Es darf genascht werden
Auch wenn jede meiner Arbeiten sehr persönlich ist, so traue ich mir zu – zwar nur vorsichtig, aber doch – zu behaupten, dass diese Serie meine vielleicht persönlichste ist, an der ich bis zu diesem Zeitpunkt gearbeitet habe.
„Es darf genascht werden“ ist deswegen so persönlich, weil es sich um eine Auseinandersetzung mit dem Thema Sucht handelt. Das Online-Lexikon für Psychologie und Pädagogik definiert den Terminus wie folgt:
Sucht bezeichnet das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung einer Persönlichkeit und zerstört die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen eines Individuums. Den sog. stoffgebundenen Süchten (z. B. Alkohol-, Nikotin-, Heroinsucht) kommt dabei nur eine repräsentative Bedeutung zu.
Sie veranschaulichen in zwar drastischer, aber zugleich auch einschränkender Weise eine Erscheinung, der man auf allen Gebieten des menschlichen Erlebens und Verhaltens begegnen kann. Ob Arbeiten, Sammeln, Machtstreben, Kaufen, Spielen oder Sexualität – jede Form menschlichen Interesses kann in süchtiger Weise erkranken.
Obwohl, wie auf den ersten Blick erkennbar, die Serie im speziellen die Nikotinsucht visuell umsetzt, ist dies jedoch viel mehr als Metapher für jedwede Art der Sucht zu verstehen, seien es stoffgebundene Süchte oder psychische.
Für die Serie habe ich circa zwei Monate lang die Zigaretten gesammelt, die mein Freund und ich zusammen geraucht haben, um dann die Badewanne mit Wasser und den Stummeln zu füllen. Da es die Zigaretten sowohl von meinem Freund als auch von mir waren, war es mir wichtig, dass auf zumindest einem Bild wir beide darauf zu sehen sind.
Für die restlichen Bilder der Serie „musste“ (wie man sich vorstellen kann, hat es einiges an Überzeugungsarbeit gebraucht) aus praktischen Gründen nur er herhalten: Die Close-Ups wären natürlich mit uns beiden auch spannend gewesen, das hätte aber die Umsetzung der Serie wahnsinnig verkompliziert und vor allem auch verlängert. Und wir waren natürlich sehr froh, als das Fotografieren nach relativ kurzer Zeit abgeschlossen war.
Die zwei Monate des Sammelns habe ich ausgiebig genutzt, um mir zu jedem Bild eine Skizze anzufertigen. Normalerweise widerspricht das meiner doch recht spontanen und emotional geleiteten Arbeitsweise. Hier war es jedoch wichtig, beim ersten Mal alles „richtig“ zu machen, da wir die Fotosession nicht so einfach hätten wiederholen können.
Mir war von Anfang an bewusst, dass diese Erfahrung alles andere als angenehm werden würde, aber genau diese Konfrontation mit der eigenen Grenze suchte ich in dieser Arbeit.
Das einzige Problem war, dass die Bilder anfangs nicht den Bildern, die ich über den zwei Monate langen Vorbereitungszeitraum in meinem Kopf perfektioniert hatte, entsprachen. Ich bin mir sicher, dass es da vielen Künstlern so geht. Je länger man mit der Ausführung einer Idee wartet, desto klarer wird das Bild vor dem geistigen Auge, aber desto schwieriger wird es auch, diesem Bild gerecht zu werden. So brauchte es einiges an zeitlichem Abstand, bis ich meine Arbeit richtig zu schätzen gelernt hatte.
Die erste Reaktion war bis jetzt ohne Ausnahme immer ein Ausdruck des Ekels. Das kann ich natürlich vollkommen nachvollziehen – einerseits natürlich wegen des ästhetischen Inhalts, andererseits wird niemand gern mit dem Thema konfrontiert.
Das Ziel dessen, mich mit meiner eigenen Sucht zu konfrontieren, war nicht unbedingt, mich dazu zu bringen, das Rauchen aufzugeben. Viel mehr ging es mir darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie sorglos wir teilweise mit unseren Körpern umgehen.