1000 Meilen Wind
Als ich den Kopf durch die Luke stecke, begrüßt mich die Sonne. Zum ersten Mal seit vier Tagen scheint sie auf unser Schiff, die TRES HOMBRES, die sich immer wieder in den Wellen aufbäumt. Ich bin erschöpft und schaffe es nur mit Mühe, festen Stand zu finden. Vier Tage lang haben wir uns bei bis zu Windstärke 10 durch den Sturm auf der Nordsee gekämpft. Alles an Bord ist nass, aber die Sonne gibt mir Hoffnung, dass der Sturm jetzt endlich vorbei ist.
Zum ersten Mal begreife ich die Schönheit, die in dieser Naturgewalt liegt. Große, graue Wolkenfelder fliegen am Himmel über uns hinweg. Dazwischen erstrahlt der Himmel in klarem Blau und die Sonne taucht die Wellen um uns herum in eine bizarre Mischung aus Grau und Türkis. Aber noch sind die Wellen haushoch. Achtern, am Ruder kämpfen zwei meiner Kameraden darum, den Kurs zu halten. Ich bin hin und hergerissen zwischen meiner schier übermächtigen Erschöpfung und der Faszination für das Naturschauspiel, das mich umgibt.
Am Ende siegt die Faszination. Ich raffe mich auf, zwänge mich erneut durch die Luke und die schmale Leiter hinunter in den Bauch des Schiffes. Im Dunkel suche ich nach meiner Kamera und kämpfe darum, nicht von der nächsten Welle quer durch den Raum geschleudert zu werden.
Es sind immer wieder solche Momente, die am Ende den Unterschied machen und aus denen die außergewöhnlichen Fotos auf meiner Reise hervorgehen. Dann, wenn es unangenehm wird, zu fotografieren, oder ein Foto mit besonderem Aufwand verbunden ist.
Von Anfang an hatte ich die Reise auf der TRES HOMBRES als Fotoprojekt geplant. Nach vielen Jahren, die ich vor allem im Bereich Konzertfotografie unterwegs war, wollte ich wieder eine große Reise machen und ein Abenteuer erleben, das es wert ist, mit Fotos und Geschichten festgehalten zu werden. Dabei war es nie mein Traum, über den Atlantik zu segeln. Das hat sich eher zufällig ergeben, aber als ich von der TRES HOMBRES hörte, war mir klar, dass dies ein Abenteuer nach meinem Geschmack werden könnte.
Die TRES HOMBRES segelt ohne Maschine, nur vom Wind angetrieben in die Karibik. Dort werden Kakao, Rum und Schokolade geladen, die dann, möglichst CO2-frei nach Europa transportiert werden. Mich faszinierte das Abenteuer, wie vor Jahrhunderten übers Meer zu segeln, aber auch die Tatsache, dass die TRES HOMBRES Fracht transportiert und nicht nur des Spaßes wegen über den Atlantik fährt. Die Karibik. Rum, Kakao und Schokolade. Das versprach spannende Geschichten am Wegesrand.
Zur Planung der Reise als Fotoprojekt gehörte auch, dass ich meine Fotoausrüstung komplett ersetzte. Die Vollformat-Nikon, mit der ich bis vor der Reise fotografiert hatte, hatte schon ein paar Jahre und etliche Tausend Auslösungen auf dem Buckel, aber der wichtigste Grund waren Größe und Gewicht.
An Bord, da war ich mir sicher, würde ich eine Kamera brauchen, die ich jeden Tag am Mann haben könnte, bei jedem Wetter, auch bei der Arbeit, auch wenn es galt, in die Wanten zu steigen. Ich tauschte das Vollformat gegen eine Olympus im deutlich handlicheren Micro-Four-Thirds-System. Eine Entscheidung, die im Nachhinein betrachtet Gold wert war. Denn tatsächlich war das Wichtigste auf der ganzen Reise, die Kamera im richtigen Moment griffbereit zu haben.
