14. Juni 2012 Lesezeit: ~5 Minuten

Andreas Hering: „what will still remain“

Am meisten überrascht von dieser Serie war eigentlich ich selbst. Überrascht, weil diese Bilder eigentlich überhaupt nicht den Fotos ähneln, die ich seit Jahren machte. Stets waren auf den meisten meiner Fotos Menschen zu sehen.

Klassische Portraits oder Fotos auf denen Menschen als Botschafter von Emotionen oder kleinen Geschichten zu sehen sind. Immer analog auf Film oder Polaroidmaterial. Mal geplant, mal spontan.

Die Serie „what will still remain“ ist ebenfalls spontan entstanden. So spontan, dass ich mich vor Ort „gezwungen“ fühlte die Fotos mit meinem iphone zu machen. Dies erwies sich aber im Nachhinein als Glücksgriff. Ich weiß nicht, ob ich in Anbetracht von wenig Zeit und dem Wunsch unbeobachtet fotografieren zu können, in der Lage gewesen wäre die Bilder analog so zu machen.

Was mich zu der Serie veranlasste, waren Beobachtungen die ich während des Aufenthaltes in dem Haus der verstorbenen Eltern eines Freundes machte. Da waren sie nun, die materiellen Relikte eines langen Lebens. Antike Möbel, Bücher, Jahrzehnte alte Zeitschriften, Geschirr, Kleidung, Papiere, Haushaltsgegenstände.

Zeugnisse zweier Leben, die gemeinsam in diesem Haus gute und schlechte Zeiten meisterten. Zwischen all diesen Dingen waren die Angehörigen, die mit der Auflösung des Haushaltes beschäftigt waren und entschieden, welche Stücke aufbewahrt oder verschenkt oder weggeworfen werden sollten.

Ich stand in der Tür eines nahezu leeren Zimmers und ich fragt mich: Was bleibt? Was bleibt übrig von uns nach so vielen Jahren? Was tun wir, die noch lebenden mit den Dingen der verstorbenen? Dingen, die diese geliebt hatten, an denen vielleicht ihr Herz hing.

Woher nehmen wir das Recht, den handgeschrieben Brief, den der Jüngling einst seiner Zukünftigen schrieb, zum Altpapier zu werfen? Den Schirm, den sie nie mit in den Regen nahm, weil sie ihn so schön fand und nicht wollte das er nass wird, den Hut, den er nicht ausstehen konnte aber ihr zuliebe Sonntags beim Kirchgang trug. All das nun nur noch tauglich für den Restmüll?

Da stand diese einzelne alte Bett, darüber an der Wand der Rand eines abgenommenen Bildes. War es einst Krankenlager, las sie auf diesem Bett sitzend ihren Kindern und Enkeln Geschichten vor ? Es schmerzte mich zu ahnen, dass es nun wohl auf dem Sperrmüll landen würden.

Werfen wir damit nicht auch einen Teil dieser Menschen selbst auf den Sperrmüll? Entsorgen wir diese Menschen gar? Und so begann ich mit dem Versuch, diese Dinge zu sammeln, zu bewahren. Aber es ging mir nicht nur darum diese materiellen Dinge zu sammeln.

Vielmehr ging es mir darum, die Stimmungen die in diesen Räumen waren einzufangen. Ich lies mich emotional auf diese Stimmungen ein. Ich empfand Trauer und der Gedanke an den Tod kam in mir auf. Doch wurden diese Gefühle sehr bald von ganz anderen abgelöst.

Ich spürte Respekt vor diesen Menschen, ich fand Dinge die mich schmunzeln ließen, Situationen die sehr stark daran erinnerten, das hier bis vor kurzem noch zwei Menschen gelebt hatten. Ich genoss die Stille und das Alleinsein in dieser Atmosphäre.

Das Licht war geradezu begnadet und es schien, als hätte all das nur auf mich gewartet. Darauf gewartet ein letztes Mal in alter Pracht zu strahlen, zu versuchen mir als Sammler und Bewahrer von den guten alten Tagen zu erzählen die dieses Haus erlebt hat.

Ich habe mich so gut es ging bemüht, ein Stück dieser alten Tage hinüber zu retten in das Heute und vielleicht auch in das Morgen. Ich habe aus Respekt vor den Verstorbenen keine Gegenstände verrückt oder Situationen verändert. Ich gab mich ganz dem Glauben hin, das die Dinge, so wie ich sie vorfand, von den einstigen Bewohnern so hinterlassen wurden.

Meine Bilder sollen den Betrachter einen Moment inne halten lassen in dieser so unglaublich schnellen Zeit. Sie sollen einen Augenblick daran erinnern an das was wir denen verdanken, die einst für uns da waren wenn wir sie brauchten.

Vielleicht brauchen sie, die nun Verstorbenen, jetzt unsere Gedanken, unseren Respekt und ab und zu einen Moment der Stille und der Erinnerung an Vergangenes. Oder sind es am Ende wir, die eigentlich noch immer die die uns verlassen haben brauchen? Am Ende spielt es keine Rolle, wer wen braucht.

