Sepp Werkmeister: Ein Portrait
Das Erste, was auffällt, wenn man Sepp Werkmeister begegnet, sind diese hellen, sehr wachen Augen, denen nichts zu entgehen scheint, die ihr Gegenüber mit freundlichem Interesse mustern. Zusammen mit meiner Frau bin ich heute bei Sepp Werkmeister, um ihn zu seinem fotografischen Schaffen zu befragen, speziell auch zu seiner Straßenfotografie, die in einer Ausstellung derzeit im Münchner Stadtmuseum zu sehen ist.
Begonnen hatte alles damit, dass ich über die Website des Verlags Hirmer auf sein Buch „New York 60s Photographs“* stieß. Werkmeister hatte sich eigentlich längst einen Namen mit seinen berühmten Portraits von Jazzmusikern gemacht. Seine Bilder zieren unzählige Plattencover, „Das Jazzbuch“* von Joachim-Ernst Behrendt enthält mehrheitlich Bilder von Werkmeister.
Für das Gespräch hatte ich mir vorgenommen, Werkmeister gezielt dazu zu befragen, wie er zur Fotografie und genauer zur Straßenfotografie kam, was ihn beeinflusst hat, wie er überhaupt in Kontakt mit anderen Fotografen kam. Kein einfaches Unterfangen bei einem Mann, der einen derart umfangreichen Schatz an Geschichten und Anekdoten auf Lager hat.
Schon im Alter von zehn Jahren bekam Werkmeister seine erste Kamera geschenkt, eine einfache Box-Kamera. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann er, viel zu fotografieren. Das zerstörte München, Landschaften und immer wieder Portraits. Gleichzeitig entdeckte er die Liebe zum Jazz und mit großem Ehrgeiz spielte er auf dem Kornett. Am Ende musste das eigene Spiel dennoch hintanstehen, die Liebe zu dieser Musik lässt ihn bis heute jedoch nicht los.
Tatsächlich war es für seine weitere fotografische Karriere nicht unwichtig, dass Werkmeisters 1954 gegründete Reprotechnik-Firma den Satz der Zeitschriften Quick, twen, Bravo, Fix und Foxi und sogar des Rolling Stone besorgte. Willy Fleckhaus war für das Erscheinungsbild der twen verantwortlich und für die Bilder sollte ein neuer, grobkörniger Stil gefunden werden – eine Aufgabe, der sich Werkmeister stellte.
Ebenfalls in den 50er Jahren lernte er den Jazz-Papst Joachim-Ernst Behrendt kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Die Fotografie, nun hauptsächlich von Jazzmusikern, die sich in München die Klinke in die Hand gaben, und der Reprobetrieb ergänzten sich da wohl gut.
1965 kommt er auf Einladung von Behrendt das erste Mal nach New York und genau da entsteht die Hinwendung zur Straßenfotografie. Abseits des Glamour der teuren Clubs macht er sich auf den Weg und durchstreift die Straßen der Metropole. Angst hat er keine und so macht er sich auch auf den Weg nach Harlem. Er fotografiert den Hinterhof New Yorks, das Leben der schwarzen Bevölkerung, zeigt das Elend, stellt den Gegensatz her zum Reichtum in Manhattan.
Oft hat er die zweiäugige Rolleiflex dabei in einer braunen Papiertüte mit Löchern drin, um so möglichst unauffällig fotografieren zu können. Neben der Rolleiflex führt er noch eine zweite Kamera mit sich, geladen mit Farbfilm. Je nach Situation kann er so entweder schwarzweiß oder in Farbe fotografieren. Die schwarzweißen Filme entwickelt er seit Jahren selbst in der eigenen Dunkelkammer, die Farbfilme – Kodachrome – lässt er entwickeln.
Einmal trifft er in einem kleinen Museum, in dem Schrumpfköpfe ausgestellt werden, auf Diane Arbus. Sein Begleiter kennt sie, sie werden einander vorgestellt. Als er auf ihre Frage hin erklärt, dass er auf der Straße fotografiert, sagt sie nur: „Du fotografierst auf der Straße? Da tragen doch alle nur noch Masken!“ Werkmeister ist bis heute von Arbus beeindruckt, er schätzt ihre Fotografien, ihre Einfühlsamkeit. Zwei Jahre nach dieser Begegnung beging sie in Folge immer stärkerer Depressionen Selbstmord.
