Cityscapes
Als Gegengewicht zu meiner Tätigkeit als Landschaftsfotograf bereise ich mehrmals im Jahr Großstädte, um auf Motivjagd zu gehen. Architekturfotografie hat überraschend viele Parallelen zur Landschaftsfotografie. Es dreht sich ebenso alles um die Lichtverhältnisse und die Bildkomposition. Der größte Unterschied ist das Kunstlicht, was die Dämmerung zur idealen Zeit für Städtebilder macht.
Planung und Umsetzung von Motiven
Das wundervolle an meinem Beruf ist die Freiheit, meine Reiseziele selbst definieren zu können. Nicht nur einmal sah ich in einer Werbung oder auf einer Webseite ein Foto, welches mich so faszinierte, dass ich kurz darauf diesen Ort besuchen musste. Städte wie Paris, Rom oder Berlin sind voll von herausragender Architektur und die Fülle von Motiven lassen mich immer wieder in diese Metropolen zurückkehren.
Es muss aber nicht immer ein mehrtägiger Trip sein. Auf dem Weg von Wien nach Norwegen zum Beispiel liegt Prag, Dresden, Hamburg und Kopenhagen. So nutze ich die Abend- und Morgendämmerung, um das eine oder andere Bild zu knipsen, ohne mich in Unkosten durch Flug und Hotel zu stürzen.
Sternwarte Urania am Donaukanal, Wien.
Ich lebe nur eine halbe Stunde von der österreichischen Metropole entfernt. So kann ich jederzeit meinen Durst nach Architekturfotografie stillen.
Wenn ich eine Stadt mit dem Fokus Fotografie bereise, sind es meistens drei oder vier Nächte, die ich vor Ort verbringe. Nachdem ich mittels Recherche bei Bildagenturen oder lokalen Fotografen die geplanten Motive in den Stadtplan eingezeichnet habe, suche ich mir ein Hotel mit möglichst optimaler Lage. Die Entscheidung, welches Motiv ich wann umsetzte, treffe ich immer erst spontan je nach Witterungsbedingungen.
Die Ausrichtung des Motivs ist entscheidend. Sind ein paar Wolken am Himmel, kann Gegenlicht für einzigartige Stimmungen sorgen. Ist es strahlendblau, wähle ich Motive quer zur Sonne. Ist es bedeckt, bleibt nur die Blaue Stunde als nutzbare Zeit.
Das größte Stahlwerk Österreichs steht nie still. Gespenstisch war die Stille zum Zeitpunkt der Aufnahme. Echte Nachtaufnahmen mache ich sehr selten, mir sind die Kontraste zu hoch und ich bin kein Fan von HDR-Software. Dieses Bild wurde aus drei Einzelbelichtungen manuell in Photoshop überblendet. Arbeit, die ich mir gern spare.
Technischer und inhaltlicher Anspruch
Licht ist wie in jedem Bereich der Fotografie der wichtigste Faktor, ein Bild als herausragend zu markieren. Ich bin bezüglich der Qualität des Lichts zu keinen Kompromissen bereit und packe die Kamera nur aus, wenn ich überzeugt bin, dass es sich lohnt.
Anspruchsvoll zu sein ist anstrengend, zumal ich nicht wie übliche Touristen gemütlich nach dem Frühstück losziehe. Vor der Morgendämmerung geht es los, im Frühsommer läutet der Wecker nicht lange nach vier und am Abend komme ich selten vor halb elf ins Hotel zurück.
Mit über zehn Kilogramm Ausrüstung mehrere Tage hintereinander viele Kilometer auf Asphalt zu marschieren, ist auch nicht zu unterschätzen. In Zeiten, in denen jeder Zweite mit einer Spiegelreflexkamera durch die Gegend läuft und täglich Milliarden neuer Bilder entstehen, muss man sich die Latte hoch anlegen, um Erfolg zu haben.
Anders gesagt: Die Bilder müssen besonders gut sein, um sich von der Masse abzuheben. Es folgen fünf Tipps zur Bildgestaltung.
1. Getrennte Linien
Was haben annähernd alle guten Bilder gemeinsam? Ich behaupte, einen einfachen und starken Bildaufbau. Es heißt nicht umsonst „Großstadtdschungel“. Ordnung in die Komposition zu bringen, ist die Herausforderung, die es in der Städtefotografie anzunehmen gilt. In meinen Bildern versuche ich, dem Betrachter einen Weg vorzugeben, dem sein Auge folgen kann.
Wenn zu viel Information im Bild ist, erschwere ich es dem Betrachter, diesem Weg zu folgen. Deshalb ist ein klarer Bildaufbau von größter Bedeutung. Linien und Flächen, die dominanten Formen in der Architekturfotografie, lassen sich am deutlichsten abbilden, wenn darauf geachtet wird, dass sie sich nur an geeigneten Stellen berühren. Je weniger Berührungen, desto klarer die Bildsprache.
