Martin Gommel, Spiegelbild
11. März 2014 Lesezeit: ~8 Minuten

Die Redaktion stellt sich vor: Martin Gommel

Ihr kennt das. Wer auf kwerfeldein redaktionell mitwirkt, stellt sich irgendwann vor. Schließlich sollt Ihr wissen, wer hier schreibt und tut und macht. Letzte Woche überlegte ich: Hey, Martin, gerade als Herausgeber und Chefredakteur solltest Du das auch machen.

Denn es gibt zwar viele Leser, die hier schon von Anfang an dabei sind, aber einige kennen mich bisher auch nur von den letzten Artikeln. Und seitdem ich „nur“ noch Herausgeber bin, hat sich meine Artikelfrequenz um das Zigfache verringert. Woher sollen die Leute denn dann wissen, wer ich bin?

Also gut. Ich habe 2005 mit dem Fotografieren angefangen. Meine heutige Frau hatte ihre kleine Kompaktkamera dabei und drückte sie mir in die Hand. Ich fing an und fing vor allem: Feuer.

Nun sind bald zehn Jahre um und ich kann heute sagen, dass die Fotografie mein Leben verändert hat. Das klingt nun furchtbar pathetisch, ich weiß.

Mann am Fenster © Martin Gommel

In der Zwischenzeit habe ich Landschaften, Portraits, Hochzeiten, Familien und Kinder fotografiert. Ich habe alles ausprobiert und festgestellt, dass mir die Straßenfotografie sehr viel bedeutet.

Zehn Jahre hört sich erstmal riesig an, ich aber sage: Pups gemacht. Jeder Tag ist für mich ein neuer Anfang. Ganz innen drin in mir fühle ich mich wie jemand, der gerade erst in die Bahn namens „Fotografie“ eingestiegen ist.

Denn ich sehe noch so viel vor mir, was es zu entdecken gibt. Damit meine ich das Leben. Jeder Tag ist neu, das Licht anders und Onkel Bert auf der Straße hat heute lila Schuhe an und guckt etwas gequälter als gestern. Mit der Kamera halte ich das fest, was ich sehe.

Ich bin jemand, der nach diesem einen, ganz speziellen Bild sucht. In dem alles stimmt. Meine Fotos leben nicht von Serien und ich will auch keine Geschichten erzählen. Ich stelle mir nicht morgens die Frage: Hm, was will ich heute mit der Kamera sagen? Es soll ja Leute geben, die so etwas komplett durchformuliert haben.

Meine Kamera spricht nicht, sie hat ja keinen Mund. Meine Bilder auch nicht, viel eher zeigen sie das, was ich gesehen habe, als ich an Ort X war. Meine Fotos zeigen, was ist. Sie sind nicht Ausdruck meiner innersten Emotionen oder so etwas. Wenn ein Foto entsteht, kommen tausend Dinge zusammen. Wie ich mich dabei fühle, spielt keine große Rolle.

Großer Raum © Martin Gommel

Ich halte mich gern in Städten auf und liebe es, einzelne Szenen mit interessanten Charakteren festzuhalten. Dabei agiere ich meist aus dem Moment heraus. Wann und wen ich fotografiere, entscheide ich spontan aus dem Bauch heraus.

Dabei schätze ich die Möglichkeit, unterschiedliche Mittel einzusetzen. Mal fotografiere ich mit der kleinen Fuji oder der großen Canon. Mal weitwinklig, mit dem 50er oder im Telebereich.

Der analogen Fotografie bin ich bisweilen fern geblieben, wahrscheinlich, weil mir der Aufwand aktuell noch zu hoch ist. Jedoch habe ich sehr großen Respekt vor allen, die sie hegen und pflegen und es tatsächlich heute noch schaffen, im Gegensatz zu mir, der digitalen Fotografie fern zu bleiben.

Ich habe übrigens lange gebraucht, um zu verstehen, dass ich mir beim Fotografieren keinen Stress machen sollte. Lange ging ich davon aus, dass ich meinen Stil finden muss und alle Bilder so richtig geil sein müssen, bevor ich sie ins Netz stelle.

Jedoch habe ich irgendwann resignierend festgestellt: Who fucking cares? Ich habe meinen Anspruch an mich selbst auf 0 heruntergeschraubt und kann seit Jahren viel entspannter arbeiten. In kurz: Alles, was besser als fotografische Scheiße ist, ist ein Gewinn. Für mich. Und darauf kommt es an, wenn man den Druck rausnehmen will.

