Im Gespräch mit Kevin Best über Stillleben-Fotografie
Zugegeben, wir behandeln einige fotografische Genres etwas stiefmütterlich. Höchste Zeit also, sich mal gezielt auf die Suche nach großartigen Vertretern von Nischen zu machen, über die man nicht alltäglich stolpert. Die ihren Kollegen in breitensportähnlichen Disziplinen wie Portrait oder Landschaft aber in nichts nachstehen.
Den Anfang unserer langfristig angelegten Aufholaktion für unterbesetzte Genres macht heute der Stillleben-Fotograf Kevin Best. Auf seiner Webseite und in seinem Flickr-Stream lassen sich seine aufwändigen und verblüffenden Kompositionen bestaunen. Nun lassen wir ihn im Interview aber selbst ausführlich zu Wort kommen.
Hallo Kevin. Danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview mit uns nimmst. Erzähl uns doch zuerst einmal ein bisschen was über Dich: Wer bist Du, was machst Du?
Mein Name ist Kevin Best, ich wurde in Neuseeland geboren, lebe jetzt aber in Sydney. Am Australian Centre for Photography habe ich Fotografie studiert und stelle inzwischen international aus.
Geboren und aufgewachsen fern der künstlerischen Metropolen Europoas, begegnete ich der niederländischen Stillleben-Malerei des 17. Jahrhunderts mit keinerlei Vorurteilen oder Befangenheiten.
Anders als ein Betrachter, der mit diesen Bildern aufgewachsen ist und sie daher als klischeehaft sehen mag, sind sie für mich dynamisch und sehr lebhaft. Die Geschichte, die sie von Ausbeutung, Eitelkeit, Gier und Zwang erzählen, hallt durch die Jahrhunderte nach und ist bemerkenswert zeitgenössisch.
Diese Fähigkeit, Geschichten aus Dingen zu kreieren anstatt aus Menschen oder Orten, ist es, was mich antreibt.
Die Dinge, die wir besitzen; die Dinge, die wir benutzen; die Dinge, die wir behalten; die Dinge, die wir wergwerfen – all diese Dinge definieren uns. Wir bewerten andere Menschen danach, welche Dinge sie zeigen, unser Selbstwertgefühl ist verpackt in den Dingen, die wir besitzen.
Viele Fotografen und Künstler sehen das Stillleben als Übungsgenre. Eine Schale voller Früchte ist ein sehr günstiges, unkompliziertes Modell und wird stundenlang stillsitzen, während Du Deine Technik perfektionierst. Es wurde immer als die niederste Form der Kunst angesehen, eher Dekoration. Ich benutze es als ein Vehikel, um komplexe Gedanken auszudrücken und für gemächliches Nachsinnen.
Ich benutze dabei ganz schamlos die Requisiten und den Stil der niederländischen Meister, um die Geschichten zu transportieren, da es in meinen Augen die Zeitlosigkeit und Universalität der Aussage zeigt.
Wie bist Du überhaupt auf die Idee gekommen, die Motive der Stillleben-Gemälde in die Fotografie zu bringen?
Ich wünschte, dass ich behaupten könnte, der erste zu sein, der die Motive der Stillleben-Maler benutzt, aber die niederländischen Meister haben die Fotografen inspiriert, seit dieses Medium sich entwickelt hat. Roger Fenton, Thomas Williams, Adolphe Braun, William Lake Price und Heinrich Kühn nutzten alle den Stil und die Motive des 17. Jahrhunderts in den 1850er Jahren.
Aber da ihre Aufnahmen schwarzweiß oder sepia waren, konnten sie nie den unglaublichen Realismus der Gemälde erreichen und demonstrierten so eher, wie schwach das Medium beim Abbilden der wortwörtlichen Wahrheit war.
Im 20. Jahrhundert folgte die Stillleben-Fotografie den Trends in der Malerei, vom Kubismus zur Abstraktion, vom Surrealismus zur Pop Art. Indem sie diese Stile benutzten, konnten sie eine andere Art der Wahrheit zeigen und erreichten, dass wir die Welt auf eine neue Weise sahen.
