Dünen in einer Wüste.
30. Dezember 2015 Lesezeit: ~12 Minuten

Namib: Unendliche Weite aus Sand und kalter Gischt

Der Motor des uralten Land Rover Defender, der seine besten Zeiten schon hinter sich hat und dessen Tachometer bereits gänzlich den Dienst verweigert, jault furchterregend auf – während sich die heißen, luftarmen Reifen unermüdlich durch den Sand der Namib wühlen, immer kurz vor oder im roten Bereich des Drehzahlmessers.

Mir selbst schwirren Bilder einer zerfetzten Zylinderkopfdichtung, gefolgt von einem unkontrollierten Abrutschen von der Düne im Kopf herum. Doch natürlich kennt unser einheimischer Guide die Gegend wie seine Westentasche: Das Irgendwo im Nirgendwo der Dünen zwischen Walvis Bay und unserem Ziel, der „Long Wall“ in der Nähe von Sandwich Harbor im Westen Namibias.

Zwei Käfer laufen über Sand.

Die mobile Wasserflasche der Namib beim Paarungsverhalten. Er gehört zur Familie der Schwarzkäfer (Tenebrionidae) mit ihren zahlreichen Unterarten und kommt endemisch in der Namib vor. Der Körper des Käfers besteht zu 40 % aus Wasser. Vor Sonnenaufgang machen die Käfer einen Kopfstand auf den Dünen, so kondensiert der Nebel an ihren Körpern zu einem Tropfen, der direkt zum Trinken in den Mund rollt.

Ausgangspunkt für diesen Halbtags- oder Ganztagsausflug ist Walvis Bay, eine der wenigen Städte an der Westküste Namibias, etwa eine halbe Autostunde vom bekannteren Swakopmund entfernt. Grundsätzlich ist der Ganztagsausflug einem Halbtagsausflug vorzuziehen. Ihr müsst Euch keine Gedanken um die Gezeiten des Atlantik machen (nur bei Ebbe ist die Zufahrt zum Sandwich Harbor möglich) und Ihr habt genug Zeit, um die atemberaubende Landschaft und Natur zu genießen.

Uns ist an diesem Tag (nur) eine Halbtagestour in die Namib vergönnt und es herrscht Flut, sodass eine Fahrt direkt bis zur Lagune Sandwich Harbor nicht möglich ist. Touren sind direkt buchbar über Carsten Möhle von Bwana, darüber hinaus finden sich dort weitere Informationen zum Veranstalter.

Ein Mann steht vor einem Geländefahrzeug in der Wüste.

Unser etwas betagter Land Rover Defender. Es sollte jedoch niemals unterschätzt werden, was diese Fahrzeuge mit dem richtigen Fahrer zu leisten im Stande sind.

Die Oysterbox als gut geführtes B&B und direkt an der Esplanade mit Blick auf den Atlantik gelegen, ist als Übernachtungsmöglichkeit sehr zu empfehlen. Darüber hinaus befindet sich das in den Atlantik ragende Restaurant und Bistro „The Raft“ fußläufig gegenüber, auch diese Location ist empfehlenswert.

Bevor es auf etwa 55 Kilometern querfeldein durch die Dünen der Namib an die Küste des Atlantischen Ozeans bis zur „Long Wall“ geht, fahren wir südlich von Walvis Bay entlang der Lagune auf einer Salzstraße, bestehend aus den Salzresten der nahe gelegenen Salzgewinnungsanlage, als wir auf Hunderte Flamingos und einige Pelikane neben der Straße treffen.

Drei Flamingos im Wasser.

Flamingos in unmittelbarer Nähe der Straße in der Lagune südlich von Walvis Bay.

Die Lagune südlich der Stadt ist mit über 5.000 Jahren die älteste Namibias und ein international bekanntes Vogelschutzgebiet mit dem bedeutendsten Wattbereich im südlichen Afrika. Sie bietet bis zu 160.000 Vögeln Schutz und für über 200.000 Seeschwalben Nahrung bei ihren Zügen von und zu antarktischen Regionen.

Bis zu diesem Tag dachte ich, dass „unser“ Wattenmeer in der Nordsee ein einmaliger Naturraum auf der Erde wäre, doch weit gefehlt, die Region um Walvis Bay ist quasi „identisch“, inklusive Gezeiten, Flora und Fauna – bis eben auf Flamingos, Pelikane und andere Exoten.

Flamingo im Flug über einem Gewässer.

Flamingo in unmittelbarer Nähe der Straße in der Lagune südlich von Walvis Bay.

Ganz ehrlich: Ich bin total aus dem Häuschen! Da fliegt man um die halbe Welt, alles ist fremd, neu und aufregend und dann bemerkt man, dass man sozusagen in Sankt Peter-Ording ist. Viel interessanter ist jedoch die Frage, wie sich diese beiden Ökosysteme im Laufe der Evolution quasi identisch entwickeln konnten. Die Natur ist einfach großartig, beeindruckend und lässt immer wieder viele Fragen offen.