Olympia Hafen von Barcelona in der Morgendämmerung. Es war mir wichtig, dass sich die Palmen und Wolkenkratzer nur wenig „berühren“, um die Bildsprache so klar wie möglich zu halten.
2. Blaue Stunde – Mischlicht ist nicht gleich Mischlicht
Die viel zitierte Blaue Stunde ist leider in den seltensten Fällen eine Stunde. In Abhängigkeit vom Breitengrad und der Jahreszeit bewegt sich die Sonne in einem steilen oder flachen Winkel zum Horizont. Je flacher der Winkel, desto länger die Dämmerung und desto länger die Blaue Stunde.
Zwei Extreme als Beispiel: In Stockholm Anfang Juli sehen Abend- und Morgendämmerung nahtlos ineinander über. Drei Stunden Mischlicht sind das Ergebnis. In Singapur nahe dem Äquator fällt die Sonne wie ein Stein vom Himmel, kaum zehn Minuten gutes Licht ermöglichen nur ein paar Aufnahmen pro Tag.
Mischlicht geht immer! Auch ein grauer Tag ohne spektakuläre Lichtverhältnisse endet mit ein paar Minuten gutem Licht.
Das Licht hat nach Sonnenuntergang bei heraufziehender Nacht ähnliche Qualitätskriterien wie bei Sonnenschein. Quer zur Sonne lässt sich der Himmel mit einem Polfilter abdunkeln, auch nachdem die Sonne verschwunden ist.
Diese Tatsache nutze ich gern, um das magische, blaue Licht schon früher zu nutzen. Gegenlicht ist denkbar ungeeignet, da die Gebäudefronten kein Tageslicht mehr abbekommen, auch wenn der Himmel noch hell genug wäre. Zu hohe Kontraste sind die Folge.
Dank des Polfilters konnte ich den Himmel so weit abdunkeln, dass eine Mischlicht-Aufnahme schon kurz vor der Dämmerung möglich war.
3. Lange Brennweite
Ein Teleobjektiv ermöglicht uns zwei Gestaltungstricks: Das Freistellen (Isolieren) von Details und das Verdichten der Perspektive. Bei Brennweiten ab 100mm und besonders auffällig über 200mm erscheint ein Motiv mit Tiefe für das menschliche Auge komprimiert oder verdichtet.
Wir Menschen sehen immer mit derselben Brennweite, deswegen sind Aufnahmen mit Weitwinkel- oder Teleobjektiven auch besonders dynamisch. Vielleicht verwöhnt uns die Evolution in den nächsten tausend Jahren mit zoom-fähigen Augen, bis dahin erfreuen wir uns an spannenden Bildern mit langen Brennweiten als etwas Außergewöhnliches.
Details wie Muster isoliere ich mit einer langen Brennweite. Immer wieder halte ich auf der Motivsuche inne und versuche, bewusst interessante Details zu finden, da sie allzu leicht übersehen werden.
Westminster Palace aus 1,5 km Entfernung mit 300mm fotografiert. Die lange Brennweite lässt die hintereinander angereihten Bildelemente Bäume, Brücke, Riesenrad und Palace optisch zusammenrücken.
4. Rahmen
Ein gut gewählter Rahmen kann die inhaltliche Qualität eines Bildes erhöhen. Meistens erfüllt der Rahmen die Funktion des Vordergrunds, gleichzeitig gibt er dem Bild Tiefe und eine Dimension. Das Resultat ist ein weit dynamischer anmutendes Bild, als es ohne Rahmen wäre.
Nach der Regel der getrennten Linien eignet sich alles Mögliche als Rahmen, ob Bäume, Wolken, ein Tor, Säulen oder eine Brücke. Ich nutze nicht nur jede Gelegenheit, ein Motiv durch Rahmung zu optimieren, ich halte aktiv danach Ausschau.
Die Stadt der Wissenschaft und Künste im spanischen Valencia ist eine perfekte Kulisse, um moderne Architektur zu fotografieren. Flache Wasserbecken zwängen einem bei Windstille Spiegelungen geradezu auf. Die Brücke setzte ich in diesem Beispiel als Rahmen ein.
5. Bewegte Bildinhalte
Selbstleuchtende und bewegte Bildteile sind ideal, um sie als Teil der Komposition zu verwenden. Autos und Züge erfüllen das in jeder Hinsicht, nicht zu vergessen Schiffe. Beim Fotografieren im Mischlicht ergibt sich ein Zeitfenster, in dem die Scheinwerfer von Autos oder Zügen die optimale Helligkeit haben.
Da sie ähnlich hell wie Laternen oder beleuchtete Fenster sind, ergeben sich daraus keine speziellen Anforderungen an die Belichtung. Die Dauer der Belichtung ist ausschlaggebend für das Endergebnis. Experimentiert mit Belichtungszeiten von wenigen Sekunden bis zu mehreren Minuten!