Der traditionelle Stil der Stillleben wurde größtenteils gemieden, zweifelsohne, weil Fotografen genauso wie Künstler verzweifelt versuchten, etwas Neues zu sagen, was sicherlich eine der Schlüsselrollen des Künstlers an sich ist.
In der jüngeren Vergangenheit haben einige Fotografen wie Dave LaChapelle und australische Kollegen wie Marian Drew und Robyn Stacey sich von den Niederländern inspirieren lassen. Aber anders als ich beziehen sie moderne Elemente mit ein und ihre Werke können ebenso wie die der frühen Fotografen nie mit den Originalgemälden verwechselt werden.
Mein Ziel ist gerade das Gegenteil: Ich möchte den Betrachter verwirren, ich möchte, dass er sich wundert, ob er denn nun eine Fotografie, ein Gemälde oder die Fotografie eines Gemäldes ansieht.
Ich möchte im Betrachte einen Sinn für Verwunderung wecken, um das Handwerk und die Hingabe zu würdigen, die für die Herstellung des Werkes nötig ist. Gerade so, wie die Betrachter der Originalgemälde.
Frühere Künstler haben diesen Moment der Verwunderung mit Tricks erreicht, zum Beispiel haben sie eine peinlich genau gemalte Fliege in ihre Gemälde integriert, in der Hoffnung, dass der Betrachter versuchen würde, sie von der Leinwand zu wischen. Oder sie malten einen Vorhang vor die Szene und hofften, dass jemand versuchen würde, ihn zur Seite zu schieben.
Ich möchte, dass meine Werke die gleiche Art von Verwunderung auslösen. Ich hoffe auch darauf, dass die Betrachter sich fragen, worin der Sinn besteht, diese alten Bilder wieder aufzuwärmen, weil sie dann vielleicht den Wert von Veränderung in Frage stellen.
Weißt Du, ob Du diese Ziele meistens auch erreichst? Was sind für gewöhnlich Reaktionen der Betrachter auf Deine Arbeiten?
Die Leute haben meine Fotografien oft für Gemälde und nennen sie auch so, nachdem ich ihnen gesagt habe, dass es eine Fotografie ist; manchmal sogar mehrmals. Wenn es wie ein Gemälde aussieht, muss es eines sein.
In meinem Flickrstream habe ich oft sehr detaillierte Beschreibungen der Symbolik, die in meinen Arbeiten steckt und ich weiß aus den vielen E-Mails, die ich bekomme, dass dies Leute dazu angeregt hat, über die Originalgemälde in einem zeitgenössischeren Licht nachzudenken.
Erst kürzlich wurde ich auf das Blog eines Professors der New York University hingewiesen, der in großartiger Tiefe ein Gemälde von Peiter Claesz beschrieb, das sich als eines meiner Fotografien entpuppte. Er war völlig verblüfft, als ich ihn darauf hinwies.
Wie entwickelst Du die Idee zu einem neuen Bild?
Ich beziehe meine Inspiration aus vielen Quellen: Von einem speziellen Objekt, einem Gedicht oder Sprichtwort, von einem besonders schönen Obst oder Gemüse. Oft webe ich komplexe Erzählungen in meine Arbeiten, deshalb beginne ich meistens mit einem einzelnen Objekt und füge andere hinzu, um eine Geschichte zu entwickeln, bis sie vollständig ist.
Mir, als jemandem, der ziemlich neu im Genre der Stillleben-Fotografie ist, scheint sie voller strenger Kompositionsregeln zu sein. Würdest Du dem zustimmen?
Die traditionellen Stillleben-Maler haben eindeutig eine Sammlung von Techniken entwickelt, um Tiefe und Bewegung in ihre Gemälde zu integrieren und viele dieser kompositorischen Anordnungen haben sich auch auf die Fotografie übertragen.
