zusammengenähte Fotostreifen
29. Dezember 2015 Lesezeit: ~6 Minuten

Wo fängt Fotografie an, wo hört sie auf?

Längst sind die Zeiten langwieriger chemischer Prozesse mit großen, ungestümen Fachkameras vorbei. Zumindest ist uns die Wahl nun selbst überlassen, ob wir diesen oder einen schnelleren, „zeitgemäßeren“ fotografischen Weg wählen.

Auch die Lochkamera, das wohl simpelste „Gerät“ zur Bilderzeugung, ist mittlerweile ersetzt worden von anderem Equipment. Liebhaber nutzen heute beides gern noch, doch es gibt neben diesen altbekannten (und bewährten) Apparaten mittlerweile eine Vielzahl an weiteren, die Bilder erzeugen können. Zudem mit dem „Bonus“, viel mehr Menge an Bildmaterial zu generieren in viel kürzerer Zeit.

Da stellt sich mir immer wieder die Frage: Wo fängt Fotografie an, wo hört sie auf?

Ist bereits das Arbeiten mit lichtempfindlichen Materialien eine Form der fotografischen Bilderzeugung? Wenn wir zum Beispiel ganz ohne Apparatur kameralos eine Cyanotypie anfertigen, Bilder mit Solarpapier erstellen oder sich Chemo- oder Fotogramme entwickeln lassen?

Ist es die Idee im Kopf, mit der alles beginnt, die bereits ein Bild erzeugt, das wir dann vielleicht gezielt in der Welt suchen oder im Studio arrangieren? Entsteht das Bild in dem Moment, in dem wir es fotografieren, den Auslöser betätigen, ganz gleich ob analog oder digital? Welche Rolle spielt hier dann der Zufall?

gepresste Blumen auf einem Stück PapierAbbild von Blumen

Viele Bilder entstehen ganz ohne eine Idee und man sollte den Zufall nicht verteufeln, nur weil er eben passiert ist und etwas nicht geplant wurde. Was macht man nun mit diesem einen Bild? Gehört es dann zu einer Serie? Kombiniere ich es mit weiteren Bildern aus dem Archiv? Darf ich auch mal den Mut haben, zu sagen: „That’s it!“, dieses Bild darf als Einzelwerk stehen?

Oder wirkt die Bildentstehung erst dann wirklich, wenn wir in der Dunkelkammer oder am Rechner sitzen und dem Bild bewusst die Bearbeitung zukommen lassen, die es bekommen soll?

Wer ist eigentlich maßgeblich dafür verantwortlich, wie das Bild bearbeitet wird? Das Bild und sein Inhalt selbst? Unsere Vorstellung vom „guten Bild“? Eine Strömung oder Tendenz in der aktuellen Ästhetik? Eine Gewohnheit oder etwas, das wir irgendwann vermittelt bekommen haben?

Und wann ist diese Bildentstehung dann abgeschlossen? Wann ist ein Bild fertig? Erst, wenn es gerahmt an der Wand hängt? Ausgedruckt oder veröffentlicht ist? Das Bild oder die Bilder in eine feste Form gebracht wurden wie zum Beispiel in einem Buch? Wie legitim ist eine nachträglich Veränderung von dem, was wir bereits als fertig erachtet haben?

Oder, um noch eine weitere Fragereihe aufzuwerfen, wie lang ist zum Beispiel die Nutzung fremder Bildmaterialien, die für ein eigenes Konzept umgesetzt werden, noch „eigenes fotografisches Schaffen“? Was passiert, wenn aus unseren Bildern Schnipsel werden, die geklebt, genäht, kollagiert werden – gehört das noch zur Fotografie, da das Ausgangsmaterial ein fotografisches war? Ab wann wird die Aneignung von fremden Material nicht mehr als eigene Arbeit betrachtet? Ist das eine rein subjektive Entscheidung?

Jeder wird bei meiner Fragestellung wahrscheinlich seinen eigenen Weg gehen und unterschiedliche Ansichten haben. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass „fertig“ für mich wirklich ein nicht ganz einfacher Begriff ist. Und die Fotografie sich immer weiter auffächert, wenn man sich intensiv mit ihr befasst.

Ich selbst habe kürzlich ein Objekt in eine Fotoausstellung meiner Arbeiten einfließen lassen. Dieses Objekt gehörte zum Entstehungsprozess der Fotografien, die in einem Buch zusammengefasst wurden. Mein großer Freund während dieser Arbeit war auch mein Scanner, der analoge Medien digitalisiert auf meinen Rechner brachte, um sie dort weiter zu verarbeiten. Wie legitim ist dies im fotografischen Sinne?

Eine Ausstellung, Fenster, Gardinen und ein Objekt.

Ausstellungsansicht mit eingebautem Objekt

Schon allein die verbalen Unterscheidungen, die uns bei einer Auseinandersetzung mit dem Thema begegnen, sind aufschlussreich. So gibt es zum Beispiel den Fotografen und den Fotokünstler. Liegt hier vielleicht eine Möglichkeit der Auflösung meiner Fragen?

Ist der Fotograf derjenige, der das Bild erstellt, derjenige, der nach technischen Maßstäben eine Fotografie mit einem Apparat entstehen lässt im Sinne von „Auslösen und Festhalten“? Derjenige, der die Technik beherrscht und umsetzt?

Wäre der Fotokünstler dann diejenige Person, die darüber hinausgeht? Die Technik kennt und nutzt, jedoch auch verfremdend und interpretierend eingreift?

Mir erscheint das nicht passend. Würde das doch Fotografen als reine Techniker hinstellen und ihnen sämtliche Kreativität aberkennen. Außer vielleicht Begriffe oder solche Redewendungen wie „kreative Lichtführung“, „besonders in Szene gesetzt“ und „außergewöhnlich inszeniert“. So einfach würde ich es mir nicht machen wollen. Sind denn nicht auch eben diese Redewendungen schon Indiz dafür, dass jeder Fotograf (auch wenn er sich selbst nicht als Künstler bezeichnet) sehr wohl einen ganz bewussten, schöpferischen Einfluss auf seine Arbeit nimmt?

Es scheint also, als bliebe es bei eigener Einschätzung und Wahrnehmung, wo ein fotografisches Bild beginnt und wo es endet. Vielleicht gibt es keine allgemeingültige Formel, die sich auf alles anwenden lässt.

Ich finde es im Bezug zur heutigen Zeit und der Fotografie wichtig, sich selbst nicht zu verschließen, sondern eine Offenheit gegenüber dem Medium beizubehalten. Das meint nicht Meinungslosigkeit, sondern eine Beweglichkeit im Denken. Das Betrachten aus allen (auch den vielleicht persönlich unliebsamen) Blickwinkeln. Denn meines Erachtens ist die Fotografie ein sehr bewegliches Wesen, voller Überraschungen und Verknüpfungen in alle möglichen (künstlerischen) Richtungen.

Der Jahreswechsel bietet nun genügend Möglichkeiten, um sich gedanklich obige Fragen selbst zu stellen. Im Bezug zur eigenen Arbeit, aber auch im Hinblick auf das „große Ganze“ namens Fotografie.

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