Immer wieder Menschen
Normalerweise fotografiere ich überwiegend inszenierte Portraits. Vermutlich liegt das daran, dass ich die Unterschiedlichkeit der Menschen sehr interessant finde. In den letzten Monaten hat sich aber immer mehr gezeigt, dass ich unterwegs auch gern Menschen fotografieren möchte – nur eben nicht mehr inszeniert, sondern in Form der Straßenfotogafie.
So richtig begonnen hat es für mich im Jahr 2012 auf dem Melt-Festival. Es ging mir damals nicht darum, die Bands zu fotografieren oder die Meute vor der Bühne. Mein Fokus lag auf Personen, die umherliefen, standen oder tanzten und sich dadurch von der Masse etwas isolierten. Wenn mir dann die Personen aufgrund ihres Aussehens, ihrer Bewegung oder Ähnlichem aufgefallen sind, wollte ich diesen Moment festhalten.
Bei der späteren Bearbeitung fand ich diese Bilder sehr ehrlich, da die Personen mich als Fotografen nicht wahrgenommen und somit ihre Haltung und Mimik nicht geändert haben. Durch diese Erfahrung bin ich auf die Idee gekommen, diesen dokumentarischen Stil öfters einzusetzen.
Also habe ich auch im nächsten Jahr meine Kamera wieder eingepackt und bin aufs Melt gefahren. Glücklicherweise habe ich dieses Mal vom Veranstalter einen Fotopass bekommen, was mir die Arbeit dort erleichtert hat.
Keine Kontrolleure, die einen schief angucken, wenn die Kamera etwas größer ist – ach, war das schön. Großen Männern in schwarz, ausgestattet mit einer Neonweste, den Unterschied zwischen Festbrennweite und Zoom-Objektiv zu erklären, konnte ich mir somit ersparen.
Aufgefallen ist mir auch, dass es mich bei der Straßenfotografie kaum interessiert, was andere Fotografen machen. Was nicht bedeuten soll, dass ich mich nicht gern durch Portfolios klicke. Viel mehr ist es so gemeint, dass ich nicht das Gefühl bekomme, Fotograf XY macht richtig gute Fotos und das würde ich so auch gern können.
Die Fotos sind etwas Persönliches, dokumentieren sie doch auch irgendwie mein Leben, den Raum, in dem ich mich bewege und meine Interessen. Alles, was in meine Bilder einfließt, sind die Inspirationen, denen man sich nicht entziehen kann, wenn man Bilder konsumiert. Ein Potpourri aus allem, was ich bisher gesehen habe.
Ich weiß, dass ich erst am Anfang stehe und meinen Blick noch üben muss. Allerdings habe ich jetzt schon einige Schätzchen, auf die ich stolz bin. Immer, wenn ich diese Fotos betrachte, merke ich, wie viel Freude sie mir bringen. Die Fotografie ist ein Medium, das es uns ermöglicht, auch nach Jahren die Erinnerungen zurückzuholen – ich finde das wunderbar.
Letztes Jahr ging es dann für mich nach Italien. Es war mein erster Urlaub, in dem ich wirklich bewusst nach Motiven gesucht habe. Ich habe mir bisher darüber nie Gedanken gemacht, aber warum sollte ich Dinge fotografieren, die schon Abertausende Male von anderen Menschen fotografiert wurden?
Während ich nach einem guten Motiv suche, passiert es oft, dass ich das Auge nicht vom Sucherfenster nehme, um den Augenblick nicht zu verpassen. Ich gebe zu, das mag bescheuert aussehen, aber ein Moment ist manchmal einfach zu kurz, um ihn durch das Ausrichten der Kamera vergehen zu lassen.
Bei diesem Foto bin ich froh, dass ich den Kuss fotografieren konnte, allerdings stören mich die anderen Menschen und der Roller. Der Blickwinkel hätte auch besser sein können. Aber das ist genau die Schwierigkeit bei der Straßenfotografie. Ich denke, dass man eine Art Gespür für Situationen entwickeln muss, um schon vor dem eigentlichen Foto am richtigen Fleck zu stehen.
Da in meinen Fotos der zufällige Moment eine große Rolle spielt und ich nicht bewusst versuche, Missstände aufzuzeigen, habe ich auch kein Problem damit, Menschen ungefragt zu fotografieren. Die entstandenen Fotos sind am Ende nur Abbildungen des mich umgebenden öffentlichen Raumes und der darin enthalten Gesellschaft. Ich finde es wichtig, dass diese Art der Fotografie immer einen Platz haben wird. Scripted reality brauchen wir in der Fotografie nicht.
Auch, wenn viele andere Fotografen ganz bewusst eine kleine, leise und somit unauffällige Kamera für die Straßenfotografie nutzen, macht es mir nichts aus, mit der doch eher klobigen 5D Mark II zu fotografieren. Wobei ich natürlich nichts gegen eine kleine und leise Leica hätte.
