An den Ufern einer schwindenden Insel
Die Insel Ghoramara liegt in der Deltaregion des indischen Bundesstaates Westbengalen. Aufgrund des Klimawandels und dem damit einhergehenden dramatischen Anstieg des Meeresspiegels werden die Ufer der Insel seit den 1960er Jahren stetig ausgewaschen.
Seit den 1980ern ist mehr als die Hälfte des Inselterritoriums der Erosion zum Opfer gefallen. Mit dem Ergebnis, dass inzwischen zwei Drittel der ursprünglichen Bevölkerung die Insel verlassen haben.
Viele Menschen, die noch immer hier leben, sind Bauern oder Fischer, deren Leben von den natürlichen Ressourcen der Insel abhängig ist.
Laut eines Staatsbeamten, den ich vor Ort getroffen habe, könnte die indische Regierung die Insel in 20 bis 25 Jahren aufgeben und hat bereits Pläne angedeutet, die Bewohner auf eine andere Insel namens Sagar zu evakuieren.
Doch sieht dieser Evakuierungsplan keinerlei finanzielle Unterstützung für diejenigen vor, die ihr Leben vollständig verlagern müssen.
Als ich Ghoramara besuchte, konnte ich bereits im Ansatz erkennen, wie sich dort durch die steigenden Fluten allmählich ein Erbe auflöst.
Durch die Erosion entblößte Wurzeln versinnbildlichen das fehlende Fundament im Leben der Menschen. Das Meer verschlingt ihre Vergangenheit, während ihre Zukunft ungewiss bleibt.
Das kontinuierlich zurückweichende Ufer und die schwindende Vegetation hinterlassen eine Küste aus Sedimenten von ironischer Schönheit inmitten der kargen Ufer. Man könnte auch von einer tragischen, menschengemachten Schönheit sprechen.
Für meine Fotoarbeit „On the shore of a vanishing island“ (der englische Originaltitel der Serie, Anm. d. Red.) habe ich Inselbewohner am Ufer platziert, sie der Schönheit des schwindenden Eilands gegenüber gestellt und Portraits von ihnen gemacht, um eine unrealistische Anmutung zu erzielen.
Aber dennoch handelt es sich ja dort, wo sie leben, um eine für sie sehr reale Situation. Der Tag wird kommen, an dem die Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Eines Tages wird die Insel, auf der sie geboren wurden nur noch in ihrer Erinnerung existieren.
In meinen Projekten setze ich mich kontinuierlich mit dem Einfluss der Globalisierung auseinander. Begonnen, fotodokumentarisch zu arbeiten habe ich 2007 als ich die Bergbaustadt Campa in der Nähe der Halong-Bucht – einem Weltnaturerbe der UNESCO – in Vietnam besuchte.
Die Kohlegewinnung hat die Stadt und die Umwelt in diesem Bereich vollständig zerstört. Mir wurde klar, dass diese Art der Gewinnung natürlicher Rohstoffe Teil der Weltwirtschaft ist, vorangetrieben von der Globalisierung und unserem Verbrauch.
Also begann ich, das Thema der Rohstoffgewinnung in den Ländern Asiens zu vertiefen und mir Gedanken über die Folgen der Globalisierung zu machen. „On the shore of a vanishing island“ ist dabei als Teilserie im Rahmen meines gesamten Projektes angelegt.
Die Bewohner Ghoramaras sind auf einen traditionellen Lebensstil angewiesen, auf Fischfang und Landwirtschaft in einem nachhaltigen ökologischen System, das nichts mit Globalisierung zu tun hat.
Doch ihre Existenz ist durch die Auswirkungen derselben auf ihren Lebensraum im Begriff, zerstört zu werden und dafür sind teilweise wir verantwortlich.
Ich habe vor, dieses Projekt an anderen Orten weiterzuführen, wie in der Mongolei, im Amazonas oder in Grönland, wo traditionelle Lebensräume von Menschen durch Desertifikation, Abholzung und Rohstoffgewinnung bedroht sind.
Ich finanziere alle meine Projekte selbst und arbeite dafür in mehreren Teilzeitjobs. Es ist nicht einfach, auf diese Weise mein Langzeitprojekt fortzuführen. Doch ich halte daran fest, damit ich meine Ideen zeigen und so mittels meiner Fähigkeiten als Dokumentarfotograf zur Gesellschaft beitragen kann.
Daesung hat diesen Artikel auf Englisch verfasst, unser Redakteur Robert hat ihn für Euch auf Deutsch übersetzt.