Ohne diese Techniken kann ein Stillleben ziemlich flach aussehen und dem Auge keine Möglichkeit geben, um zu wandern. Aber wie immer in der Kunst sind da draußen Regelbrecher unterwegs.
Ori Gersht jagt Stillleben-Kompositionen wortwörtlich in die Luft, Walker Evans hat Bilder von Stillleben eher gefunden als sie zu komponieren und Irving Penn hat Stillleben von weggeworfenen Zigarettenstummeln gemacht.
Dieses Genre kann genauso abwechslungsreich und ergiebig sein wie jedes andere. Regeln können helfen, aber auch immer gebrochen werden.
Kannst Du uns mehr über die Vorbereitungen zu einer Fotosession erzählen?
Einige gehen ziemlich schnell, da ich eine große Bandbreite von Objekten angesammelt habe, um die Bilder zu komponieren, aber andere erfordern es, besondere Dinge zu beschaffen oder herzustellen, um eine Erzählung, die mir vorschwebt, zu vollenden.
Normalerweise mache ich eine Testaufnahme, grüble ein paar Tage darüber und vermerke alle Änderungen auf meinem iPad. Dann mache ich eine weitere Aufnahme und arbeite damit ebenso und diesen Prozess wiederhole ich so lange, bis alles perfekt ausbalanciert ist.
Welche Rolle spielt Nachbearbeitung in Deiner Arbeit?
Gute Frage.
Ich weiß, dass viele Fotografen inbrünstige Photoshop-Gegner sind, ich bin keiner von ihnen. Ich bin kein Fotojournalist; für mich ist das Ziel der Fotografie, dem Leben einzuhauchen, was ich mir vorgestellt habe und was die Kamera ohne weitere Hilfe produzieren kann, reicht mir nie.
Ich benutze Abwedler und Nachbelichter, um den Blick zu den Schlüsselelementen einer Komposition zu lenken. Oder um den Objekten mehr Tiefe zu geben. Ich sättige oder entsättige Objekte, um sie mehr oder weniger prominent hervortreten zu lassen.
Nur sehr selten baue ich nachträglich Dinge in eine Szene ein, da sie sich alle gegenseitig reflektieren und es sich dann falsch anfühlt. Aber ich würde nicht zögern, digital ein schönes Fenster des 16. Jahrhunderts hinter meinem Stillleben einzufügen, wenn ich es brauche, um meine Geschichte abzurunden, aber leider keines in meinem Studio habe.
Und wenn eine Erzählung einen Fisch, gefangen in einer Blase, die durch einen Wald von Kerzenständern schwebt, erfordert, dann wird eben ein bisschen Nachbearbeitung nötig sein.
Gibt es spezielle Fotografen, die Dich inspiriert haben?
Ich bin eher von Malern wie Willem Kalf, Pieter Claesz, Vermeer und Rembrandt inspisiert als von Fotografen, aber ich bin ein großer Bewunderer von Irving Penn.
Ich habe gelesen, dass Du auch für ein Kochbuch fotografiert hast. Wo kann man Deine Werke sonst noch finden?
Ich stelle in Lumas-Galerien aus und werde in ihren Büchern publiziert. Meine Bilder sind auch in einem Buch, das in der australischen Kunsterziehung genutzt wird und in zu vielen Magazinen, um sie alle zu nennen.
Weil ich ständig nach meiner Technik gefragt werde, habe ich selbst auch ein eBook namens Still Life Photography* veröffentlicht, das die Philosophie und Techniken erklärt, die ich benutze, um meine Stillleben zu kreieren.
Was sind Deine Träume und Ziele für die Zukunft?
Wenn man sich an die Ansichten der Vanitas-Gemälde der niederländischen Meister hält, dann ist alles Eitelkeit und unsere Zukunft ist der Tod. Unterwegs dorthin hoffe ich, ein bisschen was darüber zu lernen, wie man ein gutes Leben lebt und ein bisschen von dem, was ich lerne, weiterzugeben.
Vielen Dank, Kevin!
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