Im Laufe des Gesprächs wenden wir uns natürlich auch der Fotografie von Werkmeister zu. Die Bilder, die im Buch und in der Ausstellung zu finden sind, seien das Eine, meint er. Daneben ist unverkennbar, dass seine Zuneigung auch noch anderen, bisher nicht veröffentlichten Bildern gilt. Einige davon sind in diesem Artikel zu finden. Was mich bei der gemeinsamen Durchsicht mit ihm beeindruckt hat, ist, wie genau er davon erzählen kann, wie die Bilder entstanden sind. Sie sind ihm vertraut, wie alte Freunde.
Kennzeichnend für seine Fotografie ist der Respekt vor den fotografierten Menschen. Er mag seine Protagonisten, er lässt sie nicht in einem schlechten Licht dastehen. Das wache Auge ist eben auch freundlich. Und es sieht so viel. Dennoch lässt er sich nie dazu verleiten, soziale Missstände zu romantisieren. Er zeigt, was ist. Und: Er experimentiert. Mit Farbe, mit Komposition, mit Perspektive.
Werkmeister nennt Andreas Feininger als einen wichtigen Impulsgeber. Die Architekturbilder der Straßenschluchten New Yorks, die vielleicht sogar weniger bekannt sind als seine Straßenfotografie, weisen noch über Feininger hinaus. Werkmeister jedoch wagt es, die Vertikalen der Wolkenkratzer in starker Farbe wiederzugeben und setzt gezielt auch Doppelbelichtungen ein.
Während wir uns unterhalten, mache ich immer wieder Bilder von ihm, wie er mir Bögen mit Fotografien zeigt, wie er besonders wichtige Fotos auf Postern hochhält, beim Erläutern von Musikerportraits – beileibe nicht nur Jazzmusiker, sondern auch Sänger wie Hermann Prey oder Fritz Wunderlich. Am Ende unserer Unterhaltung erzählt er eine Anekdote, wie er einst einem Konzert von Duke Ellington in einem Studio des Südwestfunks im Schwarzwald beiwohnte.
Währenddessen machte er keine einzige Aufnahme, sondern lauschte gebannt der Musik. Die guten Bilder entstanden danach, als Ellington nach einer Pause im Studio weiterspielte, bis 5 Uhr morgens. Danach machte Werkmeister sich auf den Rückweg nach München und entwickelte in Windeseile die Bilder, um Ellington dann nachmittags im Hotel zu treffen, der zwischenzeitlich ebenfalls in München eingetroffen war.
Ellington schaute die Abzüge rasch durch, wählte zielsicher zwei Aufnahmen aus und bestellte jeweils 1.000 Abzüge davon, zu liefern in die USA. Werkmeisters Erzählungen machen Geschichte sehr lebendig.
Auch, wenn wir durch den Schwerpunkt auf der Straßenfotografie über eine weit zurückliegende Vergangenheit reden, lebt Werkmeister nicht in der Vergangenheit. Den Bogen zur Gegenwart schlägt er schnell. Als wir über die von ihm damals verwendeten Kameras sprechen, stellt er schnell klar, dass er in der digitalen Fotografie in jeder Hinsicht den Fortschritt sieht. Mit der analogen Fotografie habe er abgeschlossen.
Was würde er heute fotografieren, wenn er jünger wäre? Er kommt auf die derzeitige Flüchtlingskrise zu sprechen. Man müsse die Menschen über längere Zeit verfolgen, wie sie ihren Weg hier in Deutschland gehen, ihre Schwierigkeiten, aber auch ihre Erfolge. Er verweist als Zeitzeuge auf die Erfahrungen, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg mit den großen Flüchtlingszahlen gemacht hat und wie ganze Städte für Flüchtlinge gebaut wurden.
Unser Gespräch dauert wesentlich länger als geplant, auch deshalb, weil ich ihn spontan noch ein zweites Mal aufgesucht habe. Der Umgang mit ihm und seiner Frau, die ihn auf’s Wunderbarste ergänzt, fasziniert, ganz unabhängig von der Fotografie. Eine Beobachtung, die meine Frau und ich unabhängig voneinander machten. Was ich für mich von diesem jungen 84-jährigen Fotografen mitnehme, neben seiner Liebe zum Menschen, ist der Satz: „Man kann jeden Tag etwas lernen. Immer.“
Die Ausstellung mit Sepp Werkmeisters Arbeiten im Münchner Stadtmuseum läuft noch bis zum 27. September 2015. Neben seinen Bildern ist auch ein Film zu sehen, den er in dieser Zeit in New York mit einer Super-8-Kamera gedreht hat.
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