Das Kameraband
Eigentlich kannte ich dieses Mädchen bereits einige Zeit durch ihre Fotos auf Flickr und seit Kurzem über diverse Facebook-Chats und Skype-Dates, aber London war die Stadt, in der ich diese junge, talentierte Fotografin aus Norwegen das erste Mal persönlich treffen durfte.
Ihr Name ist Silje Tveitnes und ich kann mich noch genau erinnern, wie unsere Gruppe von Fotografen in einem Hostel nahe der Oxfort Street saß und wir nur noch auf sie warteten. Als sie mir schrieb: „We are close!!“, gingen alle nach draußen, um sie zu dort erwartungsvoll in Empfang zu nehmen. Alle, die zu diesem „London Flickr Meetup“ gereist waren, bekamen eine herzliche Umarmung, inklusive mir. Ein wunderbarer Start.
Unsere Gruppe aus acht Fotografen saß dann noch bis in die Nacht in der Bar des Hostels, um sich besser kennen zu lernen und endlich von Angesicht zu Angesicht miteinander reden zu können. Als es spät wurde, ging einer nach dem anderen etwas Energie für den nächsten Tag zu tanken, bis nur noch Silje und ich übrig waren.
Es fühlte sich so an, als ob wir uns schon seit einer Ewigkeit kannten, obwohl wir uns gerade zum ersten Mal wirklich trafen und wir vertieften uns in lange Gespräche, bevor wir uns schließlich auch auf unsere Zimmer zurückzogen.
Nach einem aufregenden Tag mit den anderen, verbrachten Silje und ich den Abend zu zweit in den Straßen von London auf der Suche nach einer gemütlichen Bank. Ich hatte einige Wochen zuvor einen Traum gehabt, in dem ich mit ihr auf einer Bank mitten in London saß. Davon hatte ich ihr erzählt und sie hatte vorgeschlagen, dass wir beim Meetup einfach nach solch einer Bank Ausschau halten sollten.
Nach einigem Suchen – Bänke sind in der Londoner Innenstadt überraschend schwer zu finden – stießen wir dann doch auf ein ruhiges Plätzchen inklusive Bank. Auch an diesem Abend fühlte es sich so an, als ob wir uns schon viel länger kennen würden. Es fühlte sich einfach richtig an, in ihrer Nähe zu sein. Sie hatte offensichtlich das gleiche Gefühl, denn der Abend endete in einem langersehnten Kuss. Es war einfach perfekt und nichts hätte diese Glücksgefühle trüben können.
Am nächsten Tag wachte ich mit einem Lächeln auf, es fühlte sich großartig an. Aber bereits im Laufe des Tages schoss mir immer wieder ein Gedanke in den Kopf: Entfernung. „Ich lebe in Österreich, sie in Norwegen. Was zum Teufel tue ich da?“ Wie stellten wir uns das vor? Zu diesem Zeitpunkt dachte ich mir nur, dass das nie funktionieren könnte.
Das Ende des Meetups kam natürlich viel zu schnell und jeder unserer Gruppe machte sich wieder auf den Weg nach Hause. Auch Silje und ich traten unsere Wege in verschiedene Himmelsrichtungen an. Auf dem Weg nach Hause dachte ich immer wieder an die vielen neuen Gesichter, die ich kennengelernt, an die Abenteuer, die wir in der Stadt erlebt und an die Fotos, die wir gemacht hatten.
Doch am meisten dachte ich an die erste Umarmung, unsere Gespräche am Abend auf der Bank und vor allem an den ersten Kuss mit ihr. Dieses Mädchen hatte etwas an sich, das mich nicht mehr los ließ. Es tat weh, nach Hause zu fliegen, ohne zu wissen, wann oder ob ich sie jemals wieder sehen würde.
In den nächsten Tagen und Wochen skypten wir mehr den je und trotzdem stand etwas unausgesprochen zwischen uns. Auf einer Schulreise nach Spanien wurde mir dann bewusst, dass es so nicht weitergehen konnte. Nach einer Woche ohne Kontakt vermisste ich sie so sehr, dass ich sie einfach aus Valencia anrief, nur um ihre Stimme zu hören.
Das Gespräch dauerte 90 Minuten und spiegelte sich dementsprechend auf meiner Telefonrechnung wider, aber das war mir egal. Todesmutig fragte ich sie, ob wir es nicht einfach probieren sollten. Meine Erleichterung, als sie dem Experiment „Fernbeziehung“ zustimmte, war riesig.
Das Treffen in London ist mittlerweile zwei Jahre her. Ich sitze gerade in einem Flieger auf dem Weg nach Wien, auf dem Heimweg von einem der unzähligen, viel zu kurzen Besuche in Norwegen. Es wird jedoch das letzte Mal für eine lange Zeit sein, dass ich Österreich als mein Zuhause bezeichne, denn in zwei Monaten, nach zwei Jahren Fernbeziehung, kann ich endlich zu meiner großen Liebe nach Norwegen ziehen.
Es wird das erste Mal sein, dass wir im gleichen Land leben. Es ist der nächste Schritt in unserem Experiment, von dem außer uns fast niemand geglaubt hat, dass es funktionieren könnte.
Es war die Fotografie, die uns zusammen gebracht und uns verbunden hat, wenn viel zu viele Kilometer zwischen uns lagen. Wir haben zusammen Fotourlaube gemacht und Fotoprojekte erarbeitet. Ich kann es nicht erwarten, unser neues Leben in Bildern festzuhalten, um unsere Geschichte weiterzuerzählen.
Morgen erzählt uns Silje selbst die Geschichte aus ihrer Sicht.