Die Farben der Musik
Hi, mein Name ist Chris und ich bin Musiker… Nein. Halt. Nochmal. Hi, mein Name ist Chris und ich bin Fotograf. Ach, eigentlich trifft beides zu, was wohl auch der Grund dafür ist, warum ich mich am wohlsten fühle, wenn ich Musiker vor meiner Kamera habe.
Anders kann ich’s mir jedenfalls nicht erklären, dass mein bisheriger fotografischer Werdegang mich von Natur über Lifestyle bis hin zur People-Fotografie und nun zurück zu meinen kreativen Wurzeln geführt hat: Zur Musik.
Aber warum eigentlich genau dieses Feld der Fotografie? Irgendwie hat die Musik schon immer eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt. Schon mein Vater ist ein sehr begnadeter Akkordeon-Spieler, was er eigentlich an mich weitergeben wollte. Ich bin dann aber doch bei der Gitarre gelandet und habe mich jahrelang durch unzählige Bands gespielt und entsprechend viele Musiker kennen gelernt.
Habe mir ihre Marotten angeeignet und mich nächtelang in Proberäumen einem gesundheitsgefährdend extremen Gemisch aus Schlagzeug, Gitarre, Rauch und Alkohol ausgesetzt. Ich spielte unter freiem Himmel vor Hunderten von jubelnden Leuten und in winzigen Clubs vor nicht einmal zehn Menschen, die mir gelangweilt zusahen, während ich auf der Bühne an meinen sechs Saiten zupfte.
Mein Instrument fiel in den ungünstigsten Momenten während eines Auftritts aus und einmal habe ich sogar einen Begeisterungskuss geerntet, als ich von der Bühne gekommen bin. Zusammengefasst: Ich konnte in den letzten zwölf Jahren einige sehr extreme Hochs und Tiefs zusammen mit meinen Mitmusikern erleben und sowas schweißt zusammen.
Zu einem immer wiederkehrenden Tief gehört definitiv das Thema Bandfotos. Vor einigen Jahren war ich selbst noch der, der mit seinem Instrument in der Hand unbeholfen vor der Kamera stand und nicht so genau wusste, wie man sich als Band eigentlich präsentieren will oder soll. Und irgendwie kommt diese Erinnerung als Flashback doch jedes Mal wieder, wenn ich meine Kamera in Richtung eines Musikers halte.
Vor allem, wenn man die Bands und Künstler fragt, was sie sich eigentlich so für Fotos vorgestellt haben und dann nur ein Schulterzucken bekommt. In günstigen Fällen erhält man noch vage Umschreibungen wie „soll nicht so aufgesetzt wirken“ oder „auf jeden Fall irgendwo draußen“. Da wird man als Fotograf schnell zum Creative Director, was für mich persönlich heißt, dass ich mich weiter mit der Musik der Gruppe auseinandersetzen muss, um Stimmungen und Themenfelder herauszuhören, die man in Fotoshootings umsetzen kann.
Das wirklich Positive dabei: Für Musiker gibt es kein „das ist mir jetzt doch irgendwie zu künstlerisch“. Je abgefahrener die Ideen des Fotografen sind, desto besser. Irgendwie muss man sich ja abheben. Immerhin sind die Fotos meistens das Erste, was man von so einer Band sieht. Sogar noch bevor man überhaupt die Musik gehört hat.
Da muss man schon mit einer gewissen Feinfühligkeit an die Sache rangehen, damit sich der Betrachter der Bilder in etwa vorstellen kann, was musikalisch auf ihn zukommt. Man versucht sozusagen, aus Musik und Bildern ein einheitliches audiovisuelles Ganzes zu erschaffen, das bestenfalls in allen Adjektiven übereinstimmt.
Wenn ich mir die Musik der Bands anhöre, dann schreibe ich einfach die Stichworte mit, die mir in dabei in den Sinn kommen: „freundlich, minimalistisch, akustisch, natürlich“ und schon ist mein Moodboard für das Shooting fertig. Meistens reicht der Band dann auch nur ein kleiner Funke oder eine ungefähre Idee. So eine Gruppe aus Musikern entwickelt sehr schnell eine starke Eigendynamik, das ist bei einem Fotoshooting dann durchaus vergleichbar mit einer Bandprobe.
Der eine wirft einen Begriff in die Runde, der andere findet einen kaputten Schirm am Straßenrand und schon formiert sich die ganze Band, um darunter zu posieren, so wie sie sich auch im Proberaum musikalisch nur einzelne Bruchstücke zuwerfen, um daraus ein großes Ganzes zu machen. Diese Art des kreativen Flusses ist für People-Fotografen erstrebenswert, aber rar.
