14. August 2013 Lesezeit: ~3 Minuten

Zerstäubte Wirklichkeit: Filmkorn

Ich war schon beim ersten Mal verliebt. Sie sahen aus wie tausend kleine Nadelstiche. Bleistiftspitzen, die ratternd über das Papier fahren. Verdichtete Geschichten in schwarzweiß auf einer Vergrößerung aus dem Chemiebad. Was war ich angetan.

Ich meine das Filmkorn. Nicht dieses feine, um das sich immer alle scharen, sondern das raue, sich in dunklen Geschichten suhlende. – Ist ja gut, ich hör schon auf. Aber Du kannst Dich sicher an alte Filmklassiker erinnern. Nosferatu – eine Symphonie des Grauens – in Farbe und glatt gebügelt? Geht nicht, oder?

Na also.

Aline © Marit Beer

Mein absoluter Lieblingsfilm ist der Ilford Delta 3200. Also ein stark lichtempfindlicher Film. Ich mag seine Zerissenheit, wie eine Explosion feinster Silberpartikelchen wirken die Ergebnisse, die ich damit erziele.

Selbst das grau Zermatschte hat mich im Sturm erobert. Aber auch der Kodak Trix-400 kann einiges mit einer, zugebenermaßen, besseren Schattenzeichnung als der Delta.

Die Liebe zu Filmkorn ist sicher wie der Genuss von raubeinigem Whisky aus dem Hochland. Nicht jeder mag ihn, manche verabscheuen ihn und andere können nicht anders, als darin den höchstmöglichen Genuss zu sehen.

Knoydart © Marit Beer

Einer meiner Lieblinge unter den Fotografen, der damit spielt, ist Michael Ackerman. Unstet, verwirrend, grob und zurückhaltend sind nur die ersten Adjektive, die mir zu seinen Bildern einfallen.

Sie sind verwackelt, verwischt und manchmal unfassbar klar, obgleich des zerstaubten Hintergrunds. Er erzählt beklemmende Geschichten von der Straße und wenn man nach oben schaut, sieht man gerade noch eine Hand, die einen Vorhang loslässt. Augen dahinter, die Dich beobachten und Dein Herz pocht und Du versuchst, nicht über den grauen Asphalt zu rennen.

Solch beklemmende Gefühle lösen diese Bilder in mir aus.

Knoydart © Marit Beer

Ich habe oft und viel herumprobiert. Nach Jahren nun habe ich einfach das gefunden, was mich atemlos macht, was den Bildern im Kopf am nächsten kommt. Die Klarheit wird erst sichtbar, wenn das Bild berührt, wenn es mich stillstehen lässt. Dann tauche ich hinein, teile das graue Meer vor mir in zwei Bahnen, um tiefer zu dringen.

Es ist schon seltsam, wenn man seine eigene Entwicklung beobachtet und sich die Linie von klaren Strukturen zur Unklarheit bewegt, sich auf den Bildern immer weniger befindet, was das Gehirn nun selbst zusammenbauen muss.

Und ich frage mich, ob es einen Nullpunkt geben wird. Ob es immer weiter geht und sich auf dem Negativ irgendwann nur noch eine wilde Ansammlung von silbernen Partikelchen befinden wird, deren Zusammenhang niemand mehr begreift.

verwoben © Marit Beer

Es stellt sich ja immer wieder die eine Frage, warum macht man das, was man macht und wer ist oder wird man dabei. Mit jedem Schritt, ob nach vorn oder nach hinten, verändert sich Deine Handschrift und auch Deine Ansicht vom Leben und das, was Du abbildest.

So sehe ich meine Bilder immer wieder als Zeugnis meiner Selbst. Ich schreibe meine eigene kleine Biografie und irgendwie freue ich darauf, eines Tages, hoffentlich in weiter Zukunft, mit pergamentgrauen und zerschlissenen Händen über die Bilder zu fahren, die einst mein Leben waren.

33 Kommentare

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  1. Oh, sehr schöner Artikel. Ich habe kaum Erfahrung mit analoger Fotografie, aber die „normalen“ SW-Filme fand ich immer langweilig. Die hier beschriebenen Eigenschaften sind genau das, was mich an analogen SW-Bildern so interessiert.
    Vielleicht probier ich mal einen der genannten Filme aus :)

  2. Schön. Ich nutze die groben Filme nur auf meiner Spielzeugkamera, für Doppelbelichtungen. Welche benutzt Du? „end of the world“ auf flickr finde ich phantastisch, wegen der Körnung. Über Deinen Photo-Tip bin ich Dir dankbar.

    • hallo konrad,

      end of the world – ist mit einem abgelaufenen delta 3200 entstanden. zudem war er noch in einer holga und weil es recht hell war darauf noch ein graufilter. die umstände waren also alles in allem recht ungewöhnlich für solch einen hohen iso film. was auf den bildern wie nacht oder dämmerung erscheint war eigentlich wolken und sonnendurchwirkter abend.

