin ich wollte und gerade habe ich Gänsehaut.
Wir schmunzeln.
Du wolltest nicht in Wismar bleiben?
Ich hatte einen sehr prägenden Sommer. Mir fiel in Wismar die Decke auf den Kopf, man kann dort toll in Ruhe studieren in den Ateliers und Werkstätten, doch ich wollte etwas erleben, wollte raus und ging spontan für sechs Wochen nach Berlin, lebte von der Hand im Mund und stand am Ende abgemagert, mit Glatze und meinem alten Lederkoffer wieder bei meinen Eltern vor der Tür. Dieser Sommer sagte mir: Du musst weiterziehen!
Aber was musst Du?
Ich wollte zu einer bestimmten Professorin an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin. Aber es ging alles schief. Meine damalige Freundin machte mit mir Schluss, die Professorin hatte für das Semester keinen Lehrauftrag, meine Großmutter hatte einen schweren Schlaganfall und Geld hatte ich auch keines mehr, da ich meine Jobs in Wismar ja mit dem Gang nach Berlin aufgegeben hatte. Was folgte, war ein Neuanfang.
Ich habe ein halbes Jahr nichts gemacht, außer mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Habe unter anderem eine Fotostrecke über Geldautomaten gemacht, um wenigstens irgendetwas von denen zu haben.
Ich verstehe, Du hast den sicheren Weg aufgegeben und bist Deinem Gefühl gefolgt, das Dich nun immer weiter treibt. Mittlerweile kannst Du sogar Deine Miete bezahlen und stehst mit einem Cousin des Scheichs von Qatar in der Wüste.
Ich bin sehr froh, wie es gerade läuft. Ich komme viel rum, lerne viele Menschen kennen und arbeite für eine digitale Agentur und darf dort relativ frei über meine Zeit entscheiden und habe so die Zeit für eigene Projekte.
Ja, da war was mit Polaroids und einer Mikrowelle.
Ich habe Polaroids über Ebay gekauft und kam darüber mit einem Verkäufer aus Wien in engeren Kontakt. Während unseres Gesprächs stellte sich heraus, dass er indirekt mit Impossible zu tun hatte. Einige Zeit später kam er nach Berlin und schrieb mir, dass sein Hotel direkt um die Ecke sei und fragte, ob wir uns nicht treffen wollten.
Was folgte, waren Kneipentouren und eine Zusammenarbeit auf seinen Workshops, die am Ende ich abhielt, damit er sich um die anderen Gäste kümmern konnte, denn Impossible war damals noch sehr jung und für viele unbekannt. Er schaute sich auch mein Zeug an und fand es gut, er sah neue Ansätze und meinte: „Denk Dir was aus, ich bring Dich nach Wien zu Impossible.“
Ich hatte bis dahin schon sehr viel ausprobiert: Polaroids gebacken, angezündet… Ich saß Zuhause, im Zweifelsfall hatte ich einen geraucht und kam auf die Idee. Ich holte die Mikrowelle aus der WG-Küche in mein Zimmer und habe die ganze Nacht herumexperimentiert und hatte irgendwann auch raus, wie ich Ergebnisse erziele, mit denen ich etwas anfangen kann. Ich organisierte zwei Modelle, Make-up und einen Stylisten nach Hause. Drei Wochen später war ich in Wien eingeladen, um meine Arbeit vorzustellen und so ging meine Zusammenarbeit mit Impossible langsam los.
Zeichnest Du manchmal noch?
Ich habe nicht mehr die Geduld, bin schnell unzufrieden oder habe das Gefühl, Tabula rasa machen zu müssen und habe Vieles verbrannt. Fotografie ist dagegen fest. Man arbeitet vor der Kamera, bereitet alles vor, bis sich dann die Blende öffnet, danach ist das Motiv festgehalten.
Ich entdecke auf dem Tisch einen Skorpion, keinen echten natürlich.
Bist Du Skorpion?
Ja.
Und gibt es da verbindende Eigenschaften?
