Über die Suche nach kreativer Erkenntnis
Seit ich denken kann, treibt mich die Suche nach der Erkenntnis an. Ich möchte das Wissen dieser Welt in mich aufnehmen, auch im fotografischen Bereich. Die Neugier ist das verbindende Element, denn ich erfasse die Dinge mit den Sinnen und dem Geist, um zu sehen, zu verstehen und zu beGREIFEN. Deshalb experimentiere ich mit Polaroid-Transfertechniken und arbeite in der Dunkelkammer.
Erkennen durch Erschaffen
Ich nutze spezielle Verfahren, um bestimmte Bildwirkungen zu erzielen. Der Prozess soll den Inhalt formal und ästhetisch prägen, aber nicht überlagern. Ich möchte mit meinem Geist erfassen, was ich mit meinen Händen erschaffe.
Deshalb habe ich mich und mein Selbstbild in den letzten Jahren in einer Reihe von Selbstportraits erforscht, die ich mit Hilfe von Polaroid-Emulsionslifts zu Papier brachte. Im Zentrum der Serie stand dabei stets die Frage nach dem Ich und seiner Verortung in dieser Welt. „Der Fall des Dädalus“ versinnbildlicht diese essentielle Suche nach der eigenen Identität.
Dafür bediente ich mich zweier Gestalten aus der griechischen Mythologie, die mich seit meiner Kindheit faszinieren: Dädalus und Ikarus.
Dädalus erschuf mit seinem Verstand und seinem Erfindergeist zwei Paar Flügel für sich und seinen Sohn Ikarus, um von der Insel Kreta zu entfliehen, wo die beiden von König Minos im Labyrinth des Minotaurus gefangen gehalten wurden. Ikarus stürzte ins Meer, als er entgegen aller Warnungen seines Vaters voller Übermut steiler und steiler in den Himmel emporstieg. Höher und immer höher schwang er sich hinauf und versuchte, die Sonne zu erreichen.
Doch die Götter bestraften Vater und Sohn, weil sie auf der Suche nach Erkenntnis die Grenzen zwischen dem Reich der Götter und dem der Menschen überschritten: Ikarus mit seinem jugendlichen Hochmut; Dädalus mit seiner intellektuellen Hybris. So heißt es jedenfalls.
Auch ich bin mir der Gefahr allzu großen Übermuts stets bewusst, möchte aber ebenso nach den Sternen greifen. Wer es sich in der eigenen Bequemlichkeit gemütlich macht, vermag nie den Rand dieser Welt zu erreichen und hinter den Horizont zu blicken.
Deshalb hat dieses Bild viele Facetten für mich, die anderen aber verschlossen bleiben. Das ist jedoch nicht schlimm, denn ich wünsche und hoffe, dass die Menschen ihren eigenen Zugang zu meinen Arbeiten finden – oder eben nicht.
Ähnliches gilt für die Serie „Season Circle“, in der ich mich mit meiner Melancholie und meiner oft selbst gewählten Einsamkeit auseinandersetze, um sie besser zu verstehen.
Seit jeher lebe ich in meiner eigenen Welt – einer Welt, in der bloße Gedankenkonstrukte manchmal realer erscheinen als die Wirklichkeit selbst; einer Welt, die ihre eigene Schönheit hat. Die Fotografie und vor allem die tatsächliche manuelle Auseinandersetzung mit dem Medium holen mich in das Hier und Jetzt zurück.
Zuweilen ergänze ich meine Bilder aus diesem Grund mit unscheinbaren kleinen Objekten aus meinem Alltag und füge so eine weitere Ebene hinzu. Federn, Blumen oder Flügel als Elemente des Hier und Jetzt durchdringen das Dort und Dann.
Erschaffen durch Erfassen
Irgendwann kam jedoch der Punkt, an dem meine fotografische Auseinandersetzung mit dem Ich und damit auch mit der Polaroidfotografie abgeschlossen war. Mein Blick wandte sich von innen nach außen und ich konzentrierte mich wieder mehr auf Experimente mit verschiedenen fotografischen Prozessen in der Dunkelkammer.
Auch hier spielt die Haptik eine wichtige Rolle: Ich durchdringe das Bild mit all meinen Sinnen und erfasse es dadurch mit meinem Verstand. Der Eindruck ist jedoch flüchtig und zerbrechlich. Aus diesem Grund tauchen auf meinen Abzügen oft Hände und andere Körperteile auf, deren Fragilität ich in den Fokus rücke. Die zarte Farbigkeit meiner Lith- und Farbabzüge tut ihr Übriges.
Nun mag das für andere nicht sonderlich außergewöhnlich sein; für mich ist es das allemal, denn nie hätte ich gedacht, dass ich zu so etwas fähig wäre. Die Bilder an meinen Wänden bezeugen diesen Wandel und erinnern mich daran, was ich durch die Fotografie bereits erfahren habe: Über mich, über die Welt und über meine Sicht darauf.
Und so rufen mich mein Spieltrieb und mein Wissensdrang in die Dunkelkammer zurück. Mein Labor ist ein Ort der Wunder, an dem Alchemie und Magie mit Physik und Chemie verschmelzen.
Wer schon einmal beobachten durfte, wie das latente Bild im Schein der rot glühenden Lampe wie von Geisterhand auf dem Papier erscheint, der weiß, wie eindrucksvoll, erhaben und zauberhaft dieser Tanz der Teilchen ist.
Gemeinsam ergeben sie ein Bild, das die Wirklichkeit widerspiegelt, wie wir sie sehen: Die Stofflichkeit mag dieselbe sein, doch die Wahrnehmung ist stets eine andere. Verändert sich der Blickwinkel, weiß allein schon dieser Perspektivenwechsel viel Neues zu verraten. Und so strebe ich weiterhin nach der Erkenntnis, in allen Bereichen meines Lebens.