Im Gespräch mit Leland Bobbé
Hallo Leland! Danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview mit uns nimmst. Zuerst, erzähl uns doch mal ein bisschen was über Dich: Wer bist Du, was machst Du?
Mein Name ist Leland Bobbé und ich komme aus New York City. Ich bin seit über 25 Jahren als professioneller Fotograf tätig und meine Karriere hat währenddessen einen ganz interessanten Verlauf von Fashion/Beauty zu Portraits realer Menschen genommen. Mein aktuellstes Projekt heißt „Half-Drag – eine andere Art von Schönheit“.
Für diese Serie nehme ich sehr nahe Portraits von Drag-Queens aus New York City auf, wobei sie halb männlich und halb weiblich zu sehen sind. Diesen Effekt erreiche ich, indem nur auf eine Seite des Gesichts Make-up aufgetragen wird und ich arbeite mit dem Haar so, dass der Betrachter das weibliche Haar auch nur auf der geschminkten Seite sieht. Alle diese Aufnahmen entstehen in der Kamera, sie werden nicht nachträglich digital zusammengesetzt.
Was ist die Geschichte hinter „Half-Drag“? Wie entstand die Idee und wie hat sich das Konzept von dort aus entwickelt?
Vor diesem Projekt habe ich eine Portraitserie von Neo-Burlesque-Darstellern gemacht, die im Frühjahr 2011 drei Monate lang im Museum of Sex hier in New York ausgestellt wurde. Im Sommer sah ich dann ein Foto auf Facebook, das einen der Neo-Burlesque-Darsteller halb als Mann, halb als Frau gekleidet zeigte. Ich lud ihn ein, zu mir ins Studio zu kommen, um Studio-Portraits dieses Charakters zu machen.
Ein paar Monate später ging ich zu einer Industrieparty im Art Director’s Club, die von Workbook gesponsort wurde und bei der es Burlesque-Auftritte und kellnernde Drag-Queens gab. Lori Watson von Workbook stellte mich Sabel Scities vor – einer der Queens, die mir vorschlug, ein neues Projekt mit den Drag-Queens zu machen.
Ich würfelte die Idee in den folgenden Monaten ein bisschen in meinem Kopf herum und kam dann im Januar auf die Idee, dafür die halb männliche, halb weibliche Aufnahme, die ich bereits gemacht hatte, mit einzubeziehen. Ich dachte mir, dass ich durch einen sehr engen Ausschnitt der Portraits die Unterschiede der männlichen und weiblichen Seiten akzentuieren könnte.
Also nahm ich wieder mit Sabel Kontakt auf, erklärte meine Idee und bat ihn bzw. sie, mein erstes Versuchskaninchen zu sein. Ich war so glücklich mit den Resultaten, dass ich beschloss, dieses Projekt weiter zu verfolgen.
Was hat Dich persönlich am Thema der Serie angesprochen? Und wie haben Deine Modelle auf die Bilder reagiert?
Ich selbst war daran interessiert, die Überschneidungen zwischen männlich und weiblich zu erforschen, die sich in unserer Welt ergeben, in der die Grenzen zwischen den Geschlechtern mehr und mehr verschwimmen.
Die Modelle ihrerseits liebten die Idee und sie alle liebten auch die fertigen Bilder. Es war etwas Besonderes für sie, weil sie dadurch die Möglichkeit erhielten, ihre männliche und auch ihre weibliche Seite in einem einzigen Bild zeigen zu können.
In Deinem Blog habe ich gesehen, dass „Half-Drag“ sich gerade ziemlich virusartig im Internet verbreitet. Bekommst Du „nur“ Aufmerksamkeit und tonnenweise E-Mails, die Du abarbeiten musst oder bringt es auch neue Jobs?
Zwar hat die ganze Aufmerksamkeit mir bisher tatsächlich keine neuen Aufträge eingebracht, aber sie hat doch dafür gesorgt, dass ich Kunstdrucke verkaufen konnte, im Oktober eine Soloausstellung in der PHD Gallery in St. Louis machen kann und bei zwei Gruppenausstellungen im Oktober im Dubai – mit dem Titel „Identity“ – und in Berlin dabei sein darf. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das wiederum zu ein paar neuen Auftragsarbeiten führen wird.
Am Anfang sagtest Du, dass Deine fotografische Karriere sich mit den Jahren verändert hat. An welchem Punkt bist Du gerade und in welche Richtung soll es weitergehen?
