Cannes mit Weitwinkel und ohne Akkreditierung
Das erste Mal ging ich 2013 zum Filmfestival in Cannes. Obwohl ich normalerweise eher an ruhigeren und sozial interessanten Geschichten interessiert bin, habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, da ich einen Platz zum Übernachten in Cannes hatte und es liebe, an geschäftigen, brummenden Orten zu fotografieren.
Ich war jeden Tag auf dem Festival fotografieren, aber am Ende der Veranstaltung realisierte ich, dass ich nicht genug Bilder gesammelt hatte, die ich für stark genug hielt, die Geschichte zu erzählen, die ich rüberbringen wollte. Also bin ich im nächsten Jahr noch einmal hingefahren.
Dann versuchte ich, eine Presse-Akkreditierung für das Festival 2014 zu bekommen, bevor mir auffiel, dass alles, was dieser Pass mir erlauben würde, war, mich ebenfalls in die Reihe der Paparazzi zu stellen und die offiziellen Foto-Gelegenheiten der Stars und Sternchen wahrzunehmen – etwas, woran ich absolut kein Interesse hatte.
Also entschied ich, einen Schritt zurück zu machen und das Festival ebenso zu fotografieren wie ich es 2013 getan hatte – vom öffentlichen Standpunkt aus. Ich lief also herum, stellte mich an und wartete gemeinsam mit der Öffentlichkeit. Meistens richtete ich meine Linse auf ebendiese Öffentlichkeit, deren Verhalten ich so viel interessanter fand als die choreografierten Auftritte der Filmindustrie-Profis.
Jeden Abend schaute ich mir auf dem Bildschirm die Bilder an, die ich an diesem Tag gemacht hatte und war jedes Mal enttäuscht. Immer, wenn ich nach Hause kam, hatte ich das Gefühl, nicht das zu haben, was ich wollte. Ich gab die Idee einer Serie komplett auf und an diesem Punkt hörte ich auch auf, eine logische, lineare Geschichte erzählen zu wollen. Ich ließ kleine Abzüge meiner Lieblingsbilder machen und schob sie herum. Es fing an, zu funktionieren.
Was ich ebenfalls mag, ist die Herausforderung, einen kurzen, knackigen Text zu einer Serie von Fotos zu schreiben und ich versuche immer, meine Geschichten so gut wie möglich zu recherchieren. Ich verwende fast so viel Zeit für die Recherche wie für die Fotos selbst. Es folgen ein paar der Fakten, die ich gesammelt habe und Gedanken, die ich hatte.
Das Filmfestival Cannes zeigt eine breite Spanne von Filmen und es brüstet sich selbst damit, aufstrebende Talente und eine große Palette fremdsprachiger Filme zu präsentieren. Das Festival unterstützt sowohl traditionelle Künstler sowie innovative, Möglichkeiten überschreitende Produktionen.
Es ist auch eine glatte, wohlgeölte, aufmerksamkeitsheischende Geld-Maschine. Das jährliche Budget beträgt etwa 20 Millionen Euro und die Veranstaltung spielt wiederum 25 Millionen Euro in nur zwölf Tagen ein.
Jedes Jahr verdreifacht sich die Bevölkerung von Cannes beinahe von 70.000 auf 200.000 während des jährlichen Filmfestivals. Schauspieler, Regisseure, Produzenten, Manager, Fans, Playboys, Callgirls und Hoffnungsvolle strömen in Scharen nach Cannes zum Festival. In 2013 nahmen über 4.000 Journalisten daran teil. Kenner der Filmindustrie halten das Festival für die weltweite Gelegenheit Nummer eins, um Verträge abzuschließen und nützliche Kontakte zu knüpfen.
Das Festival zieht ebenfalls mehr Trittbrettfahrer an als jedes andere. Tausende wohlhabender Promis und Lust Suchender tauchen bei dem auf, was sie für die größte Party des Jahres halten. Es gibt dort eine mit Sex, Alkohol und Drogen angefüllte Subkultur, die das schillernde Festival umgibt.
Geschätzte 200 Callgirls, die durchschnittlich 3.000 € pro Nacht verdienen, strömen in jeder Nacht in die großen Hotels und wieder hinaus. Es gibt sogar einige „Yacht-Mädchen“, die fest auf den Yachten im alten Hafen eingesetzt sind. Gerüchten zufolge ist der Übergang zwischen professionellen Prostituierten und C-Schauspielerinnen oder Modellen, die für Geld Sex mit reichen Männern haben, fließend.
Im Jahr 2014 behielten etwa 200 örtliche Polizisten die Straßen von Cannes im Auge, nachdem es 2013 einen gewaltigen Juwelenraub gab. Zusätzlich gab es noch etwa 400 private Sicherheitsbeamte und bewaffneten Polizeischutz.
Und schlussendlich gibt es da noch die Horden enthusiastischer Fans. Sie sind die Film-Gucker, die die Industrie am Leben und im Fluss erhalten. Sie bekommen nur selten Karten für die Filme und werden eher nicht zu den Parties eingeladen. Sie scheinen damit glücklich zu sein, ab und zu einen Blick auf ihren Lieblingsschauspieler erhaschen und begierig die glitzernde, schillernde Atmosphäre aufsaugen zu können.
Dieser Artikel wurde von Aileen Wessely für Euch aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.