Es geht noch ein bisschen weiter im Biologieunterricht, weil ich es so interessant finde: Die Rosafärbung des Gefieders wird von Carotinoiden verursacht, die vor allem in planktonischen Algen enthalten sind und die die Vögel mit ihrer Nahrung aufnehmen. Sie werden in der Leber mit Hilfe von Enzymen umgewandelt, wobei unterschiedliche Pigmente entstehen, die sich in der Haut und den Federn ausgewachsener Flamingos einlagern.

Zwei Pelikane stehen im Sand an einem Ufer.

Pelikane (und was für welche!) in unmittelbarer Nähe der Straße in der Lagune südlich von Walvis Bay.

Die Pelikane haben es mir ganz besonders angetan und ich werde das Gefühl nicht los, die Exemplare der hiesigen Spezies sind extra large, sozusagen stellvertretend für alle Lebewesen in dieser Region, dank der hervorragenden Bedingungen des Benguela-Stroms.

Ab den ersten Sanddünen der Namib wird es dann rustikal: Unser Land Rover Defender, der immerhin so erfahren ist, dass der Kilometerzähler seinen Geist schon ganz aufgegeben hat, fängt heftig an zu ruckeln und zu hüpfen, begleitet von den zaudernden Sätzen unseres Guides: „Ob wir das wohl schaffen? Ob der Wagen das noch aushält?“

Dünen einer Wüste.

Ein schier endloses Wellenmeer aus Sand in der ältesten Wüste der Welt, der Namib.

Natürlich handelt es sich um einen Scherz seinerseits, um unerfahrenen Touristen ein wenig den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben. Schnell wird aber klar, dass es sich im Wagen gänzlich um Wiederholungstäter handelt und auch niemand Angst hat. Dies hält unseren Guide zwar nicht davon ab, seine Schauerwitze weiterhin zu machen, trägt jedoch fulminant zur allgemeinen Belustigung bei.

Die Namib ist mit ihrem Alter von zirka 80 Millionen Jahren die älteste Wüste der Welt und mit Tagestemperaturen von deutlich über 50 °C und Nachttemperaturen von unter 0 °C sowie jahrzehntelang andauernden Trockenperioden zugleich einer der unwirtlichsten und lebensfeindlichsten Orte unseres Planeten Erde.

Wüstenkämme, dahinter blauer Dunst am Horizont.

Die Dünen der Namib verändern sich stetig dank des Windes. Ein lebendiges Ökosystem trotz der lebensfeindlichen Bedingungen.

Die Trockenheit der Namib ist auf küstennahe, kalte Meeresströmungen zurückzuführen, analog zur Atacamawüste in Chile. An der Atlantikküste fließt der sehr kalte, aus der Antarktis kommende Benguela-Strom. Das kalte Wasser führt zur Kondensation der in der Luft enthaltenen Feuchtigkeit. Infolge des kalten Wassers ist die Luftschichtung immer sehr stabil und verhindert überwiegend eine hochreichende Konvektion, die zu Regen führen kann.

Dafür gibt es an ungefähr 200 Tagen im Jahr Nebel in der Küstenregion, der sich in den kalten frühen Morgenstunden niederschlägt und für viele der dort lebenden Tiere und Pflanzen die einzig verlässliche Feuchtigkeitsquelle ist.

Flora in einer Wüste.

Aussichtspunkt. Es ist fast unmöglich, Entfernungen und Größenverhältnisse in dieser sich verlierenden Weite einzuschätzen.

Der Weg durch die Dünen der Namib ist keine Spazierfahrt. Die Front einer jeden Düne ist weicher und langgezogener als die Rückseite, die wesentlich steiler und härter ist. Die Beschaffenheit der Dünen wird unmittelbar vom Wind bestimmt: Die „windige“ Front ist flacher, luftiger und weniger stabil wegen des die Düne hinaufwehenden Windes, während sich mit dem Passieren des Dünenkammes abrupte Windstille einstellt, was zu einem steilen Herabfallen und Verfestigen des Sandes führt.

Geht man die Front einer Düne nicht aggressiv genug an, das heißt der Motor jault am Ende im ersten Gang so laut, dass man sich ernsthaft Gedanken darüber macht, ob der Motor noch bis zum Dünenkamm durchhält, ist die Alternative ein rückwärtiges, partiell unkontrolliertes Herabrollen von der Düne. Ist die Geschwindigkeit des Defenders am Dünenkamm hingegen zu hoch, so droht ein Hinwegfliegen über den Kamm mit möglichem Überschlag und Herunterrollen an der wesentlich steileren und härteren Rückseite der Düne.

Ein Geländefahrzeug steht auf einer Düne in der Wüste.

Dünenfahren ist nichts für Anfänger, aber ein unglaublich schönes Gefühl. Diese Kunst möchte ich auch noch Erlernen.