Viel wichtiger noch als die Technik war der kreative Prozess meiner Arbeit. Ich wollte die Geschichte meiner Reise in Bildern erzählen. Oder viel mehr die Geschichten, denn in sieben Monaten habe ich zwölf verschiedene Länder bereist und mindestens so viele Abenteuer erlebt. An vielen Orten ergaben sich eigene Geschichten, über die Begegnung mit Menschen oder die Fracht, die wir geladen haben.
Sieben Monate bedeuten aber auch eine lange Zeit, über den hinweg es gilt, den kreativen Prozess aufrechtzuerhalten. An Bord eines Schiffes, das gerade einmal so groß ist wie der Wagon einer S-Bahn, ist schnell alles fotografiert. Das wichtigste Werkzeug dazu war mein Blog. Ich habe unterwegs sehr viel Zeit darauf verwendet, über jede einzelne Etappe meiner Reise zu bloggen, was nicht immer einfach war.
An Bord gab es keinen Strom, geschweige denn Internet. Also musste ich mir in jedem Hafen ein Café oder eine Bar mit WLAN suchen und bestenfalls mehrere Artikel verfassen, die dann automatisiert veröffentlicht wurden, wenn ich schon wieder auf See war. Das mag manchmal nervig gewesen sein, aber es war auch der Antrieb, die Kamera jedes Mal aufs Neue hervorzuholen und neue Motive im immer gleichen Alltag an Bord zu suchen.
Mein Blog war auch unglaublich wichtig, um Fotos zu sortieren und zu ordnen. Die Artikel gaben, ganz von allein eine Struktur vor, die Geschichte meiner Reise in einzelnen Kapiteln zu erzählen. Hätte ich das nicht gehabt, wäre ich vielleicht mit einer Festplatte mit Tausenden unsortierten Bildern nach Hause gekommen und hätte nie Ordnung in dieses Material gebracht.
Manche Bilder sind geplant entstanden, weil es zum Beispiel die Idee gab, ein Foto von der Spitze des Klüverbaums ganz vorn am Bug zu machen. Dann wartete ich auf die richtige Gelegenheit, das richtige Wetter und das richtige Licht, zum Beispiel kurz vor Sonnenuntergang. In meinem Kopf gab es quasi immer eine ungeschriebene Liste mit Motiven, die ich noch fotografieren wollte, wenn die Gelegenheit günstig ist. Andere Fotos entstanden einfach durch Zufall, weil ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war und die Kamera dabei hatte. Und manchmal kam beides zusammen.
Auf meiner ungeschriebenen Liste gab es lange den Punkt „Karibikbild“. Ein Foto, das mit einer einzigen Aufnahme zeigt, dass wir in die Karibik gesegelt sind. Irgendetwas mit Palmen oder blauem Wasser und dem Schiff. So oder so ähnlich klang die Idee in meinem Kopf. Und dann kam, auf unserer vorletzten Station in der Karibik, unser erster Offizier Rémi zu mir und meinte, ich solle mitkommen.
Vom Strand da hinten hätte man einen wunderschönen Blick auf die TRES HOMBRES, die in der Bucht vor Anker lag. Und er hatte recht. Der Weg dorthin war zwar beschwerlich, durch Dornengestrüpp und über scharfe Felsen, aber schließlich lag das Schiff vor mir, links eine große Palme und gleich würde die Sonne direkt daneben im Meer versinken. Da war das „Karibikbild“, an dem ich mich zuvor mehrere Wochen lang vergeblich versucht hatte.
Ausstellungshinweis
Vom 10. April bis 7. Mai werden Fotos aus dem Projekt „1000 Meilen Wind“ in Köln ausgestellt. Die Ausstellung findet in Manni’s Rästorang, Kyffhäuserstr. 18, 50674 Köln statt. Am 10. April findet ab 17 Uhr die Vernissage statt. In diesem Rahmen wird auch der gleichnamige Bildband das erste Mal der Öffentlichkeit präsentiert. Außerdem gibt es ein Rahmenprogramm mit Musik und das Team von Manni’s Rästorang sorgt für das leibliche Wohl der Gäste. Der Eintritt ist frei.