Dear John
Es ist ein Tag von vielen anderen. Ich schlage das Buch auf und weiß nicht, was mich erwartet. Ich frage mich: „Wer ist John?“ Es fühlt sich ein wenig verboten an. Wie das Öffnen eines Tagebuches, das nicht mir gehört. Ein Fotoalbum, gefunden auf einem Flohmarkt. Fremde Gedanken und Nichtfarben. Fremde Erinnerungen.
Weiße knöcherne Bäume wiegen sich nach links. Graue Wolkentürme schmecken nach Regen. Es ist der Beginn einer Reise, die jeder zu seiner eigenen machen kann. Schon das erste Bild hat mich, doch werden mich auch die anderen mitnehmen?
41 Fotografien wollen eine oder mehrere Geschichten erzählen. Körnigkeit und das Fehlen von Farbe lassen sie zu Abbildern einer vergangenen Wirklichkeit werden. Entstanden sind die Bilder von 2009 bis 2012 und erzählen von intimen Augenblicken, von Nebenschauplätzen, vom Sehen aus dem Augenwinkel.
Yannic Schon hat eine sehr persönliche Arbeit geschaffen. Er hat Bilder aneinander gereiht ohne das Gefühl von Zufälligkeit. Dabei ist er behutsam vorgegangen. Denn die Bilder wollen nichts, sind da, einfach so. Man glaubt das Vibrieren der Großstadt zu fühlen. Die schmutzige Tristesse einer U-Bahn oder eines Clubs kurz bevor der Morgen dämmert.
Es gibt Bilder, da wende ich mich ab und schüttle den Kopf, rette mich zur nächsten Seite und bleibe. Eine Frau auf einer Schaukel. Unter ihr die Stadt, doch meine Aufmerksamkeit zieht etwas ganz anderes auf sich. Es sind die feine Form ihrer Schuhe und die wehenden Haare, die mich lächeln lassen. Es ist Herbst in den Bildern, Melancholie kommt auf.
Was mich an dieser Arbeit so fesselt, ist ihre Tiefe. Die Bilder brauchen Zeit, um mir die Geschichten zu erzählen. Sie geben nicht sofort alles preis. Es kann sein, das sie Dir verborgen bleiben, doch lässt Du Dich drauf ein, dann sind sie wie Musik, die bleibt. Bei mir liegt dieses Buch mittlerweile auf dem Nachttisch und am Morgen begrüßt mich immer ein zufällig aufgeschlagenes Bild.
Wer die Tristesse und Melancholie der Großstadt und Wälder mag, wer keine Angst vor seinen eigenen Geschichten hat und wer schwarzweiß mit eigenen Farben füllen kann, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt.
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