24. September 2012 Lesezeit: ~5 Minuten

Wenn es „klick“ macht

Ich stehe vor einem Haus im 17. Wiener Gemeindebezirk. Baujahr 1894. Etwa ein Drittel des Daches fehlt. Wahrscheinlich ein Bombentreffer aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Türe öffnet sich und ich werde vorbei an dorischer, ionischer und korinthischer Ordnung in ein Zimmer geführt. Das Zimmer ist einfach. Es ist eigentlich mehr ein Raum als ein Zimmer. Ich setze mich und starte:

Kann ich vielleicht einen Kaffee haben?

Nein, aber auf dem Schreibtisch steht ein Tee. Bedien Dich.

(Bäh, is der bitter.)

Wann hast Du das erste Mal Deine Leidenschaft für die Fotografie entdeckt?

Das erste Mal Freude am Knipsen hatte ich 2006, bei einer Besichtigung einer leerstehenden Spinnfabrik während meines Studiums.

Der Fotografie?

Nein. Firmitas, Utilitas & Venustas. Von Fotografie habe ich eigentlich keine Ahnung. Ich denke, ich könnte nicht einmal fünf Fotografen nennen. Andreas Gursky, Julius Shulman, David LaChapelle, Ed Ruscha? Tja, ich hab’s ja vermutet.

Julius Shulman durfte ich allerdings 2004 in seinem Haus in Los Angeles besuchen. Ich hatte damals leider überhaupt keine Ahnung von Fotografie, geschweige denn, wer da vor mir sitzt. Für diejenigen, die jetzt genauso wenig Ahnung haben, wie ich damals hatte: Julius Shulman ist, beziehungsweise war, einer der bedeutendsten Architekturfotografen. Sehr präzise, teilweise stark inszeniert und somit geschaffen für die Architektur der Nachkriegsmoderne.

Was mir von dem Besuch noch stark in Erinnerung geblieben ist, ist einerseits das wie von Zauberhand erschienene Reh in seinem Garten und, für dieses Interview wohl wichtiger, sein Zorn über das wilde Herumknipsen mit den Digitalen. Daran denke ich oft, wenn ich selbst einmal zu schnell den Auslöser betätige.

Zurück zu der Spinnfabrik. Ging es ab dem Zeitpunkt richtig los?

Nein. Es hat drei Jahre gedauert, bis ich wieder an einen Ort kam, der für mich dieses unbestimmbare Etwas hatte. Dieser Ort war Miramar am Mar de Chiquita in Argentinien. Vom Wasser verschlungene Hotelanlagen, verrostete Kutschen, Flamingos, vom Salz überzogener Schlamm… Alles, was das Herz begehrt.

Ich denke, Miramar war der Auslöser, von da an meine Reisen mit meinem Alphatier abzustimmen. 2009 war auch das Jahr, in dem ich mir meine Spiegelreflex gekauft habe. So richtig los ging es bis heute nicht. Neben meiner Arbeit als Architekt und Grafiker bleibt leider nur alle paar Wochen einmal Zeit, auf die Jagd zu gehen. Die meiste Zeit mit Fotografieren verbringe ich im Urlaub.

Alphatier?

Meine Kamera.

Ah ja. Darauf trink ich noch einen Schluck von dem Getränk mit den Unmengen an Gerbstoffen.

Wie es scheint, ist Fotografieren eine sehr persönliche Sache für Dich, oder?

Ja, das sollte es doch sein. Ich gehe auch nur fotografieren, wenn ich wirklich in der richtigen Stimmung bin. Wenn ich müde oder grantig bin, hat es eh keinen Sinn. Es kann manchmal auch ein bis zwei Tage dauern, bis ich es schaffe, meine Wahrnehmung umzustellen und anfange zu sehen, was ich auch schlussendlich am Foto, mit oder ohne Nachbearbeitung, sehen will. Wenn ich dann einmal drinnen bin, wird es regelrecht zu einem Rauschzustand. Das Sichtfeld verändert sich und das Verlangen, wieder einen dieser besonderen Momente zu erfahren, steigt und steigt.

Über die Jahre hat sich dieses Gefühl immer stärker ausgeprägt. Es hält äußerst kurz an, doch wenn ich Tage oder Wochen später auf das Foto blicke, kommt ein Teil dieses Moments wieder zurück zu mir. Jedes dieser Fotos hat einen ganz besonderen Platz in meinem Zentralspeicher. Ich denke, dieser Augenblick ist auch die Triebfeder für die meisten guten Fotografen, deren Namen ich nicht kenne.

Gibt es irgendwelche Pläne, diese Momente synthetisch herzustellen? Neben Deiner zeitintensiven Arbeit als Architekt und Grafiker wäre es wohl keine schlecht Idee.

Ich probiere momentan tatsächlich, etwas mehr System in meine Arbeit zu bringen. Yellow Submarine war diesbezüglich der erste Versuch. Eine weitere Serie ist in Arbeit. Ich habe eine Liste mit Ort, Tageszeit, Thema und Lichtintensität erstellt, welche Foto für Foto abgearbeitet wird. Sobald mir ein Ort, Bauwerk oder eine städtische Komposition interessant vorkommt, wird sie notiert und später in die Liste eingetragen. Ob es dann schlussendlich „klick“ macht, sehe ich, wenn ich nochmals vor Ort bin.

Bislang habe ich die Serien erst zusammengestellt, nachdem ich fotografieren war, was dazu führte, dass ich keine richtigen Serien mit einem übergeordnetem Thema und einer farblichen Einheit hatte. Das ist etwas, woran ich in Zukunft definitiv arbeiten möchte. Die wohl ansehnlichste Serie, CyanCali ist ebenso nur zufällig entstanden, auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so scheint.

Forcieren möchte ich aber auch trotzdem nichts. Architektur und Grafik macht mir ebenso viel Freude wie das Fotografieren, was dazu führt, dass sich alle drei Disziplinen gegenseitig ergänzen.

Wie sieht eigentlich Dein Arsenal an Kameras aus?

Mein Arsenal ist mein Auge. „Klick“ machen sollte es schon vor dem Betätigen des Auslösers. Trinkst Du den Tee noch? Sonst trinke ich ihn.

Ja. Den trink ich schon noch.

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