Vom Außergewöhnlichen im Gewöhnlichen
Ich bin davon überzeugt, dass man als Fotograf die „besten“ Bilder in seiner gewohnten und vertrauten Lebensumgebung macht, ohne dass man gleich in ein kreatives Tief fällt. So ermöglicht die genaue Beobachtung des täglichen und unmittelbaren Umfelds, die zu Grunde liegenden Strukturen und Muster des städtischen Treibens zu erkennen und in subjektive Bilderwelten zu packen.
Im Mittelpunkt meiner fotografischen Arbeit steht die Offenlegung bzw. Veröffentlichung „verborgener“ urbaner Strukturen und Muster. Die hier gezeigten Fotografien sind ein Auszug aus einem fortlaufenden Projekt, das ausschließlich Fotografien aus Stuttgart zum Gegenstand hat.
Das Ziel ist dabei nicht die typologische Dokumentation von Objekten. So sind meine Serien selten abschließend oder repräsentativ. Im Fokus steht für mich viel mehr meine subjektive Wahrnehmung eines zumeist von den Stadtbewohnern „übersehenen“ und sich permanent verändernden öffentlichen Raumes. Motive sind dabei vorrangig Infrastrukturen, Parks, Schaufenster, Gebäude und Verkehrsbewegungen.
Mit jeder Veränderung eröffnen sich im wahrsten Sinne des Wortes neue Perspektiven, was dieses Thema so fesselnd macht. Essentiell dafür ist lediglich ein wacher Blick für Formen und Linien, sei es beim täglichen Gang zur Arbeit, beim Stadtbummel oder am Sonntagnachmittag beim Spielen mit den Kindern im Park. So sind auch diese hier gezeigten Bilder entstanden. Fotografische Gelegenheiten gibt es nahezu an jeder Straßenecke und bei jedem Wetter.
Wenn ich dann von Zeit zu Zeit auf die immer umfassendere Serie schaue, so finde ich es immer wieder erstaunlich, wie es möglich ist, aus den doch so unterschiedlichen Genres wie unter anderem Staßenfotografie, Architektur, Abstraktionen, Nacht- und Wenig-Licht-Fotografie etwas harmonisches Neues zu extrahieren.
Die hier gezeigten Fotografien korrespondieren miteinander. Sei es aufgrund auffälliger Lichtpunktsetzungen, paralleler Linienführungen oder kontrastreicher Licht- und Schattenspiele. Ich versuche, die abgelichteten Objekte auf prägnante Strukturen zu reduzieren, um dann beim Zusammenstellen von Bildpaaren ein verbindendes Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen Motiven aufzubauen.
Hinzu kommt, dass durch den zumeist zum Himmel orientierten Bildaufbau die Objekte aus ihrer unmittelbaren Umgebung herausgelöst werden und so Größenverhältnisse verschwimmen, wodurch eine sich miteinander verbindende ätherische Wirkung der Bilder ergibt, die zum gedanklichen Ausbrechen aus dem Alltagstrott einlädt und Aufblicken lässt.
Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu anderen einschlägigen Arbeiten zum Thema Stadt ist, dass in meinen Fotografien der Mensch zumeist gar nicht den Weg ins Bild findet. Gleichwohl bestimmt dieser durch sein Wirken die ganze Szenerie, was wiederum auf einer Mischung aus biologischen, geologischen, soziologischen und ökonomischen Vorgängen beruht, wie es der mexikanische Künstler, Schriftsteller und Philosoph Manuel De Landa in seinem Buch „A Thousand Years of Nonlinear History“ von 1997 beschreibt.
Es ist mir ein Anliegen, mit meinen Bildern Alltägliches zu würdigen und dem vorbeieilenden Passanten neue Sichtweisen zu ermöglichen. Für mich sind es weniger die Gegebenheiten und „Verführungen“ fremder und exotischer Orte, die unser tägliches Leben bestimmen, wenngleich diese uns als mediale Flut geradezu ständig überschwemmen.
Wenn es darum geht, das Außergewöhnliche im Gewöhnlichen zu finden, unterscheiden sich Megastädte nicht von anderen Orten. Vieles liegt vor der eigenen Haustür, man muss nur aufmerksam sein, den inneren kreativen Blick in sich finden und diesen Schatz heben. Dieses Verständnis lässt sich anhand eines Zitats des englischen Architekten Colin Lucas (1906 – 1984) treffend zusammenfassen.
I have everything I need right here in front of me, all the creativity, all the energy I need – I just have to dive very deep to find it.