22. März 2013 Lesezeit: ~8 Minuten

We are traffic

Das Projekt „WE ARE TRAFFIC“ von Till Gläser und Björn Lexius fand ich auf Anhieb spannend. Nicht nur die Fotos überzeugten mich, sondern auch das Anliegen hinter dem Projekt wollte ich unbedingt unterstützen.

Die beiden Fotografen portraitieren in der Serie die Radfahrer Hamburgs, um damit auf die katastrophale Radverkehrspolitik aufmerksam zu machen und zu zeigen, dass Radfahrer zum Verkehr gehören und diesen nicht behindern. Ich freue mich sehr, dass sie mir für kwerfeldein Rede und Antwort zu ihrem Fotoprojekt und der Radkultur Hamburgs standen.

Ihr habt jetzt schon sehr viele Radfahrer Hamburgs fotografiert. Gibt es bestimmte Eigenarten, die Ihr festgestellt habt?

Wir versuchen ja möglichst viele verschiedene Radfahrer zu fotografieren. Wir wollten mit Absicht nicht den zweiundfünfzigtausendsten Cycle-Chic-Blog nachmachen, sondern ein Portrait der ganzen Hamburger Radkultur machen, deswegen ist es schwer, bestimmte Eigenarten über eine so große Gruppe zu verallgemeinern. Allen gemein ist wohl, egal ob Rennrad- oder Hollandrad-Fahrer, dass sie von der Hamburger Radverkehrspolitik genervt sind und sich nicht als gleichberechtigt im Verkehr empfinden.

fraudinkel

Ich glaube, da zum Beispiel hin und wieder einige Fixies und Fixieumbauten zu erkennen. Ist das gerade bei Euch Kult? Verboten sind sie ja…

Prinzipiell ist das zur Zeit schon ein Trend, aber es gibt eben auch viele, die seit Jahren auf Fixies unterwegs sind und nicht einem Trend hinterherlaufen. Man kann auch da nicht alle über einen Kamm scheren. Björn selbst fährt schon seit fünf Jahren Fixed Gear und andere, die wir für „WE ARE TRAFFIC“ fotografiert haben auch noch länger, also schon lange bevor es Trend wurde. Fixie fahren ist schon ein besonderes Fahrgefühl, direkt mit der Straße verbunden.

Wir fotografieren wie gesagt alle und unser Ziel ist nicht, mit dem erhobenen Zeigefinger rumzulaufen und nur abzubilden, wer ein Rad hat, das der StVO entspricht. Wir wollen die Radfahrkultur so abbilden, wie sie ist. Mit allen Subkulturen, die das beinhaltet.

Verboten ist ein Fixie auch generell nicht. Laut StVO braucht ein Rad zwei voneinander unabhängige Bremsen, es geht also nicht um die Antriebsart, also die starre Nabe, sondern um das Fehlen von einer oder beider Bremsen, das nicht StVO-konform ist. Das ist genau wie bei vielen BMX-Rädern, die, um Tricks machen zu können, auch nur eine oder keine Bremse haben, trotzdem findet man sie ebenfalls im Straßenverkehr. Ein Fixie-Fahrer muss das Fehlen der Bremse eben durch eine erhöhte Aufmerksamkeit ausgleichen und den Verkehr viel besser vorraussehen.

roeder

Ich sehe in den Serien auch einige Mountainbikes. Wozu braucht man die denn im flachen Hamburg?

Das kann unterschiedliche Gründe haben. Die einen haben es nur, weil sie es cool finden. Sei es der Look oder das Fahrgefühl, nicht auf jeden Kantstein achten zu müssen. Und zum anderen gibt es in Hamburg eine relativ große Mountain-Bike-Szene, die sich regelmäßig in den Harburger Bergen oder im Volkspark trifft, um dort richtig durch das Gelände zu fahren. Einige der Mountain-Bike-Fahrer haben auch noch andere Räder für die Stadt und haben sich dann für das Shooting für ihr Lieblingsrad entschieden.

Was war Eure eigene Motivation, das Projekt zu starten?

Björn hat schon öfter sozialkritische Fotoserien fotografiert. Die bekannteste war seine Serie „we are vegans“, für die er auch von der Tierrechtsorganisation Peta mit dem Peta Progress Award 2011 ausgezeichnet worden ist.

Als wir uns dann Anfang des letzten Jahres zum ersten Mal offline getroffen haben, um uns über unsere Hochzeitsfotografie auszutauschen, hatten wir schnell ein anderes Thema gefunden: Fahrradfahren. Eine weitere Leidenschaft, die wir beide teilen.

dirk

Inspiriert von den Fotoprojekten „Bicycle Portraits“ aus Südafrika und „BikeNYC“ aus New York hatte Björn vor, eine Serie über Radfahrer zu fotografieren. Da wir beide schnell merkten, dass wir in vielen Bereichen ähnliche Ansichten haben, haben wir beschlossen, das gemeinsam zu machen.

