Realistischer Kitsch in der Architekturfotografie
Im Laufe meines Fotografiestudiums wurde mir immer klarer, dass ich die Grenzen der Fotografie mit Photoshop noch viel weiter verschieben kann – und zwar so, wie ich es möchte. Schließlich gibt es unfassbar viele Möglichkeiten, die einem die digitale Nachbearbeitung eröffnet; das fängt bei kleinen Korrekturen an und endet bei kompletten Composings, die nichts mehr mit der Realität zu tun haben. Das hat mich schon immer fasziniert.
Im Laufe der Jahre entwickelten sich unterschiedliche Stile innerhalb der Architekturfotografie. War sie anfangs noch sehr sachlich und objektiv, wurde sie immer subjektiver und experimentierfreudiger. Diese Entwicklung ist hochspannend und es lohnt sicherlich, sich diese einmal etwas genauer anzuschauen.
Die normale, sachliche deutsche Architekturfotografie erschien mir bei meiner Recherche über diese Art von Fotografie stets sehr nüchtern und langweilig. Es erinnerte mich sehr an die Werke des Fotografenpaars Bernd und Hilla Becher. Wirkliche Gefühle werden da nicht transportiert, es geht mehr um den objektiven, sachlichen Blick auf das Objekt.
Genauso wie meine Dozenten bin aber auch ich überhaupt kein Fan von übersteuerten HDR-Fotos. Ich verstehe, was die Fotografen zu erreichen versuchen: eine perfekte Durchzeichnung in allen Bereichen. Alles sollte erkennbar und klar sein. Im besten Licht erstrahlen. Und genau das ist dann auch schon der Knackpunkt:
Mit Hilfe von etwa 50 bis 100 Einzelbelichtungen erstelle ich in der Nachbearbeitung ein realistisches Composing. Eines, das unserer visuellen Wahrnehmung sehr viel näher kommt als das typische HDR-Bild oder andere Effekte. Mithilfe eines oder mehrerer Blitze belichte ich einzelne Elemente auf dem Foto und maskiere sie anschließend aus.
Für mich wirken diese Fotos sehr viel dreidimensionaler. Mithilfe der vielen Belichtungen und Kombinationsmöglichkeiten habe ich die volle Kontrolle über die Plastizität der Architektur sowie der Elemente im Vorder- und Hintergrund. Im Gegensatz zur sachlichen deutschen Architekturfotografie wirken meine Bilder fast schon kitschig, so bunt wie sie sind. Man könnte auch sagen „amerikanisch“.
Verantwortlich dafür ist unter anderem auch das Fotografieren in der Abenddämmerung. Sobald es draußen dunkler ist als im Gebäude, belichte ich auf jedes einzelne Fenster. Auch Farben haben eine tragende Rolle in den Bildern. Wie auch immer man das nennen mag – nein, es ist auf jeden Fall kein „echtes Foto“.
Es ist ein aufwendig erstelltes Bild, das seine Wurzeln in der Realität verankert hat – aber darüber hinaus vielen kleinen Schönheitsoperationen unterzogen wurde. Farbtemperaturen, Betonfliesen, Nachbarschaften – im übertragenen Sinne könnte man sagen, ich habe den Gebäuden nur etwas Make-Up verpasst.