Altes Ehepaar © Martin Gommel

Was die praktische Seite betrifft, fotografiere ich gerade im 2/3-Rhythmus. Heißt: Ich fotografiere an zwei Tagen jeweils ein bis zwei Stunden lang und am dritten Tag mache ich eine Pause. Diese Umstellung hat sich als für mich am effektivsten herausgestellt. Lieber zwei Tage etwas länger fotografieren als jeden Tag ein bisschen.

Bildbände sind mein Schatzzzzzzz. Hinter meinem Rücken stehen einige der besten Bände zum Thema Straßenfotografie, die es auf dem Markt gibt und 90 % davon habe ich gebraucht für einen Bruchteil des Verkaufspreises ergattert.

Durch die Bildbände habe ich die Agentur Magnum Photos entdeckt. Ich werde ein Leben lang zu tun haben, um alle Magnum-Fotografen zu studieren und mir deren Werdegang einzuverleiben. Magnum hat mit die besten Fotojournalisten und Streetfotografen am Start, die es seit der Gründung der Agentur (1947) gibt. Von ihnen zu lernen, das habe ich mir vorgenommen.

Natürlich besteht die Welt nicht nur aus Magnum und ich schaue auch über den Tellerrand hinaus. Jedoch habe ich durch das eingehende Studium der Agentur erst Gene Smith, Eugene Richards, Koudelka, Salgado und Davidson kennengelernt. Großartige Fotografen, die mich inspiriert und oft zum Nachdenken gebracht haben.

Mann mit Hut © Martin Gommel

Was kwerfeldein betrifft, freue mich jeden Tag darauf, daran zu arbeiten. Ich bin stolz auf unsere kleine Redaktion, ein Team, das sich gut kennt – auch seine Grenzen. Mittlerweile haben wir uns super eingespielt, jede(r) hat sein eigenes Eckchen gefunden und tobt sich dort aus.

Ich als Herausgeber bin zwar „Chef“, aber ich definiere Chef so, wie es mir passt. Meine Aufgabe ist es, das große Ganze im Blick zu behalten, immer wieder neue Impulse und meine Meinung einzubringen, ohne diese über die der Redakteure zu stellen – obwohl ich bei ganz schwierigen Entscheidungen das letzte Wort habe.

Weiter bin ich dafür da, Redakteuren zu helfen, ihren Platz zu finden. Sie zu unterstützen, wo ich kann und sie anderseits auch einfach mal machen zu lassen. Nein, nicht jeder Satz, der hier steht, wird von mir überprüft.

Und ich bin ständig in Korrespondenz mit Fotografen aus aller Welt. Schreibe Menschen an, die mich durch ihre Bilder beeindrucken. Übersetze Artikel, beantworte E-Mails und so weiter.

Unsere Redakteure sind, wenn ich das mal so sagen darf, wahnsinnig gut in dem, was sie tun. Sie beißen sich in Themen rein und tragen ihren ganz entscheidenden Teil dazu bei, dass kwerfeldein läuft, wächst, sich weiterentwickelt. Und in Zukunft existieren kann.

Übrigens: kwerfeldein war nicht schon immer ein Magazin. Fünf Jahre lang habe ich das Ding hier allein gemacht. kwerfeldein wurde bekannter und ich habe zwei Lern-DVDs produziert. Als ich mich 2010 dazu entschieden habe, andere Leute mit ins Boot zu nehmen, haben das viele Leser nicht verstanden.

Spiegelung © Martin Gommel

Ich wollte und will aber lieber mit anderen arbeiten, denn ich mag den Diskurs und die Diversität unterschiedlicher Menschen und Meinungen. Deshalb arbeite ich auch in einem Gemeinschaftsbüro mit meinen besten Freunden.

Außerdem ist kwerfeldein besser, wenn nicht alles von mir kommt. Andere Menschen sehen viel weiter als ich, zusammen sind wir stärker. Und ich muss nicht alles super finden, was hier gezeigt wird. Gerade durch die Unterschiedlichkeit wird das Magazin doch erst zu dem, was es ist.

Ich würde jederzeit lieber mit dieser Redaktion arbeiten, als alles allein zu machen. Klar, ich bin als Person nicht mehr so im Vordergrund wie früher – das ist mir jedoch ehrlich gesagt auch lieber so.

Was Kommentare und Kritik betrifft, bin ich relativ „kühl“ geworden. Kühl insofern, dass ich mir nicht mehr alles zu Herzen nehme und auch nicht den Anspruch habe, für das, was ich sage, Beifall zu ernten. Wenn das mein Publizieren bestimmt: Gute Nacht.

Ich freue mich auf die nächsten Monate und Jahre auf kwerfeldein. Das wird gut. Wir werden neue Aktionen erfinden, tolle Fotografen zeigen und das Ding hier rocken. Ideen habe ich genug.

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