Ein Berg zum Gedenken
Kunst-am-Bau-Projekte sind für Künstler keine alltäglichen Aufträge. Sie kommen selten vor und sind oft Herausforderungen. Nach einer Reihe von Malereien im architektonischen Kontext kam dabei im Jahr 2009 für mich zum ersten Mal die Fotografie zum Zuge. Dieses Projekt und die Arbeit daran möchte ich hier vorstellen.
Kals ist ein kleines Bergdorf in Osttirol an der Südseite von Österreichs höchstem Berg, dem Großglockner. Es ist für viele Bergsteiger der Ausgangspunkt für einige wichtige Anstiegsrouten auf diesen Berg, der ebenso beliebt wie unterschätzt ist und zahlreiche Opfer gefordert hat. Auf dem Kalser Friedhof gibt es deshalb schon lange eine Gedenkstätte für jene Alpinisten, die nicht mehr von diesem Berg zurückgekehrt sind.
Seit einigen Jahren arbeitet die Gemeinde Kals an einer Modernisierung ihres Ortsbildes und geht dabei für ein Bergbauerndorf ungewöhnlich mutige und offene Wege, die mittlerweile mit Architekturpreisen bedacht werden. Im Zuge dieser Veränderungen sollte im Sommer 2009 auch jene Gedenkstätte am Friedhof komplett neu gestaltet werden.
Ich bin mit der Gemeinde ins Gespräch gekommen, als dieses Bauprojekt bereits weit fortgeschritten war. In der offenen Halle der Gedenkstätte war ein großes Panoramabild geplant, bei dem allerdings noch unklar war, wie es realisiert werden sollte.
Seit vielen Jahren gibt es die Fotografie als zweite Disziplin in meinem künstlerischen Schaffen. Ich bearbeite damit mein Generalthema, die Hochgebirgslandschaft, von zwei Seiten her und stelle diese Arbeiten auch gemeinsam aus.
Ich komme nicht von der klassischen Fotografie, sondern begreife sie viel mehr von der malerischen Seite her und habe im Gegensatz zur Bresson’schen Herausforderung, mit einem fixen Format umzugehen, nach einem Weg gesucht, die freie Wahl der Bildproportionen, die ich als Maler ja gewöhnt bin, hier auch zu haben.
Weil ich große Arbeiten machen wollte, statt Bilder zu beschneiden, habe ich mir früh schon Montagetechniken erarbeitet, die zum Beispiel in der Panoramafotografie benutzt werden. Mit den Reihen und Spalten meiner Aufnahmeraster bestimme ich die Bildproportion frei vor Ort und bekomme damit gleichzeitig eine Bildgröße zusammen, mit der ich auch sehr großformatige Arbeiten ohne jede Vergrößerung produzieren kann.
Vor diesem Hintergrund meines Schaffens hat mich die Gemeinde dann für das Projekt mit der Aufnahme einer Landschaft beauftragt, die den Großglockner im letzten Sonnenlicht zeigen sollte.
Die Endversion war auf ein Format von 415 x 60 cm festgelegt, denn die vorgesehene Bildnische war schon fertig betoniert. Trotz der Größe musste die Fotografie in Leseentfernung scharf sein. Die Betrachter sollten die Aufstiege nachvollziehen können und Nachfahren oder Angehörige auf dem Bild in der Gedenkstätte jene Plätze ausmachen können, an denen die Alpinisten umgekommen sind.
Mehrere Wochen sind dann für die genaue Planung, die Berechnung von Bildwinkel, Aufnahmestandort, Sonnenstand, Dämmerungsphasen, den besten Zeitfenstern und der Auswahl der nötigen Hardware vergangen.
Viel Zeit habe ich aber auch mit dem Nachdenken über den Charakter und die Würde eines solchen Gedenkortes verbracht. Ich war froh, auf Erfahrungen mit einem sakralen Projekt, einem Altarbild zurückgreifen zu können, bei dem es ebenfalls darum ging, ein stimmiges Bild für einen Raum, seine Architektur und seine spirituelle Funktion zu finden.
Ende September 2009 zeichnete sich eine halbwegs brauchbare Schönwetterperiode ab und ich konnte endlich für die Aufnahmen von Wien in die Hohen Tauern fahren. Für insgesamt vier Sessions – je zwei am Abend und zwei am Morgen für eventuelle Alternativen, falls die Abendlandschaften nicht zufriedenstellend ausfallen sollten – habe ich mich auf einer Seilbahnbergstation auf knapp über 2.600 Metern Höhe einquartiert.
Vor Ort habe ich die Zeiten von morgens 4 bis 9 Uhr und von 6 bis 9 Uhr am Abend verbracht – viele sehr stille und teilweise eiskalte Stunden hinter der Kamera, eine unvergessliche Zeit.
Entstanden sind dort oben Aufnahmereihen mit Tausenden von Bildern, die dann später im Atelier mit Lightroom gesichtet, grob bearbeitet und für Vormontagen sortiert wurden. Von diesen Vormontagen sind letztlich zehn Versionen in einer engeren Auswahl übrig geblieben. Diese Auswahl habe ich der Gemeinde und den Architekten dann online vorgelegt, eine Variante davon bereits in voller Auflösung.
Nach der Entscheidungsphase ist es eine Montage aus mehreren Teilen verschiedener Aufnahmereihen geworden. Ich habe den Aufnahmepunkt am Boden markiert und die Stativhöhe vermessen, damit in einem solchen Fall die Aufnahmen pixelgenau deckungsgleich sind.
Wegen der geforderten sehr hohen Auflösung musste ich während der Montage und Bildbearbeitung riesige Datenmengen bewegen. Zwischenzeitlich war die Photoshop-Datei weit über 10 GB groß. Retusche beispielsweise funktioniert dann in vernünftiger Geschwindigkeit nur noch auf auskopierten Bildteilen, die nach der Bearbeitung wieder eingefügt werden.
Die fertige Arbeit wurde nach der Abnahme durch die Gemeinde spiegelverkehrt auf die Rückseite einer Glasplatte gedruckt, um die Fotografie nachts mit LED-Panels von hinten beleuchten zu können. Gedruckt wurde mit UV-beständiger Tinte in sieben Farben und weiß, damit die hellen Bildteile nicht transparent werden.
Die Fotografie bildet nun ein Ensemble mit drei Glasstelen, auf denen die Namen aller Bergsteiger verzeichnet sind, die auf der Tiroler Seite des Großglockners umgekommenen sind und auf denen Gedanken zum Bergsteigen und zum Tod zu lesen sind. Besonders nachts ergibt das leuchtende Gebirgsbild zusammen mit den Grabkreuzen eine eigenartige Stimmung auf dem Friedhof.
Für mich persönlich ist dieses Projekt etwas ganz Besonderes. Ich habe mich nie zuvor so lange mit einer einzelnen Fotografie beschäftigt. Auch gibt es hier anders als bei einem Buch oder der Ausgabe eines Fotos im Druck oder elektronisch ein nachhaltiges physisches Werk, das sozusagen öffentlich und in Wind und Wetter lebt.
Ein interaktives Panorama von der Gedenkstätte gibt den räumlichen Zusammenhang auf dem neu gestalteten Friedhof sehr gut wieder.