Hold Still
Die meisten Leute neigen dazu, sich zu berühren, wenn ich sie darum bitte, sich einen Moment Zeit für ein Foto zu nehmen. Das lässt mich darüber nachdenken, wie gut wir uns kennen, auch uns selbst. Wir haben diese Idee davon, wie wir uns selbst sehen und doch sind wir vielleicht überrascht oder gar peinlich berührt, wenn wir sehen, wie wir auf einem Foto aussehen.
Was erlauben wir gegenseitig unseren Partner*innen, dass sie von uns sehen? Was verstecken wir lieber und worauf sind wir stolz? Auch wenn wir die anderen nicht sehen, sind sie doch da. Wir bekommen auf gewisse Art und Weise vier Augen.
Über den Zeitraum eines Jahres habe ich mich jede Woche dazu herausgefordert, eine neue Skizze für ein Projekt zu entwerfen und sie jeden Freitag auf meiner Webseite zu veröffentlichen. Diese kleinen Projekte variieren von Portraits über Landschaften bis zu kleinen Details, die mir in meinem Alltag auffallen. Meine Inspiration kommt von vielen Dingen.
Manchmal waren die Konzepte dafür schon seit Jahren in meinem Kopf und manchmal entstanden sie durch etwas, das ich in dieser Woche sah. Da die Projekte innerhalb einer Woche fertiggestellt werden mussten und ich auch Zeit für andere Aufträge und Projekte brauchte, arbeitete ich oft eher spontan daran. Ein Konzept kann irgendwo einen Anfang haben und ein gänzlich anderes Ende nehmen.
Die Serie „Hold Still„ entstand aus der Idee eines schönen Fehlers. Immer, wenn man mit einer Kamera mit Schlitzverschluss arbeitet, gibt es eine maximale Blitzsynchronisationszeit, mit der man einen Blitz verwenden kann. Diese Zeit steht für die Verschlusszeit, die den Sensor ganz freigibt und nicht von Teilen des Verschlussvorhangs verdeckt wird, so dass man einen Blitz benutzen kann. Wählt man eine schnellere Verschlusszeit, wird der Sensor nicht vollständig belichtet.
Der Effekt des Verschlussvorhangs, der den Sensor bedeckt, wird sichtbar, Teile des Bildes werden nur vom vorhandenen Licht ausgeleuchtet, nicht aber vom Blitz, da Teile des Sensors noch bedeckt waren, als der Blitz ausgelöst wurde. Normalerweise wird das Resultat als fehlerhaft betrachtet, ich entschied mich jedoch, die Schönheit darin zu sehen und es zu meinem Vorteil zu nutzen.
Auf der Straße hielt ich Ausschau nach jungen Paaren und Freund*innen, die ich um ein Foto bat. Ich wollte nicht, dass das Ergebnis davon beeinflusst wird, weshalb ich ihnen nichts davon erzählte, dass nur eine Person auf dem Bild zu erkennen sein würde. Obwohl auf den Bildern ganz klar zu erkennen ist, dass mehrere Personen fotografiert wurden, neigt man dazu, sich auf die eine erkennbare Person zu konzentrieren, da die andere abgedunkelt ist.
Plötzlich beginnt man, andere Dinge wahrzunehmen, als einem auffallen würden, wenn man sie als Paar betrachtet. Man betrachtet sie als Individuum. Wer ist diese Person? Welchen Stil hat sie? Fühlt sie sich wohl in der Situation?
Auf der anderen Seite konzentriert man sich auch auf die Beziehung zur anderen Person. Wie stehen sie zueinander? Auf welche Art halten sie sich gegenseitig? Ist es eine Geste der Liebe oder der Freundschaft?
Mir wurde klar, dass man die Personen in einem anderen Licht sieht. Ein einfacher Effekt kann die Art und Weise verändern, wie wir über Personen denken. Der Kontext ist verändert, aber nicht vollständig gelöscht.
Dieser Artikel wurde für Euch von Chris Hieronimus aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.