Eines der meistfotografierten Motive in Venedig. Was soll’s?! Ich will es mit eigenen Augen sehen und die Erinnerung mit nach Hause nehmen. Tendenziell versuche ich, stark besuchte Sehenswürdigkeiten in der Morgendämmerung zu fotografieren. In diesem Fall unmöglich, da weder die Kirche im Hintergrund beleuchtet gewesen wäre, noch hätte ich die Boote einbauen können.
Der Kamerastandpunkt liegt auf einer hölzernen Brücke, die den Canal Grande überspannt. Da die Brücke mit jedem Fußgänger leicht schwankte, bestand die Herausforderung darin, einen Moment ohne Fußgänger abzuwarten. Kein leichtes Unterfangen in der Stadt mit den meisten Touristen weltweit! Ich positionierte mich direkt über einem Pfeiler, um die Vibrationen zu minimieren und schaffte es tatsächlich, ein scharfes Bild zu produzieren.
Weit mehr Tipps und Tricks für spannende Bildkompositionen findet Ihr in meinem eBook CITYSCAPES zu diesem Thema.
Starke Aufnahmen, allesamt nach meinem Geschmack! Und schon bin ich unterwegs zum eBook… ;o)
Toller Artikel, und vor allem der Besuch deiner Website lohnt. WIrklich großartige Fotografien!
Da bekommt man sofort Lust und möchte Stativ und Kamera packen – danke für diesen interessanten Artikel!
Danke, dass Du an Deinen Erfahrungen teilhaben lässt. Deine Aufnahmen sind tatsächlich außergewöhlich und werden – nach meinem Geschmack – dem von Dir formulierten Anspruch gerecht.
ganz stark. Bilder, Artikel, Webseite. Danke für diesen Tipp
Toller, informativer Artikel Rainer! Vll. sollte ich mir dein E-Book demnächst mal zulegen.
Grüße
Sehr schöner Artikel mit hilfreichen Tipps, gefällt mir gut. Warum habe ich eigentlich dein eBook noch nicht?
Danke für die tollen Tips!
Und natürlich, die Bilder sind WoW !
Warum bin ich oft zu faul, das Stativ zu nehmen? Ich glaube, ein ernstzunehmendes Problem für viele Fotografen, oder?
Schöne Bilder! Motive sind Klasse.
Was mir nicht ganz so gefällt, dass sie zum Teil etwas hell für Nachtaufnahmen sind. Ist das gewollt? Die nächtliche Stimmung kommt teilweise nicht rüber… (bei Stockholm wäre das zu verstehen :-) )
Echt tolle Aufnahmen und Bearbeitungen.
Ich weis, ich bin ein bißchen spät mit meinem Kommentar, aber ich wollte mich für diesen tollen Artikel bedanken: Neben den nützlichen Tipps gibts klasse Architekturfotos, die sich wirklich sehen lassen können! :-)
Wow…ganz starke Bilder. Als alter Bacelona-Fan gefällt mir dieses am besten. Danke auch für die tollen Tips.
Danke für deine tollen Tipps. Werde dieses Jahr für eine Woche in London sein und finde deshalb solche Artikel echt hilfreich. Weiter so!
Es scheint so als ob es nur mir so ergeht, aber ich finde nicht alle Bilder wirklich gut. Bei z.B dem Westminster Palace habe ich mich ernsthaft gefagt ob es sich dafür gelohnt hat mit den 10kg an Ausrüstung durch die Gegend zu marschieren. Und ja, es stimmt dass die 300mm Brennweite alles sehr stark zusammenrücken lässt, aber ich persönlich finde die Fotografie genau deswegen nicht ansprechend. Es wirkt alles so unübersichtlich, und ich wusste nicht wohin mein Auge schauen sollte. Die Bäume sind für meinen Geschmack zu dominant in diesem Bild.
Im Gegenteil dazu finde ich das Bild über dem Westminster Palace (das mit den Booten vor der Häuserfront) sehr interessant. In der oberen Hälfte die klaren Linien, bzw in der unteren die unscharfe Spiegelung wirken sehr gelungen. Genau wie die Boote, die diese Symmetrie wieder etwas aufbrechen.
Insgesamt aber ein lesenswerter Artikel! Gute Arbeit!
Gelungene Stadtaufnahmen, gefallen mir. Denke das viele Stadtaufnahmen auch in Schwarz-Weiß einen besonderen Reiz ausmachen. Interessant auch deine Experiemente mit den Belichtungszeiten von wenigen Sekunden bis zu mehreren Minuten und den Übereinanderlegen der Bilder, darf ich fragen wie lang du an der Bearbeitung gesessen hast?
Wow…ganz starke Bilder.