Die Kunst des Dünenfahrens besteht darin, den Wagen auf dem Weg die Düne hinaus so in Bewegung zu halten, dass er erst ganz genau auf dem Dünenkamm zum Stehen kommt (natürlich schnellstmöglich die Drehzahl aus dem roten Bereich auf 0 bringend), um dann die Rückseite der Düne auf dem eigens aufgeschwemmten Sand brummend und möglichst wenig bremsend herunterzurutschen.

Kein Kinderspiel bei Dünen, die bis zu 100 Meter hoch sind. Wer das Dünenfahren richtig lernen will, der kann das auf der sogenannten Sperrgebietstour von Süden bis nach Walvis Bay. Die Tour ist aufgrund der beschriebenen Dünenbeschaffenheit und des Windes nur von Süden nach Norden möglich. Eine Tour, die bei mir auch noch ganz oben auf der Liste steht, aber auch eher nichts für Warmduscher.

Wüste an einer Meeresküste.

Die einzige Zufahrt, die zum Sandwich Harbor führt, ist nur bei Ebbe und insbesondere nur von Einheimischen oder zur Selbstüberschätzung neigenden Egomanen befahrbar.

Die Einfahrt zur Lagune Sandwich Harbor ist gänzlich unspektakulär und leicht zu übersehen. Wie bereits erwähnt ist diese Strecke nur bei Ebbe befahrbar, eine genaue Kenntnis der Gezeiten ist unabdingbar. Selbst bei Ebbe sollte man diese Strecke nicht als Selbstfahrer und schon gar nicht allein passieren. Wer es trotzdem nicht lassen kann, sollte Schaufel, Seil, Highjacker und ein Funkgerät definitiv nicht vergessen! Ich wünsche viel Erfolg dabei und bin fürs Erste froh, mit einem ortskundigen Guide unterwegs zu sein.

Sandwich Harbor liegt etwa 42 Kilometer südlich von Walvis Bay in Namibia und ist sowohl die Bezeichnung eines ehemaligen Hafens als der Name der Bucht an sich. Heute ist Sandwich Harbor „nur“ noch eine Lagune, die durch zunehmende Versandung der Meeresbucht entsteht. 1889 wurde der Hafen sowohl politisch als auch wirtschaftlich als Versorgungshafen des damaligen Deutsch-Südwestafrika relevant. Es gab auch eine Fischverarbeitungsanlage und eine Schlachterei. Der Hafen selbst wurde 1893 durch den Hafen von Swakopmund abgelöst.

Zwei Geländefahrzeuge stehen auf Dünen in der Wüste.

Am Ziel angekommen: Auf den Dünen direkt an der sogenannten „Long Wall“. Die letzten Meter werden zu Fuß zurückgelegt.

Wüste an einer Meeresküste.

Der Ausblick von den bis zu 100 Meter hohen Dünen der „Long Wall“ ist einfach unbeschreiblich und atemberaubend.

Die letzten Meter bis zum Dünenkamm der „Long Wall“ werden zu Fuß erklommen, bis der letzte Dünenkamm den Blick in die Ferne und über den Atlantik freigibt. Es ist ein atemberaubender Ausblick: So weit der Blick reicht nichts als gelber Sand, Dünen und der parallel dazu verlaufende Atlantische Ozean. Ein Moment, der in der Realität erlebt werden sollte und dessen Foto nur ein armseliger Ersatz ist. Ich könnte mir vorstellen, dass sich hier jemand zur Idee der „Wall“ in „Game of Thrones“ hat inspirieren lassen.

Namibia ist für mich im Süden insbesondere das Land der Weite, der Einsamkeit und der lebensfeindlichen Bedingungen. Auf der Wall zu sitzen ist, glaube ich, mein persönlicher Favorit zum Thema Weite. Etwas Vergleichbares habe ich ganz einfach noch nicht erlebt.

Wüste an einer Meeresküste.

Nichts außer Sand und Wasser: Die „Long Wall“ läuft parallel zum Atlantischen Ozean.

Wüste an einer Meeresküste.

Ein hundert Meter steiler Abhang führt von der Spitze der Dünen der „Long Wall“ direkt in den Atlantischen Ozean.

Verdammt steil hinunter verläuft der wasserseitige Dünenkamm, knapp 100 Meter bis direkt in den Atlantischen Ozean. Es ist ein herrliches Gefühl, diese Sandabhänge herunterzulaufen, doch heute scheue ich mich vor dem mehr als anstrengenden Aufstieg. Den ganzen Tag könnte ich auf dem Kamm sitzen bleiben und diesen Ausblick genießen.

Ein Geländefahrzeug fährt durch eine Wüste.

Fahrzeuge lassen die Größendimensionen der endlosen Weite der Namibdünen erahnen.

Bei den schwarzen Schattierungen auf den Dünen handelt es sich im Übrigen um Eisen, das einfach abgebaut werden kann: Zieht man einen Magneten durch den Sand, so bleibt das Eisenerz daran haften. Die Namib ist ein sagenhafter Ort in so vielerlei Hinsicht. Ich kann es wirklich nur jedem ans Herz legen, zumindest einmal im Leben einen Fuß in den Sand der Namib zu setzen.

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