Vor allem die Arbeit mit fremden Modellen ist mit einer gewissen Distanz behaftet, die es nur sehr beschränkt zulässt, außergewöhnliche und neue Ideen anzugehen. Arbeitet man mit Musikern, die sich ständig in der Situation des gemeinsamen kreativen Schaffens befinden, kann man sich als Fotograf ab einem gewissen Punkt einfach zurücklehnen und die Show genießen.
Der Einblick in diese beiden kreativen Felder hat mir außerdem so einige Überraschungen beschert. Im Endeffekt kann man sagen, dass sich Musiker von Fotografen nur in ganz kleinen Nuancen unterscheiden. Eigentlich ist nur das Werkzeug und das Endprodukt unterschiedlich, aber sämtliche Elemente und Vorgehensweisen dazwischen liegen gespenstisch nah beieinander.
Als ich das erste Mal ernsthaft mit einem Modell zusammen gearbeitet habe, mit der Absicht, eine repräsentative People-Strecke zu produzieren, konnte ich irgendwie wieder diese Nervosität spüren, die ich hatte, als ich das erste Mal mit meiner Gitarre auf einer Bühne stand. Nicht umsonst hört man viele englischsprachige Fotografen auch sagen „I had a gig“, wenn sie von einem Shooting reden.
Faktisch tun beide Künstlergruppen auch das Gleiche: Es werden Stative aufgebaut und dabei beschwert man sich schon über zu wenig Platz oder darüber, dass die Kälte einem die Finger einfriert. Wenn ganz viel Budget dahinter steckt, hat man sogar noch die Möglichkeit, bevor es losgeht einen ordentlich Licht- bzw. Soundcheck zu machen und wenn’s dann ernst wird, wundert man sich, warum plötzlich alles anders ist als beim Testen.
Lauter Leute schauen einen gespannt an und hoffen, dass man etwas Außergewöhnliches zeigt. Man hofft auf guten Sound (oder Licht) und dass die Technik nicht streikt. Und wenn dann doch die Technik streikt, gibt man dem unfähigen Assistenten die Schuld, der irgendeine Verkabelung verbockt hat.
Außerdem gibt’s da immer – also wirklich immer – diesen alten, grauhaarigen Mann mit der braunen Anzughose und dem Bierbauch, der eigentlich nur zum Zuschauen gekommen ist, aber das, was man da als Künstler tut, schon ungefähr 128 Jahre länger und vor allem besser macht und der befürchtet, dass man ohne seine Tipps und sein Reinreden so gar nichts Vorzeigbares zustande bringen wird. Wo kommt der eigentlich immer her? Hat der kein Zuhause?
Wenigstens kann man den Veranstaltern bzw. Kunden nicht vorwerfen, sie würde sich nicht um uns kümmern. Ich habe bisher weder als Livemusiker noch als gebuchter Fotograf für mein Essen oder Getränke zahlen müssen.
Die Entdeckung dieser Parallelen hat mir in der Fotografie so manche Türen geöffnet und vieles einfacher gemacht. Sowohl als Künstler als auch als Musiker kommt man einfach unausweichlich immer wieder an einen Punkt, an dem man das eigene Schaffen hinterfragt. Sowohl bezüglich Sinn als auch Qualität. Diese Phase kann einen ganz schön aus der Bahn werfen oder sogar zum Aufgeben bringen.
Meine Erfahrung als Musiker hat mir dabei geholfen, diese Hürden in der Fotografie immer wieder zu überwinden. Ich hatte bereits oftmals erfahren, dass kreative Tiefs kein Dauerzustand sind und man sich einfach durchkämpfen muss. Ich wusste immer, dass es, wenn es bergab geht, auch irgendwann wieder bergauf geht. Vielleicht sogar noch viel steiler, als man es erwartet hätte.
Es hat sich bisher sowohl fotografisch als auch musikalisch immer gelohnt, am Ball zu bleiben, zu üben, die Zähne zusammen zu beißen, sich nicht zu viel reinreden zu lassen und vor allem offen zu sein. Offen für alles. Für jede Inspiration, jeden neuen Denkansatz und für jede neue Lektion. Denn auch nach 13 intensiven Jahren habe ich an der Gitarre noch lange nicht ausgelernt und genau so wird auch beim Fotografieren sein.