Phantásien. (One-way)
Erst hat es so lange gedauert, bis sich die Blätter endlich grün färben wollten und nun wandeln sie sich schon wieder in rot, gold, braun und der Wind trägt sie sanft zu Boden. Beinahe lautlos. Nur manchmal hört man ein leises Rauschen, das verträumte Klänge aus dem Wald hinüberträgt.
Klaviermelancholie. Den Kopf verdreht und das Herz noch schnell in die Hand genommen, renne ich los… Phantásien. One-way. Zumindest für die nächsten Stunden.
Phantásien? Ohja! Sie warten sicher schon auf mich. Lange war es mir gar nicht so bewusst, aber es gibt wohl kaum ein Buch, das mich gleichermaßen in seinen Bann zieht und mit dessen Charakteren ich mich stärker verbunden fühle als mit denen der unendlichen Geschichte.
Fuchur, der gutmütige Glücksdrache mit seinem silbrig schimmernden Fell und den flauschigen Ohren, die zerbrechliche Kindliche Kaiserin, die auf einen neuen Namen hofft, Atreyu, der mutige Krieger mit seinem Pferd Artax, der starke Steinbeißer und all die anderen wundersamen Geschöpfe Phantásiens.
Sie alle teilen das gleiche traurige Schicksal: Sie exisiteren nur, solange die Menschen träumen. Geraten sie in Vergessenheit, wird Phantásien Stück für Stück vom Nichts verschlungen und kann nur gerettet werden, indem die Dinge neu entdeckt und benannt werden, um so in unser Bewusstsein zurückzukehren.
Wer träumt und in die Welt der Fantasie eintaucht, begibt sich just in diesem Moment auf eine Reise in seine eigene Innenwelt. In das unendliche Phantásien, das in jedem von uns schlummert und darauf wartet, gerettet oder einfach noch ein wenig schöner und lebendiger zu werden.
Aber wie ist das nun mit der eigenen Fantasiewelt? Wo und wann begegnet sie uns und was passiert, wenn wir anderen einen Teil davon zugänglich machen?
Oft sind es Assoziationen wie seltsam, zauberhaft, mystisch, verstörend, unerklärlich oder wundersam, die mir im Zusammenhang mit meinen Bildern entgegengebracht werden und nicht selten folgt darauf die Frage nach ihrer Bedeutung. Doch muss es denn überhaupt immer für alles eine Erklärung geben?
Muss Kunst immer eine Botschaft überbringen? Oder kann sie auch einfach um der Kunst Willen bestehen? Liegt die Faszination nicht auch oft im Zauber des Unerklärlichen und Rätselhaften?
Wenn ich fotografiere, ist das für mich sehr viel mehr als das Bild, das ich am Ende des Prozesses vor mir auf dem Bildschirm sehe. Es ist eine Selbsterfahrung, ein Ausflug in eine bunte Welt, der mich nicht selten zu den tiefsten Gefühlen führt, die in mir verborgen liegen.
Ich lasse mich dabei gänzlich von dem leiten, was mich inspiriert und berührt und verliere darüber oft jegliches Gefühl für Raum und Zeit. Ich hüpfe durch den Wald, renne mit dem Wind um die Wette und küsse in den frühsten Morgenstunden die Blumenwiesen wach.
Ich lache, träume, weine, friere, liebe und bin einfach völlig bei mir. Nur ich und meine Träume. Ich empfinde die Fantasie als das Intimste, Ehrlichste und Unbefangenste in uns, wenn man sie denn lässt.
Mir ist es wichtig, meine Emotionen und Ideen so einzufangen wie sie sind, ohne sie durch den Filter der gesellschaftlichen Normen und Zwänge zu drücken und ohne abzuwägen, welchen Eindruck dieses oder jenes Bild anschließend bei Außenstehenden hervorrufen mag.
Natürlich gelingt das nicht immer, aber nur dann stellt sich das unbeschreibliche Gefühl ein, einen Teil meiner Seele befreit oder das Bild direkt von der äußersten Zellschicht meines Herzens abgezogen zu haben, wenn ich anschließend einen Blick darauf werfe.
Es geht mir bei meinen Bildern gar nicht so sehr um die eine Aussage, die später eindeutig und unmissverständlich darauf zu erkennen sein muss. Es geht nicht um das Körperliche, nicht um das, was sich an der Oberfläche befindet. Viel mehr geht es um das, was den Körper lebendig werden lässt. Es geht um Emotionen. Um die Fantasie. Um das, was der Kopf denkt und das Herz fühlt.
Ja, ich gebe zu, mitunter brauche ich manchmal etwas Mut, um mich auf die Reise nach Phántasien zu begeben, schließlich weiß ich nie so genau, was mich dort erwartet, doch bisher habe ich es nie bereut. Je öfter ich in dieses Land der unbegrenzten Gedanken eintauche, umso vertrauter wird es.
Seine Gerüche, die Lichter und Farben, das Gefühl, allein und dennoch völlig geborgen zu sein. Was mich anfangs selbst noch ein wenig ins Staunen versetzte oder schlichtweg überraschte, fühlt sich mit der Zeit vollkommen vertraut an.
Seltsam erscheint irgendwann gar nichts mehr. Ich genieße es, mich dabei noch besser kennenzulernen, mich gehen zu lassen und mit kindlicher Naivität erforschen und erträumen zu können, was ich selbst nicht für möglich gehalten hätte.
Ich lerne, mir zu vertrauen, mich auszuprobieren und auch in die dunklen Ecken zu schauen, wohlwissend, dass ein gutmütiger Glücksdrache nur wenige Meter entfernt aufmerksam über mich wacht. Dieses anmutige Geschöpf wird mich nach Hause bringen, wenn ich erschöpft bin und genug gesehen habe.
Wenn ich einen Teil meines Herzens auf einer Wiese verstreut, den anderen im Wald begraben und den Rest hoch in die Luft geworfen habe und vor Glück oder Zerstreuung den Heimweg selbst nicht mehr finden würde.