Von der ersten Idee bis zum ersten Foto ist dann noch etwas Zeit vergangen, da wir beide in der Sommer-Hochzeitssaison keine Zeit hatten, uns intensiv mit dem Fotoprojekt zu beschäftigen. So haben wir erst Ende September mit dem Fotografieren begonnen und die ersten zehn Fahrradfahrer und das Fotoprojekt dann Anfang Oktober online veröffentlicht.

Da wir beide von der Situation der Fahrradfahrer in Hamburg total genervt sind, war es schnell klar, dass wir keinen Style-Blog über Fahrradfahrer machen wollen, wo es um die Klamotten geht, sondern wir die Menschen zeigen wollen, die in Hamburg radfahren. Wir wollen den Radfahrern ein Gesicht geben, zeigen, dass es keine anonymen Radrüpel oder Kampfradler sind. Es sind gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer, die das umweltfreundlichste Transportmittel wählen, das uns in der Großstadt zur Verfügung steht.

rad

Wir machen beide auch seit fast zwei Jahren regelmäßig bei der Critical Mass in Hamburg mit, um auch auf diesem Weg auf Radfahrer aufmerksam zu machen.

In Anlehnung an Björns letzte Serie und den Spruch der Critical Mass – „We are not blocking traffic, we are traffic“ – haben wir unser Projekt dann „WE ARE TRAFFIC“ genannt.

Ich komme aus Bonn und habe Glück, denn NRW ist ja recht fahrradfreundlich. Wie sieht es denn da genau bei Euch aus?

In Hamburg ist das Radfahren schon eine Zumutung und eine Herausforderung. Die Radverkehrspolitik, wenn man die überhaupt so nennen kann, ist wie aus dem Jahre 1950. Die Politik hat nicht erkannt, dass sich das Radfahren in den letzten 50 Jahren verändert hat. Man fährt schneller und überall hin. Das Fahrrad ist zu einer ernsthaften Alternative zum Auto geworden, nur die Infrastruktur ist weiterhin so, dass sie nur für 10 – 15 km/h ausgelegt ist:

Radwege auf den Gehwegen, über die ständig Fußgänger laufen ohne zu gucken, weil sie der Meinung sind, dass alles zwischen Hauswand und Kantstein ihr Bereich ist und Radfahrer immer bremsen müssen. Auf der Straße Autofahrer, die einen mit 10 – 20 cm Abstand – und nicht mit 1,50 m wie laut StVO vorgeschrieben – überholen und ohne zu gucken abbiegen.

dennis

Man muss schon ein sehr dickes Fell haben, um sich in Hamburg als Fahrradfahrer zu behaupten. Nicht ohne Grund ist Hamburg beim aktuellen ADFC Ranking auf Platz 28 von 34 bei den deutschen Großstädten gelandet. Es fehlt am Bewusstsein, dass sich dort dringend etwas ändern muss und dass Fahrradfahrer kein Störfaktor auf den Straßen sind.

Stattdessen nimmt die Hamburger Politik eher in Kauf, Strafzahlungen in Millionenhöhe an die EU zahlen zu müssen, weil seit Jahren die Emissionsgrenzwerte in Hamburg überschritten werden. Mehr Fahrradverkehr und weniger Autos auf Hamburgs Straßen würden das Problem schnell lösen, aber trotzdem wird konsequent alles gemacht, um an der Situation nichts zu verändern.

Dabei gibt es in Europa mit Kopenhagen eine Stadt, die vormacht, wie es geht. Nach Studien die fahrradfreundlichste Stadt Europas bzw. der Welt und gleichzeitig die Stadt mit der höchsten Lebensqualität.

sarah

Konntet Ihr mit Eurer Serie schon Erfolge für die Radfahrer Hamburgs erzielen?

So schnell geht das wohl leider nicht. Das ist immer ein langer Prozess und auch irgendwie auch ein Kampf gegen Windmühlen. Das Fotoprojekt gibt es ja auch erst seit nicht einmal einem halben Jahr, nach so kurzer Zeit kann man wohl kaum mit greifbaren Veränderungen rechnen.

Und wenn es irgendwann Veränderungen gibt in Hamburg, dann wohl auch gemeinsam mit der Critical Mass, bei der sich jeden Monat Fahrradfahrer treffen, um gemeinsam durch die Stadt zu fahren. Im letzten Sommer bis zu 2.000 Radfahrer!

Aber toll wäre es natürlich schon, wenn wir im Rahmen unserer Möglichkeiten unseren Teil zu einer fahrrad- und umweltfreundlicheren Verkehrspolitik beitragen können.

Ich wünsche Euch viel Erfolg dabei!

Wer das Projekt ebenfalls gut und unterstützenswert findet, dem sei der Bildband zum Projekt empfohlen, der momentan in Planung ist und via Crowdfunding finanziert werden soll. Für 15 € bekommt Ihr ein Poster des Projekts und für 40 € könnt Ihr Euch den Bildband vorbestellen.

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