Schneebedecktes Gebirge vor Nadelwald.
05. November 2015 Lesezeit: ~10 Minuten

Im Gespräch mit Owen Perry

Hallo, Owen! Danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview nimmst. Zuerst, erzähl uns doch mal ein bisschen was über Dich: Wer bist Du und was machst Du so?

Ich bin Owen Perry oder „CIRCA 1983“ auf Instagram. Unter diesem Pseudonym mache ich Landschaftsfotografie sowie visuelles und interaktives Design weit draußen an der Küste von Vancouver Island in British Columbia, Kanada. Ich denke, man könnte auch sagen, dass meine Online-Einflüsse eine philosophische und naturschützerische Seite haben.

Schneebedecktes Gebirge vor Nadelwald und einer darauf zuführenden Straße.

An welchen Themen arbeitest Du fotografisch und warum?

Der primäre Gegenstand meiner fotografischen Arbeit sind natürliche Elemente wie Wasser, Wälder und Gebirge. Ich genieße es auch, Menschen und Lebensstile in meine Arbeiten zu integrieren, wenn möglich. Aktivitäten wie Fliegenfischen, Surfen oder einfach Wandern und Erkunden bieten dem Fotografen Perpektiven und Kontexte.

Dieser Kontext, den man hinzufügt, wenn ein Mensch oder Objekt in die Komposition mit einbezogen wird, ist etwas Besonderes. Die Menschen fügen sich unterbewusst beim Betrachten selbst an dieser Stelle ins Foto ein und kreieren so ihre eigene Geschichte oder Bedeutung des Bildes für sich. Dieser Effekt kann für den Betrachter also sehr inspirierend sein und das ist daher ein sehr wichtiger Teil dessen, was ich erreichen möchte.

Wenn Menschen inspiriert werden, rauszugehen, die Welt und Natur zu genießen, werden sie sie auch sehr viel wahrscheinlicher respektieren und beschützen. Wie Rachel Carson sagte: „Umso klarer wir unsere Aufmerksamkeit auf die Wunder und Realitäten des Universums um uns herum richten, desto weniger wird uns der Sinn nach Zerstörung stehen.“ Genau diese Faszination möchte ich auslösen.

Schneebedecktes Gebirge in Dunst und Wolken.

Wie bist Du zur Luftbildfotografie gekommen und was hat Dich dabei bleiben lassen?

Ein Freund von mir hat einen Flugschein und übte gerade, um auch Pilot für Schwimmerflugzeuge zu werden. Er war so nett und bot mir an, dass ich für ein paar Flüge zum Sonnenuntergang mitkommen könne und dabei bin ich der ganzen Sache dann ziemlich schnell verfallen.

Ich bin ziemlich fest davon überzeugt, dass es auch etwas mit dem bergigen Gelände hier in British Columbia zu tun hat, weil ich nicht sicher bin, ob ich das Gleiche fühlen würde, wenn es darum ginge, Luftaufnahmen von der Prärie zu machen. Aber wer weiß, vielleicht würde ich es auch dort lieben.

Wäldchen am Strand zum Sonnenaufgang.

Wie findest Du bzw. suchst Du die Orte aus, die Du fotografieren möchtest?

Ehrlich gesagt habe ich ziemliches Glück, in British Columbia und Kanada zu leben, weil es hier wirklich nicht an eindrucksvollen Orten mangelt. Wenn ich einen fotografischen Ausflug plane, recherchiere ich vorher viel. Das heißt, ich suche nach Bildern, die mir gefallen oder die mich interessieren, finde dann heraus, wo sie gemacht wurden und nehme die Orte in meine Reiseroute auf.

Ansonsten erkunde ich einfach sehr viel die Gegend und lasse mich von dem überraschen, was ich dabei so finde. Die Welt um uns herum ist nur so vollgestopft mit Schönheit, wir müssen nur unsere Augen dafür öffnen – aber wahrlich zu sehen ist eine Fähigkeit, die man richtig trainieren muss.

Ein Mann steht nach oben blickend in einer Felsspalte.Schneeverwehung.

Wie unterscheidet sich Dein Ansatz, wenn Du unterwegs auf Reisen fotografierst von dem, wenn Du zuhause die Landschaft durchstreifst?