  3. Deine Ode an das Korn erzeug ein frühmorgendliches Lächeln der Freude in meinem Gesicht. Danke dafür.

    Als Spieltipp: Film in Papierentwickler baden (z.B. Dektol, SPUR Straight Black).

  4. Liebe Marit,
    die Bilder sind wunderbar…wie flüchtige Träume oder Gedichte ohne Worte…indirekt und unaufdringlich…mit so viel Raum, um selbst Platz darin zu finden. Noch mehr berührt mich dein Text. Warum, wohin, was bleibt…Erinnerung an die Endlichkeit…

    Danke

  5. Sehr schön.
    Gerade das Korn macht für mich den Reiz eines echten s/w Bildes aus, es gibt dem Ganzen Flair und Charakter.
    Alte ORWOs sind auch ganz nett, besonders wenn man sie in einer Pouva Start verschießt. :D

  6. Wie schön, dass man in der digitalen Welt bei der Schwarzweiß – Fotografie weiterhin mit dem Korn den Workflow in der Bildbearbeitung gestalten kann. Daher mag ich die Reduktion auf das Wesentliche.
    Und, der Artikel passt sehr gut dazu.

  7. Ein schöner Artikel. Ich mag mich auch gern verlieren im Korn, in Graustufen und Wolken aus Helligkeit und Dunkelheit. Korn im Farbfilm interessiert mich nicht, da störts mich eher. Im Schwarzweißbild aber gestaltet es die Welt (für mich).
    Einer der schönsten Punkte in einem Bild – dort, wo das Motiv, die Schärfe übergeht in die Unschärfe, ins Korn, die Sichtbarwerdung von Motiv trifft Medium.

  8. Das ist das Schöne an der analogen Fotografie, ein jeder kocht da sein Süppchen:

    Zaubert ein sehr feines Korn:
    Delta 3200@1600 ISO; Kodak Xtol unverdünnt 7:30 Min/ 20°C, Agitation: erste 30 sek ununterbrochen, dann alle 30 sek 4 mal (innerh. 5 sek)

    Ralph Gibson ist bekannt durch sein akzentuiertes Korn:
    Bei hellem Sonnenlicht
    Kodak Tri-X 400@100 ISO (also zwei Stufen überbelichtet) ; Rodinal 1+25, 11 Min, 20°C
    Agitation: standart
    Ziel: Kontrast und Korn
    Papier: Brovia Gradation 5 am besten mit einem Kondensor Vergrößerer

    Sehr scharf und gute Durchzeichnung der Schatten:
    AGFA APX 100@ 50 ISO, Microdol 1+3, 10:30 Min, 24°C, Agitation: 15/30/3 mal kippen

  9. Na wenn diese Liebeserklärung an das analoge Korn nicht von tiefsten Herzen kam, dann hat Ziggi die Welt morgen zerstört…
    Wunderbare Worte für etwas – eigentlich – so Banales aber – auch unglaublich atmosphärisches wie dein raues Korn, das aus deinen Bildern wahre Schätze zaubert.
    Ich freue mich immer wieder auf deine Bilderserien ( musste mal gesagt werden…)
    Viele Grüße Jürgen

  10. Falls Du ihn noch nicht kennst: der japanische Fotograf Daido Moriyama könnte Dir gefallen.
    Der hat damals in den Sechzigern die japanische Fotographie mit aus der Hüfte geschossenen, kontrast- und kornreichen Bildern aus dem Tokioter Nachtleben revolutioniert (zusammen mit anderen).

  11. ich hab mal extrem krasses filmkorn bekommen, als ich einen 1600 Film auf 3200 gepuscht habe und dann den Entwickler mit heißerem Wasser angerührt habe und dafür dann die entwicklungszeit verkürzt habe. So ist zumindest meine erinnerung. bei deinen bildern kriege ich wieder Lust auf eine Wiederholung!

  12. Blogartikel dazu: Linktipps – Der Netzcocktail | Freiraum

  13. hey ich finde deine bilder sehr, sehr schön.
    du sagst, du benutzt den 3200. würde ich auch mal probieren. aber der ist wahrscheinlich nciht sehr kontrastreich, oder? aber noch benutzt du den trix 400. pushst du denn noch irgendwie, um so ein schönes korn zu bekommen?
    ich entwickle nicht selber, habe es eine zeitlang aber gemacht. deswegen bitte ich um eine möglichst simple antwort.
    vielen dank

  14. „Die Liebe zu Filmkorn ist sicher wie der Genuss von raubeinigem Whisky aus dem Hochland.“
    Wie du meinst: Dazu empfehle ich einen wahlweise einen 10-jährigen Laphroaig oder einen 12-jährigen Caol Ila in einem Sherryglas und einige Tropfen Wasser dazu (Beide aus Isle of Islay). Aber in den Highlands wirst du eher nur die schmeichelnden Drams finden.

    • Hallo Andreas,

      den Laphroaig habe ich mal probiert. Sowas raubeiniges und aschiges habe ich selten getrunken. Als hätte ich mir eine Zigarre angesteckt. Kann mir vorstellen das es Liebhaber dafür gibt. Meins wars dann leider doch nicht. Dann lieber die schmeichelnden…