Was am Ende bleibt, sollte das Gefühl des Respektes gegenüber dem Anderen sein. Im Leben wie im Tode. Und wenn meine Bilder jemanden dazu bringen, einen alten Hut oder einen alten Schirm nicht zum Sperrmüll zu geben, sondern diesen einst geliebten Gegenstand weiter in Ehren zu halten, dann wäre dies für mich als fotografierenden Sammler eine stille Anerkennung dieser, meiner Bilder.

18 Kommentare

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  1. Schöne Geschichte!
    Bei den Bildern schaudert es mich ein wenig. Nicht wegen der Bilder an sich, sondern wegen der Tatsache, dass „die Realität“, in der wir uns bewegen so scheinbar nichts mit dem zu tun hat, was uns in den Hochglanzmagazinen und in den „Daily Soaps“ täglich als „normal“ vorgeführt wird. Krasser Gegensatz zweier Welten.

  2. Einfach sehr gut.. Bilder und Geschichte dazu…
    ich mag ja Andreas analoge Arbeiten sehr und hatte dann auch bei einem seiner ersten Iphonefotos geschrieben, daß ich hoffe er macht nicht nur noch Iphonefotografie und nichts mehr analoges wie das bei manchen ja passiert ist und ich wirklich schade finde.
    Und jetzt muss ich sagen, tolle Arbeit mit dem Iphone !
    Schlussendlich ist es ja egal womit man fotografiert wenn es einem Spaß macht und das Ergebnis gefällt!

  3. Es kommt weniger darauf an mit welcher Technik gearbeitet wird, sondern was in Bildern transportiert wird. Eine sehr schöne gute Serie mit viel Gefühl, Einfühlungsvermögen und Respekt gemacht. Der Tod, als Thema in unserer Gesellschaft, meist verdrängt.

  4. Diese Stimmung empfand ich im letzten Sommer in Schweden. Das alte Ferienhaus vermieteten zwei Brüder; es war ihr altes Elternhaus. Überall im Haus waren die Spuren der einstigen Bewohner noch spürbar, ein eigenartiges Gefühl, fast Nostalgie …

    Deine Serie und der Text dazu gefällt mir sehr!

  5. Hab´ in der mobilen Altenbetreuung Zivi gemacht und seh’s daher ganz andersrum: Alte würden lieber Spaß haben als in ihren Erinnerungen zu versumpfen. Gelingt auf Grund der Umstände net jedem, verständlicherweise, aber Deine Bilder und Gedanken sind mir in diesem Sinne viel zu erhaben und projizieren Heilige in Alte.

    In unserer Zivi-WG hatten wir immer neues Geschirr, mussten nie abspülen, weil einfach ständig jemand verstarb und wir das Geschirr erbten. Und von den längst verstorbenen Männern kamen die 60er und 70er Playboys dazu, waren nach jeder Party verschwunden. Und die Alten selbst? Fanden das lustig. Lustiger als die Geschichten der anderen Alten auf jeden Fall. Einen „ziemlich besten Freund“ hätten die Lieber als einen Archivar.

    Nur so als Einwurf. Sehr schöne Bilder, aber mir alles zu Verklärend, auch alt sind’s Menschen, selbst tot sind sie nicht mehr oder weniger gewesen.

    • Danke für Deinen Einwurf. Meine Geschichte kann natürlich nur meine persönlichen Eindrücke und Gefühle wiedergeben, die ich just in diesen Momenten und an eben diesem Ort hatte und kann, soll und will nicht verallgemeinern. Was „am Ende bleibt“ hängt ja auch von den Umständen ab, wie jemand unmittelbar vor seinem Tode gelebt hat. Es ist auch sehr schwer, diesen Begriff „was am Ende bleibt“ zu „entmaterialisieren“, sprich nicht (nur) auf materielle Dinge zu beschränken, sondern auch auf geistige Hinterlassenschaften und Erinnerung zu erweitern. Die Gradwanderung zwischen der Wiedergabe persönlicher Eindrücke und der von Dir erwähnten „Verklärung“ ist nicht einfach gewesen. Die Fotos und die Wiedergabe meine Emotionen und Beweggründe ist eine rein persönliche Darstellung der vorgefundenen Situation. Es wäre sicher interessant und spannend, eine Serie über mobile Altenbetreuung, bzw. die Altenbetreuung überhaupt zu machen, nur wäre dies dann eben ein völlig anderes, aber nicht weniger herausforderndes Thema. Aber dies ist ja auch das spannende an der Fotografie: Sich über unterschiedliche Sichtweisen und Auffassungen auszutauschen und durch persönliche Erlebnisse (wie in Deinem Fall) zu hinterfragen. Deshalb nochmal Danke für Deinen konstruktiven Einwand.