Mein Ansatz ist definitiv entspannter, wenn ich zuhause fotografiere. Ich warte einfach auf das perfekte Licht und nehme mir die Zeit, das aufzunehmen, was ich möchte. Es fühlt sich nicht gehetzt an und es gibt keine Dringlichkeit bei der Frage, ob mir die eine Aufnahme nun gelungen ist oder nicht.

Wenn ich unterwegs bin, springe ich manchmal geradezu von einem Ort zum nächsten und bin manchmal gezwungen, unter den ungemütlichsten Lichtbedingungen zu fotografieren. Ich habe weniger Zeit, das alles in mich aufzunehmen und manchmal werde ich einfach nie wieder die Chance haben, eine bestimmte Landschaft noch einmal zu sehen.

Obwohl ich versuche, meine Arbeitsweise unter diesen Bedingungen so weit wie möglich zu entspannen und die einzelnen Momente wertzuschätzen, triebt doch immer noch zu einem gewissen Teil diese Angst meine Reisefotografie an.

Goldener Mond über einer Strandlandschaft bei Sonnenuntergang.

Wie sieht Dein fotografischer Workflow aus?

Wenn ich von einer Fototour nach Hause komme, gehe ich auf meiner Kamera schnell die Fotos durch und lösche alles, was ohnehin nicht in Frage kommt: Fehlfokussierte Bilder und sowas. Dann importiere und sichere ich die Fotos auf zwei separaten Festplatten mit Lightroom.

Anschließend schaue ich die Fotos durch und bewerte sie mit Sternen. Normalerweise kommen nur die mit 4 oder 5 Sternen bewerteten Bilder in die enge Auswahl, aber wenn ich an einem Fotoessay arbeite, kommen auch mal die niedriger bewerteten mit hinein, weil sie vielleicht gut in den Spannungsbogen der ganzen Geschichte passen.

Schneebedecktes Boot auf einem See, im Hintergrund ein Nadelwald.

Nachdem ich allgemeine Anpassungen bei Belichtung, Weißabgleich, Helligkeit, Kontrast, Schärfe und Klarheit gemacht habe, experimentiere ich normalerweise mit einigen selbst erstellten Vorlagen oder solchen von VSCO herum, um auszuprobieren, welchen Effekt sie auf die Stimmung und Tonung der Bilder haben.

Es ist ein ziemlich flexibler Prozess, bei dem ich oft zwischen verschiedenen Bildern einer Serie hin und her springe, um zu sehen, wie das Licht in jedem einzelnen Bild von der Vorlage beeinflusst wird. Manchmal treibe ich eine Bearbeitung wirklich weit in eine Richtung und mache dann eine sehr subtile Bearbeitung zum Vergleich.

Schneebedecktes Gebirge vor Nadelwald.

Dafür nutze ich gern ausgiebig Lightrooms virtuelle Kopien, die mir erlauben, schnell zu experimentieren und Bearbeitungen miteinander zu vergleichen. Es ist auch nicht unnormal für mich, bearbeitete Bilder erst einmal ein paar Tage ruhen zu lassen, bevor ich zu ihnen zurückkehre und erst dann entscheide, ob sie bereit und es wert sind, in die öffentliche Welt entlassen zu werden.

Diese Zeit, die man nicht bei der Bearbeitung verbringt, hat viel Ähnlichkeit mit dem Prozess des Schreibens – iterativ und sich permanent entwickelnd, bis man etwas manchmal einfach loslassen muss. Wenn ich etwas abgeschrieben habe, neige ich aber dazu, die Aufnahmen mit anderen zu ersetzen, bis ich eine Serie von Bildern habe, die wirklich konsistent miteinander funktionieren.

Manchmal gibt es noch kleine, feinere Deteils in meinem Workflow, aber das sind im Wesentlichen die grundsätzlichen Schritte, die ich immer mache.

Wellen rollen in einer Bucht an den Strand.

Hast Du eine persönliche Philosophie der Nachbearbeitung?

Meine Philosophie bei der Nachbearbeitung wird von ein paar Dingen beeinflusst: Zuvorderst ist es das Gefühl, das ich hatte, als ich ein Foto aufgenommen habe. Das ist nicht unbedingt ein Gefühl von Traurigkeit oder Fröhlichkeit oder sonst irgendwie näher verwand mit einer konkreten Emotion, es ist eher wahrnehmungsgesteuert.