Ich werde einfach abwarten, wie sich meine Fotografien entwickeln. Sollte ich irgendwann zu dem Entschluss kommen, dass mich die Kamera aufgrund ihrer Größe daran hindert, Situationen so einzufangen, wie ich es mir vorstelle, dann werde ich mich nach Alternativen umschauen.
Das schöne an Fotos, die einen dokumentarischen Hintergrund besitzen, ist, dass sie sich wie ein Wein verhalten können. Die Fotos werden zwar nicht besser, jedoch steigt ihre Bedeutung im Sinne eines Zeitzeugen und die Fotos werden wertvoller – auch ohne monetären Hintergrund und zumindest für einen persönlich.
das könnten exakt meine Worte sein, denn genauso fühle ich auch , wenn ich mich der Streetfotografie widme.
Strassenphotographie ist hochinteressant und spiegelt mehr wieder, als ein einfaches Abbild. Einige Deiner Photos zeigen das.
Die Art der Kamera ist dabei im Grunde nur insoweit von Bedeutung, als sie die Arbeit entweder erleichtert oder erschwert – in Punkto ‚Auffälligkeit‘ und Handhabung/Schnelligkeit. Strassenphotographie ist mit jeder Kamera möglich; es gibt sogar den ein oder anderen Strassenphotographen, der mit einer Plattenkamera unterwegs ist.
„Da in meinen Fotos der zufällige Moment eine große Rolle spielt und ich nicht bewusst versuche, Missstände aufzuzeigen, habe ich auch kein Problem damit, Menschen ungefragt zu fotografieren. “ – damit habe ich so meine Probleme, insbesondere dann, wenn diese Photos veröffentlicht werden sollen. Nachdem ich mich mal mit den rechtlichen Bestimmungen dazu befasst habe, bin ich vorsichtig geworden.
Danke für den Artikel und die Photos und weiter viel Spass und Erfolg mit der Strassenphotographie!
Gruß, HF
Deine Fotos sprechen mich an. Ihre Umgebung macht (für mich) die Kussszene richtig authentisch.
Danke für Deinen ehrlichen Bericht- man spürt Deine leichte Verunsichung was Street angeht, dabei funktioniert Deine Selbstreflextion doch wunderbar- also was soll schiefgehen? Mach einfach Dein Ding- was anderes funktioniert sowieso nicht. Erstes Bild ist hier mein Favorit!
//Matz
Gefallen mir sehr gut die Bilder! Ich fühle mich oft zu gehemmt, um fremde Menschen zu fotografieren, aber man sollte sich wohl drüber trauen.
So schön geschrieben! :) Ich merke mittlerweile wie ich mich in eine leicht ähnliche Richtung entwickle. Zwar machen mir inszenierte Portraits immer noch am meisten Spaß, weil ich einen größeren Gestaltungsfreiraum habe, doch gerade bei Reisen oder Events wie Festivals ist mir aufgefallen wie spannend ich die Situationen um mich herum finde.
Und trotzdem kämpfe ich noch mit der inneren Blockade, dass ich solche Momente viel ehr auf Festivals (mit dem sehr hilfreichen Fotobändchen) oder in fremden Städten fotografiere.
„Die entstandenen Fotos sind am Ende nur Abbildungen des mich umgebenden öffentlichen Raumes und der darin enthalten Gesellschaft. Ich finde es wichtig, dass diese Art der Fotografie immer einen Platz haben wird.“
Das sehe ich ganz genauso. Nicht nur deine Bilder haben mir gefallen, sondern auch der Vergleich mit dem Wein.
Und zu der Tatsache, dass du mit so einem Klotz von Kamera unterwegs bist: Wenn dir trotzdem gute Bilder gelingen, betrachte es als gute Übung – etwa wie das Joggen mit Gewichten.
Weiter so!
Danke für die netten Kommentare! Vielleicht kann ich ja irgendwann mal zeigen, wie die Reise weiterging :)
sehr lebendige Dokumentar-Fotografien hast du da zusammengetragen. Das Kuss-Bild finde ich sehr gelungen. Die zwei Steinklötze links begrenzen den Blick zur linken und auf der rechten Seite nimmt das Straßenleben seinen Lauf. Scheinbar unbemerkt dazwischen der Kuss des Pärchens. Der Helm und der Roller unterstreichen den südländischen Flair des Bildes, man spürt förmlich la dolce vita.
Hallo Normen,
schöne Momente, die du da eingefangen hast. Ich denke, darum geht es doch bei der Street-Fotografie. Keine Inszenierungen, keine zweite Chance. Das macht es so einzigartig und unwiederbringlich.
Im Urlaub liebe ich es auch, Momente und Eindrücke einzufangen. Sie machen das Besondere der Urlaubseindrücken aus.
capture the moment
Alexander
Ich finde gerade das Paar vor dem Roller so besonders in der Aufnmahme. Die Ausstrahlung von Unbefangenheit, Vertrautheit und der Moment machen es besonders. Klar fallen anfangs der Roller, die Menschen und vielleicht noch das eine oder andere im Bildaufbau auf aber am Ende zieht es den Blick immer wieder auf das Paar zurück. Und das finde ich endscheidend. Klasse Aufnahmen :-)