Ehrgeizig, emotional, impulsiv, darum auch meist nicht sehr weitsichtig, aber dabei nicht planlos. Deswegen ist es gut, dass ich eine Partnerin habe, die davon auch vieles mitbringt, aber auch in einigen Eigenschaften anders ist, dass macht uns zu einem tollen Team und sie für mich zu einem einzigartigen Menschen.
Ist sie auch Künstlerin?
Sie ist Kuratorin und arbeitet an der Uni, hat also auch mit Kunst zu tun. Die Felder überschneiden sich, ohne dass wir in Konkurrenz zueinander stehen.
Deine Mode-Arbeiten sind sehr sphärisch. Hast Du Vorbilder?
Sarah Moon und Paolo Roversi, ich nenne sie immer den King und die Queen. Ich will sie aber nicht imitieren, das kann ich auch nicht, dafür sind wir zu gänzlich unterschiedliche Menschen. Aber Licht und Zeit sind verbindende Elemente, beide haben auch mit Polaroid gearbeitet.
Die langen Belichtungszeiten, mit denen ich auch gern arbeite, nenne ich „Atmen des Moments“, es gibt dem Bild Raum. Auch bei einer Fotosession lasse ich gern Raum. Die Energie am Set ist wichtig. Jeder im Team bringt etwas mit: die Modelle, der Stylist, das Make-up, die Assistenz.
Es gab in München eine Fotosession, die hatte eine tolle Energie. Als ich ans Set kam, fragten sie mich, wo denn der Monitor wäre, damit man die Fotos begutachten kann. Ich sagte ihnen, dass man meine Bilder nach ein paar Sekunden sehen kann.
Sie schauten erst sehr ungläubig, nachdem ich aber das erste Testbild machte, war allen ziemlich schnell klar, worum es geht: Nämlich darum, als Team gemeinsam ein gutes Bild zu erschaffen und nicht 2.000 Bilder, aus denen ich dann entscheide, welches ich später retuschiere. Jeder war bei der Sache und innerhalb von 18 Stunden hatten wir 28 Bilder gemacht.
Dann geht Oliver aus dem Raum, kommt mit großformatigen Bildern wieder und zeigt mir eines der Bilder, die bei der Session in München entstanden sind. Ich staune.
Abgefahrener Kram. Eigentlich nicht so meins, aber hier gefällt es mir.
Fantastische Aufnahmen die man sich gerne länger anschaut und nicht einfach weiter klickt. Was für eine spannende Arbeit.
Bin begeistert.
Schöne Geschichte und tolle Bilder! Sehr „anders“ und sehr inspirierend!
Danke für’s Zeigen.
Ich mag die Bilder, fast alle. Tolles Arbeiten mit Licht. Kompliment.
spannende Bilder, für mich seit langen mal wieder ein typischer Kwerfeldeinbeitrag. Bitte mehr davon.
Blogartikel dazu: Zeitloch – Monstrop❂lis
hello!
kompliment für diesen feinen beitrag.
ich versteh ja schon, daß polaroid im großformat eine art alleinstellungsmerkmal für einen lichtbildner bedeutet. ist eine exotisch sache, irgendwie aus der zeit gefallen; aber ich weiß, daß allein schon das gemächliche hantieren mit photozeux rückwirkt auf das ergebnis.
natürlich wäre jedes einzelne bild dieser strecke auch digital herstelbar, vom kostenaufwand will ich erst mal gar nicht reden.
ich selber bin professioneller photograph, lehrzeit 1963 bis 1967. mein equipment teilt sich in zwei kabinette: eins mit digitalen geräten aus der zeit, als 1 – 6 MP das maß der dinge waren; diese sachen kauf ich um zweistellige eurobeträge in quasi neuzustand im web und auf flohmärkten.
und dann gibts halt das smartphone.
die antiken sachen bleiben fürs kontemplative arbeiten; das smartphone giert nach instagram, snapseed und prisma.
aber zurück zu dem beitrag:
mit gefällt die lichtregie. und das sichtliche bemühen, etwas originäres zu schaffen, das über den tag bestand hat. mal sehn, welches der bilder mir morgen beim aufwachen wieder in den sinn kommt. dann war es eines für mich and made my day.
servus,
werner aus der hochsteiermark