Das körperliche Gefühl, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort zu sein. Zum Beispiel je nachdem, ob ein Foto an einem warmen Sommertag oder einem schneidend kalten Herbstmorgen gemacht wurde – ich versuche, diesen körperlichen Sinneseindruck durch die Bildbearbeitung hindurch zu vermitteln.

Nebel steht vor einer Gebirgswand, die mit Nadelwald bewachsen ist und an der ein Fluss herabfließt.Ein Surfer und eine Möwe an einem Strand, der in oranges Licht getaucht ist.

Der andere deutliche Einfluss auf meine Bearbeitungsphilosophie beinhaltet meine Liebe für das Aussehen von analogem und altem Filmmaterial. Die Geschichten von alten Abenteuern oder wissenschaftliche Filme des NFB oder National Geographic. Verschwommene Kindheitserinnerungen. Bestimmte Klänge und Musik. Es ist wirklich schwer, das in Worte zu fassen, aber Fotografie gibt mir die Möglichkeit, einen bestimmten visuellen Stil herauszuarbeiten – etwas, was ich mir wünsche, in der Welt zu sehen.

Wie beeinflussen sich Deine Fotografie und Dein Brotjob gegenseitig oder kontrastieren?

Ich bin in der glücklichen Lage, sagen zu können, dass es nicht wirklich eine große Lücke zwischen dem gibt, was ich mache und dem, was halt mein Job ist. Meine Fotografie wird von Design beeinflusst und umgekehrt. Außerdem wurde die Fotografie immer mehr zu einem wichtigen Teil meines Einkommens und ich bin sehr dankbar dafür.

© Owen Perry

Hast Du fotografische Vorbilder? Und was magst Du an ihnen jeweils ganz besonders?

Wie jeder Fotograf oder Künstler habe auch ich unausweichlich Einflüsse und Inspiration aus den Arbeiten anderer gezogen. Fotografen wie Tim Navis, Kalle Gustafsson, Edward Burtynsky, Roloff Beny, Reuben Wu und Neil Krug sind Schlüsselfiguren für meine stilistische Entwicklung. Es gibt auch musikalische Verbindungen in meiner Arbeit, wie die zu Boards of Canada, Tycho, Bibio und Benoît Pioulard.

Welcher Künstler auch immer mich beeinflusst, es gibt meistens ein bestimmtes Gefühl, das er an mich überträgt. Es ist dieses Gefühl – Du kannst es Nostalgie nennen, wenn Du unbedingt einen Namen dafür brauchst – das ich mit meinen eigenen künstlerischen Bemühungen ebenfalls anzapfe.

© Owen Perry

Hast Du Tipps für Anfänger? Also zum Beispiel Dinge, von denen Du Dir wünschen würdest, dass sie Dir jemand gesagt hätte, als Du mit der (Landschafts-)Fotografie angefangen hast?

Ich kann damit vielleicht nicht für jede Art von Fotografie sprechen, aber zumindest die Landschaftsfotografie ist gleichbedeutend damit, seine eigenen Bewegungen zu verlangsamen und aufmerksam seine Umwelt in sich aufzunehmen. In unserer heutigen Online-Welt geht es ständig um sofortige Anerkennung, was sich aber nicht gut dahin übersetzen lässt, unsere natürliche Umgebung festzuhalten.

Landschaftsfotografie ist ein Geduldsspiel, bei dem man lernt, alles um sich herum in sich aufzunehmen und sich selbst dafür methodisch einzusetzen. 2013 hat Nikon eine (zugegebenermaßen etwas kitschige) Serie von Werbeclips gemacht, die das Konzept aber ziemlich gut transportiert.

© Owen Perry

Was sind Deine Ziele und Träume für die Zukunft?

Im Moment bereite ich gerade eine Ausstellung in Vancouver vor. Es ist erst meine zweite größere Fotoausstellung und alles, was mit dem Drucken meiner Arbeiten zu tun hat, ist für mich immer noch ein Lernprozess. Ich denke, ich möchte daran arbeiten, mehr Möglichkeiten zu finden, meine Arbeiten in öffentliche Räume zu bringen.

Was das Reisen angeht, habe ich keine unmittelbar bevorstehenden Ziele, aber langfristige Träume wie Neufundland, den Nord- und Südpol, Yukon und Alaska, die Baffininsel, Grönland und Patagonien. Sie alle sind auf meiner „Traumliste“.

Das Interview wurde auf Englisch geführt und anschließend von Aileen für Euch ins Deutsche übersetzt.

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