Die Gestalt des Moments
Manchmal braucht es mehr als ein Konzept, eine Idee oder den Willen, etwas zu fotografieren. Der Zufall spielt in den meisten Bereichen der Fotografie eine große Rolle und kann nicht manipuliert werden. Entweder der Moment ergibt sich – oder nicht.
Ich hatte keine genaue Vorstellung, was im Endeffekt bei meinen Versuchen herauskommen sollte. Ich finde, manchmal muss man das auch gar nicht wissen. Etwas so Unvorhersehbarem wie dem Feuer kann man sich auch gar nicht anders nähern.
Zuallererst suchte ich mir ein ruhiges Plätzchen, an dem es nicht auffällt, wenn man Stichflammen durch die Landschaft feuert. Und dann fing ich auch schon an, Bilder zu machen. Ich baute mein Stativ auf und fokussierte auf den vor mir befindlichen Baumstamm. Direkt die Flammen zu fokussieren, ist unmöglich und da der Autofokus gewiss zu langsam dafür wäre, entschloss ich mich also, nach dem korrekten Fokussieren auf den Baumstamm den manuellen Fokus zu verwenden, sodass sich die Schärfenebene auf den nächsten Aufnahmen nicht mehr veränderte.
So weit, so gut. Ich brauchte also etwas Entflammbares und entschied mich für das Nächste, was mir in die Hände kam: Rostschutzmittel aus der Spraydose. Dieses sprühte ich nun auch auf ein mit Benzin gefülltes Teelicht, das vor sich hinloderte. Die Flammenentwicklung war enorm, zu enorm.
Da ich spontan mit dem Fahrrad zu unserem Schrebergarten gefahren war, fiel mein Blick schon bald auf meine Fahrradpumpe am Fahrrad. Ich suchte nämlich etwas, um den Brennstoff gezielter und dosierter auf das Teelicht zu geben. Ich bastelte mir meine eigene Spraydose, indem ich etwas Benzin in die aufgeschraubte Pumpe gab und einen Trinkhalm vor den Adapter steckte. So wurde das austretende Benzin beim Runterdrücken der Pumpe gezielt auf das Teelicht gesprüht.
Das Ergebnis waren wunderschön geschwungene Feuerfiguren. Teilweise ergaben sich durch das unkontrollierte Sprühen des Röhrchens sogar besondere Funken.
Da das Feuer ein sehr, sehr helles Licht hat und an den heißesten Stellen förmlich glüht, waren die ersten Aufnahmen ausgebrannt und ohne Struktur. Ich hatte zuerst den Fehler gemacht, das Licht der Umgebung zu messen.
Im manuellen Modus der Kamera konnte ich mit einigen Testbildern schnell herausfinden, welche Werte perfekt waren, um das Feuer richtig zu belichten. Für das vorgestellte Bild benutzte ich eine Belichtungszeit von 1/4000 Sekunde. Mit einer Blende von f/2.8 ergab sich ein ISO-Wert von 800.
Als alles richtig eingestellt war, musste ich nur noch Reihenaufnahmen des Geschehens vor meiner Kamera machen. Ich sprühte also mit der Luftpumpe aus verschiedenen Winkeln und Entfernungen. Später sollte sich herausstellen, dass die springende Gestalt eine Größe von 20cm hatte.
Nach einiger Zeit waren sehr, sehr viele Bilder im Kasten und mir blieb nun der viel zu lange Nachhauseweg und die anschließende Sichtung der Bilder.
Und tatsächlich: Es waren unglaublich schöne Verformungen des Feuers unter den Bildern. Doch eines stach eindeutig aus der Masse hervor. Ich sah es sofort. Die Gestalt eines Pferdes oder Einhorns galoppierte dort über mein Bild. Es war nicht perfekt, dennoch konnte ich die wichtigsten Körperteile erkennen.
Es war beeindruckend, das Bild zu untersuchen, da es mir beim Prozess des Fotografierens keinesfalls aufgefallen war. Die Flammen bewegten sich einfach zu schnell. Meine Kamera hielt also das fast, was mit den Augen unmöglich zu sehen war.
Mit Hilfe der vielen anderen Bilder – gestreute Funken, geschwungene Flammen und winzige Explosionen – verdeutlichte ich die springende Gestalt. Ich gab ihr einen größeren Schweif und kräftigte schließlich noch die Farben.
Dabei achtete ich stest darauf, nur Ausschnitte anderer Bilder zu nehmen und die Bilder an sich unverändert zu lassen. Der überwältigende Moment, als der Geist dieser Figur eingefangen wurde, sollte unbedingt erhalten bleiben.
Das war mir sehr wichtig und ich hoffe, dass Ihr beim Betrachten des Bildes die gleiche Faszination verspürt wie ich sie hatte, als ich verblüfft vor dem Monitor saß und es nicht glaube konnte.
Warnhinweis: Bitte beachtet, dass der Umgang mit Sprühdosen, Benzin und Feuer sehr schnell gefährlich werden und zu verhehrenden Verletzungen führen kann. Die beschriebene Vorgehensweise ist nicht zur Nachahmung empfohlen! Falls Ihr solche Experimente trotzdem machen wollt, zieht bitte geschultes Fachpersonal hinzu. Die Redaktion