Die Welt durch ein Glasprisma
Glitch-Art? Ein Experiment? Oder doch ganz normale Fotografie? Oft reicht die Drehung um ein Grad aus, um das Foto komplett zu verändern: Die Rede ist vom Fotografieren mit einem Glasprisma.
In meinem Mediendesign-Studium bekamen wir damals im Fotografie-Seminar vor knapp drei Jahren eine Aufgabe gestellt: Wir sollten einen Störer ins Bild bringen und daraus eine konzeptionelle Fotoserie erarbeiten.
Durch Zufall bin ich im Internet auf eine Serie gestoßen, bei der ein Fotograf Landschaftsfotos mit einem Prisma entsprechend verfremdet hat. Ich war sofort begeistert. Obwohl ich noch nicht wusste, ob ich mich wirklich ein Semester lang damit beschäftigen wollte, habe ich mir vorab einfach ein Glasprisma bestellt. Und das war auf keinen Fall ein Fehlkauf!
Die Teile werden scheinbar oft dort eingesetzt, woher sie die meisten wohl kennen werden: Aus dem Physik-Unterricht und zu Lehrzwecken. Ein typisches Experiment mit dem Prisma zeigt, wie weißes Licht in die Farben des Regenbogens aufgefächert wird. Deshalb findet man oft in der Artikelbezeichnung das Wort „Lehre“ wieder.
Als es ankam, machte ich mich sofort ans Experimentieren und untersuchte die verschiedenen Wirkungen. Im Grunde hält man das Prisma direkt vor das Objektiv und wählt dabei eine offene Blende. So wird das Prisma nicht mehr als Objekt erkannt, sondern man sieht nur noch die Wirkung im Bild.
Und diese fällt je nachdem, in welchen Winkel zum Objektiv man es dreht, verschieden aus: Im Wesentlichen wird auf einer Seite der Himmel gespiegelt und auf der anderen der Boden. In der dritten Seite werden je nach Winkel die Farben des Fotos aufgespalten: Man erhält einen Effekt, der an ein chromatische Aberration erinnert – nur krasser.
Das Ganze stimmt also mit dem überein, was man schon über die Lichtbrechung aus dem Physik-Unterricht weiß: Ein Teil des einfallenden Lichts wird reflektiert, der andere Teil ändert seine Richtung. So entstehen also die Spiegelungen und Brechungen.
Klar: Eigentlich sieht man beim Blick durch das Prisma die meiste Zeit zwei Seiten. Eine, auf der ein Bildinhalt wiederholt bzw. gespiegelt wird und eine weitere, in der das Licht gebrochen wird. Ich beschränke mich für gewöhnlich aber auf nur einen Effekt pro Foto.
Zurück zu meiner Serie: Das Prisma im Foto sollte natürlich nicht als plumper Effekt verpuffen – ein Konzept musste her. Ich kam auf die Idee, die Person auf dem Foto zu zensieren und ich erstellte eine kreative Fotoserie über anonyme Gewalt: „faceless“.
Es hat sehr viel Spaß gemacht, diesen Effekt im Konzept anzuwenden. Ich konnte mich immer entscheiden, mit welcher der drei Seiten ich die Person zensiere: Spiegele ich eine dunkle Ecke über die Augen? Oder eine helle? Oder finde ich einen Winkel, in dem das ganze Gesicht durch einen optischen „Fehler“ unkenntlich gemacht wird?
Die Möglichkeiten sind unbegrenzt, da man an verschiedenen Orten auch immer wieder verschiedene Strukturen findet. Diese kann man mit dem Prisma ins Foto spiegeln, obwohl sie sonst außerhalb des Bildausschnitts liegen würden.
Ich muss gestehen: Nach diesem Projekt ist das Prisma erst einmal wieder im Schrank gelandet. Ihr kennt das bestimmt – man entdeckt ja immer wieder neue Sachen, mit denen man sich auseinandersetzen kann.
Knapp drei Jahre lang lag das Glasprisma nun also im Schrank. Fotos, die damals noch eine Ausnahme waren, häufen sich aber mittlerweile auch auf Facebook. Das Prisma ist wohl endgültig angekommen. Das habe ich zum Anlass genommen, es selbst auch wieder einmal herauszuholen.
Ich habe also eine Fotosession organisiert und völlig frei losgelegt. Dieses Mal ohne Konzept. Fokus nur auf das, was möglich ist. Die Session fand im Wald statt – einer meiner Lieblingsorte. Mit dem Prisma wohl noch toller als sonst.
Warum? Die Strukturen. Es gibt hier so viel, was man mit dem Prisma ins Foto bringen kann. Mit ein bisschen Übung passiert das Ganze dann auch relativ zügig, ohne dass das Modell lange warten muss. Es eröffnen sich einzigartige Möglichkeiten, die Person kreativ mit dem Ort zu kombinieren.
Man lernt dabei, seine Umgebung noch genauer wahrzunehmen, da man auch auf das achten muss, was auf einem gewöhnlichen Foto nicht zu sehen wäre. Man ist im gesamten Prozess aber völlig frei, kann sich kreativ ausleben und das Foto gestalten.
Was ich oben bereits erwähnt habe, lässt sich auf den Fotos nun ganz gut beobachten: Die Vielseitigkeit. Ich habe immer die Wahl zwischen verschiedenen Spiegelungen von Strukturen, aber auch von Helligkeiten an sich. So kann man zum Beispiel dunkle Bereiche als Vignette ins Foto holen.
Aber eben auch das Zerlegen von Licht ist möglich, was einen Effekt erzielt, den man auch in Richtung Glitch-Art einordnen könnte.
Zum Schluss will ich noch kurz auf ein Experiment eingehen, das auch für mich noch komplett neu war: Die Erstellung einer Cinemagrafie. Diese „bewegten Fotos“ laufen einem seit ein paar Jahren im Internet immer öfter über den Weg. Eigentlich nur Videoaufnahmen, die aber nahtlos in Schleife abgespielt werden.
Der Trick dabei, der den einzigartigen Effekt im Bild hervorruft, ist, dass man alles, was sich nicht bewegen soll, anschließend noch ausmaskiert. Erst so verwandelt man das Video in ein halbes Bild. Das Ganze habe ich in diesem Zusammenhang mit einem Prisma kombiniert, das ich vor der Kamera gedreht habe.
Ich finde es wichtig, den Fotografenalltag mit solchen Experimenten gezielt zu „entschleunigen“. Das Experimentieren ist für mich eine Art Auszeit, die ich brauche, um wieder kreativer zu werden. Um mich selbst weiter zu steigern.
Vor allem, wenn man häufiger Fotosessions für Kunden nach demselben Schema abarbeitet, ist es wichtig, wieder neue Sachen auszuprobieren. So bleibt man selbst nicht stehen. Ich hoffe ich konnte Euch motivieren, jetzt auch aktiv zu werden. Organisiert eine freie Session und fangt an, zu experimentieren.
Habt Ihr schon einmal mit einem Prisma fotografiert? Vielleicht auch schon vor ein paar Jahren? Oder habt Ihr andere Techniken, um wieder kreativer zu fotografieren? Schreibt es in die Kommentare!