      • zunächst einmal mein kompliment für diesen wunderbaren artikel und die absolut stimmigen bilder, besser hätte man das alles nicht in worte fassen können….
        was den einwurf von radlclaus angeht, so geht er meiner meinung nach deutlich am thema vorbei und das finde ich ziemlich schade. denn es ging weder darum, den älteren menschen die freude am dasein zu nehmen, indem man sie auf ihre vergangenheit reduziert, noch darum, sie in den „heiligenstand“ zu erheben.
        ein wichtiger aspekt dieses artikels ist für mich ist das „innehalten“: zu beginn des artikels wurde erwähnt, dass anscheinend nicht viel zeit war, um diese fotos machen zu können. aber durch die fotos, durch das festhalten, hat man nun die möglichkeit, mit den gedanken länger dort zu verweilen…wenn man das möchte.
        ich habe neulich mitbekommen, dass ein alter mann in der nachbarschaft gestorben ist. es hat nur wenige tage gedauert, da stand der müllcontainer im hof und die verwandten haben alles mögliche aus der wohnung entsorgt, bis nichts mehr reinpaßte. nach eineinhalb tagen war alles erledigt, saubergeräumt, leergeräumt. geblieben sind ein paar papierfetzen auf dem asphalt…
        mich hat das ziemlich entsetzt. klar, so eine wohnung soll ja schnellstmöglich wieder vermietet werden, aber dennoch – diese eile, mit der die letzten überreste dieses lebens weggeräumt wurden…
        nichtsdestotrotz ist das von radlclaus angesprochene thema sicherlich auch eine interessante reportage wert.

  6. Tolle Fotos verfasst mit einem respektvollem Text, wirklich sehr würdevoll getextet. Wenn ich die Zeilen lese und die Bilder anschaue, dann kann ich mitfühlen weil ich dasselbe erlebe in Lost Places….wirklich genial.

    Danke für die Gedanken…

  7. Hallo Andreas, die Serie und der Text gefallen mir sehr gut und die Bilder haben eine besonders schöne und friedliche Ausstrahlung.
    Ich war vor kurzem in einem alten Haus, das kurz vor dem Abriss stand. Man sah dem Haus von außen und von innen an, dass dort Menschen alt geworden sind, es war recht heruntergekommen. Aber überall waren die Spuren dieser Menschen zu sehen, liegengebliebene Dinge, Dinge, die noch nie einen anderen Platz hatten und die trotzdem nun verloren wirkten. Ich glaube, dass Dinge in dem Moment ihre Bedeutung verlieren, in dem derjenige nicht mehr da ist, der ihm die Bedeutung verlieh. Wenn du diese Dinge in Ehren bewahrst, gibst du ihnen eine neue Bedeutung und es wird eher „dein“ Gegenstand.

    Irritiert hat mich allerdings der Titel, den ich mit den Arbeiten von Jessica Backhaus verbinde, in denen sie sich auch mit Dingen beschäftigt, allerdings aus einem anderen Blickwinkel. Aber der Titel passt zu deiner wie zu ihrer Arbeit :-)

    http://www.gosee.de/news/art/jessica-backhaus-what-still-remains-ausstellung-in-essen-und-bildband-6090

    • Hallo, danke für Deinen Kommentar und Deine Gedanken.
      Ich hatte vor meiner Veröffentlichung gegoogelt, ob es etwas ähnliches vom Titel her schon gab und bin auch auf diese Ausstellung und den Bildband gestossen. Deshalb habe ich mine Serie auch „what will still remain“ genannt und nicht „what still remains“. Meinen Titel hatte ich schon beim Entstehen der Bilder im Kopf und wollte diesen dann aber aufgrund einer Ähnlichkeit mit dem Titel von Jessica Backhaus nicht ändern. Klar, ich hätte auch „Was bleibt“ nehmen können, aber da ich die Serie auch in flickr und auf meiner Seite zeige, habe ich dann die englische Version gewählt.Ich denke mal, Frau Backhaus kann damit leben ;-)

      LG
      Andreas

  8. Ich wurde durch einen Freund auf diese Seite aufmerksam gemacht, er meinte, dass ihn diese Bilder-Serie an seinen Vater erinnerte und dass es ihn gerührt habe.
    Ich kann dem nur zustimmen , hier stimmt alles, die Fotos, jedes einzelne ist wichtig, der Text, wunderbar. Auch mich haben diese Fotos an meine Kindheit erinnert, die Möbel, Lampen, Tapeten…… Es ist ein Stück weit gelebtes Leben, das aus den Bildern spricht.
    Und die Frage : „..Was am Ende bleibt …“ , ist mit den Bildern selbst beantwortet. Wenn uns Fotos wie diese an unsere Kindheit erinnern, dann ist es genau das, was am Ende bleibt: Eine gute, liebevolle Erinnerung an eine wichtige, ja sehr wichtige Zeit in unserem Leben. In dieser Zeit wurden die Weichen für uns gestellt. Und wenn wir bei der Betrachtung dieser Foto an das denken können, dann ist viel geblieben, dann ist es das ! was am Ende bleibt, dann war es gut.