Obwohl ich sehr aktiv meine kommerziellen Arbeiten verfolge, würde ich mich sehr gern mehr auf persönliche Projekte konzentrieren und mehr Ausstellungen machen, um mehr Geld durch den Verkauf von Kunstdrucken zu verdienen.
Von dem Blick in die Zukunft zur Vergangenheit: Wie hat’s mit der Fotografie bei Dir angefangen?
Ich habe angefangen, mich mit der Fotografie zu beschäftigen, weil ich irgendwann begann, Dinge zu sehen, die ich festhalten wollte. Mal war es eine bestimmte Art von Licht, etwas Interessantes auf der Straße oder ein schöner Baum.
Hast Du persönlich fotografische „Regeln“, nach denen Du lebst, eine Philosophie hinter Deinen Arbeiten?
Weniger ist mehr. Halte die Dinge sauber und einfach.
Wie sieht’s mit der technischen Seite aus? Welche Ausrüstung benutzt Du und welche Rolle spielt die Auswahl in Deiner täglichen fotografischen Routine?
Ich benutze eine Nikon D700 mit einem Nikon 70-300m Zoomojektiv, meistens setze ich es ungefähr um 225mm ein. Die Serie „Half-Drag“ ist immer gleich ausgeleuchtet mit einem Profoto-Beautydish mit Gitter und einem Reflektor unter dem Gesicht.
Für die meisten meiner Portraitarbeiten benutze ich unterschiedliche Variationen dieses Lichtaufbaus. Obwohl die Auswahl professioneller Ausstattung wichtig ist, gibt es da draußen eine ganze Menge, aus der man wählen kann. Das Wichtigste ist nicht, welche Geräte man auswählt, sondern wie man damit arbeitet – und die Idee an sich.
Ich habe auch einen Blick auf Deine ganzen anderen Arbeiten geworfen und habe mich in „Black Swan“ aus der Serie „Stormy Weather“ verliebt. Später habe ich dann in Deinem Blog gelesen, dass es eines Deiner ewigen Favoriten ist. Wie viel Glück braucht man, um ein herausragendes Foto zu machen?
Der Dreh- und Angelpunkt bei allem ist wirklich das Sehen an sich. Im Fall des Regenschirms hatte ich das Glück, ihn zu finden – zu sehen – und meine Kamera dabei zu haben, aber dann stand ich dort für eine Weile und hatte das Motiv so im Sucher, dass sich Raum für Menschen ergab, die in den Rahmen hineinliefen.
Ich machte ungefähr 18 Bilder oder so und als ich dann dieses eine Bild auf meinen Kontaktabzügen fand, war ich außer mir vor Freude. Das ist Straßenfotografie, die vollkommen anders ist als das Studio, in dem ich ein Foto konstruiere, es so ausleuchte wie ich möchte und mein Modell anleite. Im Studio habe ich die volle Kontrolle, aber auf der Straße geht es nur ums Sehen und Reagieren.
Welche weiteren Projekte hast Du im Hinterkopf, was sind Deine Pläne für die Zukunft, für morgen?
Momentan arbeite ich an einem anderen Projekt, das „New York City Wall Art“ heißt. Dabei fotografiere ich Ausschnitte von zerrissenen und zerfledderten Postern, die ich an Gebäuden und Wänden in New York City finde. Ich habe das Gefühl, dass diese zufälligen Risse und Schlitze von Postern, die über anderen Postern und Wänden liegen, einen sehr interessanten, patina-ähnlichen Effekt haben, der eine abstrakte Ausdrucksform erzeugt, die auf mutigem Realismus basiert.
Wenngleich die Leute dies beim Vorbeigehen vielleicht unterbewusst wahrnehmen, halten – wenn überhaupt – nur sehr wenige an, um sie bewusst wahrnehmend zu betrachten. Diese Bilder zwingen den Betrachter dazu, sich mit unvereinbaren Elementen auseinanderzusetzen, die normalerweise nicht zusammen gesehen werden, in der Realität aber so existieren.
Vielen Dank für das Interview, Leland!
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Die Serie „Half-Drag“ ist in Deutschland übrigens so beliebt wie in keinem anderen Land außerhalb der USA. Deshalb sucht Leland Bobbé noch nach Möglichkeiten, hierzulande auszustellen. Wer Galerien kennt, die sich für seine Serie interessieren könnten oder sogar entsprechende Kontakte hat, darf sich gern bei ihm melden!