In die Baumkronen starrend
Das Projekt wird im Herbst weiter fortgesetzt, denn dann sind die Bäume wieder so schön kahl. Warum müssen die Bäume kahl sein? Das erfahrt Ihr weiter unten.
Diese Arbeit ist in einem Seminar an der Fachhochschule Dortmund im Bereich Fotografie entstanden. Der Überbegriff des Seminars lautete „Weltanschauungen und Gefühlswelten aus der Romantik“ und wurde von Prof. Cindy Gates betreut.
Allgegenwärtig in dem Kurs war für mich die Auseinandersetzung mit dem „Deutschen Wald“, der als Metapher und Sehnsuchtslandschaft seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts in Gedichten, Märchen und Sagen der Romantik beschrieben wird.
Schon früh schuf ich mir in meinen Projekten immer meine eigene Sicht auf die „Realität“. Während meines Fotografie-Praktikums am Anfang meiner Laufbahn habe ich mich stark mit dem Zusammenrechnen von Bildern beschäftigt. Dieser technisch hoch anspruchsvolle Teil der Bildbearbeitung hat mich von Anfang an fasziniert.
So kam es, dass ich den Wald nicht auf die normale Art abbilden wollte.
Ich wollte mich intensiv mit dem Wald auseinandersetzen. Dabei erforschte ich ihn tagelang, oft mehrere Stunden lang und wanderte durch verschiedene Wälder. Ich versuchte, den Mythos des „Deutschen Waldes“ zu ergründen.
Franz Kafka schrieb einst:
In den Wäldern sind Dinge, über die nachzudenken man jahrelang im Moos liegen könnte.
Dieser Satz ließ mich bewusster nach oben blicken. Ich verbrachte eine lange Zeit auf dem Boden liegend und in die Baumkronen starrend. Der Wind bewegte die vielen einzelnen Äste, die wiederum die Blätter schüttelten. Die Idee war geboren.
Der Blick nach oben, der Blick zum Himmel, zum Göttlichen, das eine Hauptthese in der Romantik-Epoche war. Bei genauerer Betrachtung fiel mir auf, dass jeder Baum einzigartig war. Keiner gleicht dem anderen. Sie ähnelten sich, das war es aber auch.1
Ich begann das Projekt im Sommer und wollte einen kompletten Waldabschnitt von unten darstellen.
Die Problematik war, da ich den bewussten Sichtwinkel bzw. Bildwinkel erweitern wollte, dass ich unendlich weit weg gehen müsste, um alle Bäume auf das Bild zu bekommen, um perspektivisch korrekt zu arbeiten. Das optisch Störende war immer der Baumstamm, er nahm zuviel Raum ein. Schließlich habe ich ihn also aus den Bildern herausgerechnet.
Durch die Wegnahme des Stammes wird der Baum seiner Bindung zur Erde beraubt, er verliert seinen Lebensstamm.
Dieses Bild zeigt auch deutlich, dass die Perspektive nicht korrekt erschaffen worden ist, da jedes einzelne Blatt eine andere Perspektive einnimmt, wenn ich mich nur einen kleinen Schritt mit der Kamera vom ursprünglichen Standpunkt wegbewege.
Der Zufall half, denn einzelne Bäume am Waldrand waren schon ausgeblüht, ungrün. Dieser Zustand half bei der Verrechnung zu den fertigen Baumportraits. Je weniger Perspektiven berücksichtigt werden müssen, umso angenehmer der Workflow.
Die finalen Aufnahmen entstanden dann Anfang November 2011 bei bedecktem Himmel, dem Becher-Wetter, um Spitzlichter und Schatten zu vermeiden und um größtmögliche Detailtreue zu erreichen. Ein Baumportrait besteht aus bis zu zehn Einzelbildern.
Was ich mit der Serie erreichen möchte? Das ist eine schwierige Frage. Ich fotografiere ausschließlich für mich, bis ein Projekt fertiggestellt ist. Danach erfreue ich mich daran, Bilder ausstellen zu dürfen. Anderen meine sehr subjektive Sicht zu zeigen.
Ich versuche, durch meine Technik – die Erweiterung des Sehfeldes bzw. Blickwinkels – dem Betrachter zu zeigen, was er abseits des Alltäglichen erkennen und erfahren kann.
Ich habe nicht „die“ Botschaft in meinen Bildern. Jeder kann sie so interpretieren, wie er sie sieht. Darauf lege ich sehr viel Wert.
1 (Vlg. Konzept / Kernthese der Romantik): „Die Sehnsucht des einzelnen Individuums richtet sich zumeist auf eine kollektive Identität durch das Leben in einer kulturellen Gemeinschaft, in der sein persönlicher Beitrag wirken und ein Gemeinschaftsgefühl wachsen kann. Die Bäume sind fester Bestandteil des Waldes, des Kollektivs, sind jedoch einzelne Individuen, die sich stark von ihren Artgenossen in Größe, Form und Alter unterscheiden.“