Schattenspiele mit unterschiedlich großen Menschen.
03. September 2015 Lesezeit: ~5 Minuten

Straßenfotografie im Werden

Seit vier Jahren arbeite ich als freiberuflicher Fotograf in der Schweiz. Schwerpunkt im Bereich der Presse, momentan aber auch viel Auftragsfotografie; von Architektur bis Hochzeiten ist alles dabei. Persönlich sehe ich mich aber als Straßenfotograf. Auch wenn ich das Wort nicht besonders schätze, beschreibt es doch sehr treffend die Tätigkeit. Neben dem Studium und der Arbeit verbringe ich viel Zeit auf der Straße.

Begonnen hat es vor vier Jahren nach dem Abschluss der Schule. Die Blumen im Garten und die Familie zu fotografieren war gut und recht, aber auf Dauer zu einfach. Ich wollte Konfrontation, mehr Aktion, mehr Reaktion. Es zog mich nach draußen. Jede Straße in meiner Stadt erkundete ich und wenn es interessant oder unangenehm wurde, dann machte ich ein Bild.

Die Herangehensweise an Menschen und das unauffällige Bewegen vor dem Motiv brachte ich mir selbst bei. Auf der Straße war ich ein Artillerieschütze: Ich flanierte durch die Stadt, sah das Bild, drückte ab und war schnell wieder weg.

Spiegelung mit Blick auf eine Straße von oben.

Natürlich tummelte ich mich recht bald auf den einschlägigen Foren im Web. Doch die schlauen Blogs mit Tipps und Ideen für Straßenfotografen gaben mir immer das Gefühl, dass ich es falsch und eigentlich anderes machen sollte; und die Zeit zum Lesen besser draußen beim Fotografieren verbringen könnte. Deshalb wendete ich mich davon bald wieder ab.

Zu Beginn war ich sehr überzeugt von meiner Fotografie. Doch im Austausch mit anderen wurde das oft relativiert. Ich bemerkte, wie vollkommen blind ich teilweise meine Fotografien betrachtete und wichtige Dinge nicht bemerkte.

Das wurde vor allem im Rückblick auf ältere Fotografien sehr deutlich: Huch, da geht ja eine Linie durch den Kopf, die ich damals nicht bemerkt hatte.

Blick nach oben: Vorhang und ein geöffnetes Fenster.

Mit dieser Selbstüberschätzung war es auch schwer, mich zu einem Fotografie–Studium zu bewegen. Ich wusste genau, was ich nicht wollte. Die Frage war dann aber: Welche Schule mit welchem Schwerpunkt ist die richtige?

Modefotografen, die schöne Frauen fotografierten, habe ich verachtet und Werbefotografie war ja eigentlich auch ein Pakt mit dem Teufel. Damals hatte ich doch eine etwas festgefahrene Meinung. Mit meiner Leica im Gepäck, die ich mir extra für das Studium gekauft hatte, steuerte ich dann recht zielsicher Berlin und die Ostkreuzschule für Fotografie an.

Eine Person vor Lichtstäben.Ein Mann mit Sonnenbrille macht eine Handbewegung und guckt in die Kamera.

Die Agentur Ostkreuz als großes Vorbild wie auch Magnum waren Grund genug, mich dort zu bewerben. Berlin war für mich als Auslandsschweizer ein großer Schock, aber genau das Richtige, um von „zuhause“ auszuziehen und selbstständig zu werden.

Im Studium wurde ich mit (für mich) anfangs banalen Aufgaben konfrontiert, doch dadurch eröffneten sich ganz neue Einblicke.

Eine Frau läuft eine Treppe nach oben.

Als endlich auch Straßenfotografie ein Thema wurde, war ich voll in meinem Element. Grundsätzlich habe ich aber meine eigenen Fotografien im ersten Jahr komplett aus dem Studium rausgehalten.

Es war immer ein Zwiespalt, die neuen Erfahrungen anzunehmen und sich gleichzeitig seinen Stil zu bewahren. Ich wollte mich auch weiterentwickeln. Im jetzt dritten Semester hatte ich mich wieder an die Straße gewagt. In einer Semesteraufgabe mit dem Titel „Berlin“. Alle 14 Tage wurden die Bilder besprochen.

Ein älterer Herr läuft auf die Kamera zu.

Doch die Kritik, mit der ich nun auch deutlich besser umgehen konnte, brachte mich trotzdem erst einmal raus. Denn ich machte mir Gedanken über meine Bilder, die Vorgehensweisse und das Auftreten – wie ich es schon lange nicht mehr getan hatte. Das alles passierte in einer Phase, in der ich generell etwas unzufrieden mit mir war.

Ich fotografierte nicht die Bilder, die ich mir vorstellte, obwohl ich keine feste Vorstellung hatte, sondern nur die Frage war, ob es das Bild ist oder eben nicht. Derzeit „funktioniert“ das Fotografieren, wie ich es bisher gemacht habe, nicht so wirklich. Stattdessen frage ich die Menschen direkt um ein Bild – sie sind viel freundlicher als erwartet.

Blick auf einen Innenhof.

Für mich kommt es darauf an, was man aus der Fotografie macht. Ich probiere viel aus, um Erfahrungen zu sammeln. Bis heute möchte ich mich in der Art, wie ich fotografiere, nicht festlegen. Als junger Fotograf kann ich leider noch nicht wählerisch mit meinen Aufträge sein. Ich nehme, was kommt.

Vor einigen Tagen hatte ich mit einem Galeristen aus der Schweiz ein Portfolio-Review. „Die Bilder gefallen mir und man sieht, wer Deine Vorbilder sind und wo Du Dir Deine Inspirationen holst“, so seine Aussage. Mehrheitlich habe ich Serien aus dem Studium und von Reisen gezeigt, aber ein generelles Thema fehlt mir, wenn man es so betrachtet.

Eine Frau lehnt sich in der Bahn ans Fenster.

Ein gutes Thema wird neben der geliebten Straße sehr wichtig sein, um mich gegen die Flut von Fotografen zu behaupten. Dabei will ich aber nicht über Syrien, Flüchtlinge, die Ukraine oder Umweltkatastrophen berichten. Die Suche im meiner unmittelbaren Umgebung scheint mir deutlich sinnvoller. „Warum in die Ferne schweifen…“

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