Retro-Hype Film
Mit dem Einzug der digitalen Fotografie ist das Medium Film im professionellen Umfeld nahezu ausgestorben. Im 35mm-Kleinbildformat sind seit etwa zehn Jahren keine neuen Geräte mehr erschienen, Nikon produzierte die legendäre F5 bis ins Jahr 2004 und stellte die Produktion der meisten ihrer analogen Kameras dann im Jahr 2006 ein.
Seitdem erlebt die analoge „Film“-Fotografie allerdings als Nischenprodukt eine stetige Renaissance, die sich in den letzten zwei bis drei Jahren zu einem regelrechten Retro-Hype entwickelt hat. Analoge Geräte sind bei Ebay gefragt wie nie und viele Hobby-Fotografen entscheiden sich nun vorzugsweise für gebrauchte Leicas oder Hasselblad Mittelformat-Kameras der 500er-Serie.
Ein nicht unerheblicher Faktor vieler derartiger Strömungen ist die Inspiration über andere Künstler. So haben beispielsweise einige überwiegend amerikanische Fotografen mit der Kombination Contax 645 und Carl Zeiss 80mm f/2.0 maßgeblich dazu beigetragen, dass nun viele andere Kollegen versuchen, diesen Stil und die entsprechenden Farben zu reproduzieren. Der erste Schritt ist hierbei oftmals, dasselbe Equipment einzusetzen und dies ist aktuell das Mittelformat – Rolleiflex, Hasselblad, Contax oder andere schwere Geschütze.
Natürlich sind das alles wundervolle Kameras, die jedem erstklassige Ergebnisse bescheren, der sie zu meistern weiß. Für mich persönlich ist das allerdings ein wenig „too much“. Ich besitze selbst eine analoge Nikon FM2 und die Kamera macht eine Menge Freude, insbesondere in Verbindung mit einem manuellen 50mm f/1.2 Ai-S Objektiv.
Es ist aber nicht zu unterschätzen, wie viel Aufwand es bedeutet, analoge Fotografie ernsthaft in einen professionellen Workflow zu integrieren, auch wenn dies vor ein paar Jahren noch Gang und Gäbe war. Dazu kommt unter anderem: Ein gutes Fotolabor mit einem entsprechenden Scanner und gut ausgebildeten Experten findet man nicht an jeder Straßenecke.
Allerdings gibt es zwei gewichtige Gründe, die nach wie vor für die analoge Fotografie sprechen: Der absolut unschlagbare Kontrastumfang von Film und die nur äußerst schwer zu reproduzierenden Farben. Kurzum: Das „Look and Feel“.
Der weitläufigen Meinung ausschließlich digital arbeitender Fotografen, es sei unglaublich schwierig und zu riskant, analog zu fotografieren, möchte ich hier übrigens widersprechen: Film vergibt mehr als ein digitaler Sensor. Mit dem Dynamikumfang von Film kann keine normale digitale Kamera mithalten.
In Kombination mit einem guten Labor ergibt sich daraus eine Menge Raum für die Korrektur falscher Belichtungseinstellungen. Profis bilden mit dem richtigen Film und dem richtigen Scanner einen Dynamikumfang von zehn Blendenstufen in einem Bild ab. Davon können digital arbeitende Fotografen nur träumen.
Genau hier setzt auch der Ansatz von Nikon an, aus zwei unterschiedlichen Belichtungen automatisch ein einziges Bild zu errechnen. Fuji erzielt einen ähnlichen Effekt über die automatische Reduktion der Bildauflösung und steigert den Dynamikumfang damit ebenfalls erheblich. Die Hersteller beginnen also langsam zu begreifen, dass die Zukunft eher in deutlich empfindlicheren Sensoren mit einem besseren Kontrastumfang liegt als in der stetigen Steigerung der Auflösung in Verbindung mit reduziertem ISO-Rauschen.
Zum Look and Feel von Film gehört aber nicht nur der Dynamikumfang, sondern insbesondere auch die einzigartigen Farben. Hat man die Hand bei Fine-Art-Fotografie relativ frei, da die Farbigkeit als deutlich wahrnehmbarer Teil des künstlerischen Ausdrucks einfließen kann, so ist es bei professionellen Shootings umso wichtiger, den besonderen Wert auf Natürlichkeit und Konsistenz zu legen. Oftmals werden nach einem Shooting einige hundert Bilder präsentiert und diese sollten trotz wechselnder Lichtbedingungen und Locations alle identisch entwickelt werden und im Gesamtbild harmonisch wirken.
Entwickelt werden muss übrigens in beiden Welten gleichermaßen: Bei analogen Bildern im chemischen Entwicklungsprozess des Films und anschließend am Scanner mit Farbprofilen und -korrekturen. In der digitalen Fotografie je nach Workflow zunächst in Lightroom und anschließend in Photoshop, für das Color-Matching und gegebenenfalls die individuellen Farben des Fotografen. Fotografiert man beides, sollten die Farben der analogen und digitalen Bilder optimalerweise nicht voneinander zu unterscheiden sein. Viele bekannte Fotografen mischen aus diesem Grund gern analoge Bilder in Farbe mit digitalen Bildern in Schwarzweiß.
In der digitalen Welt gibt es vielseitige Bemühungen, nicht nur das Look & Feel von Film im Allgemeinen, sondern den exakten Look eines bestimmten Filmes zu reproduzieren. Der Anbieter VSCO beispielsweise hat kostenpflichtige Presets für Lightroom und ACR entwickelt, die mit einem eigenen Kameraprofil für jeden gängigen Film geliefert werden und den so genannten „Light-Rolloff“ von Film simulieren wollen. Dies ist eine clevere Idee, in der Praxis kommen diese Produkte allerdings trotz aller Bemühungen nicht wirklich an das Original heran. Film verhält sich gegenüber Licht nicht linear und dies lässt sich mit einem digitalen Sensor nicht abbilden, daran ändert auch ein Kameraprofil nichts.
Es ist also relativ schwierig, einen bestimmten „Film-Look“ in digitalen Bildern zu emulieren. Fotografiert man analog, ist es andersherum allerdings fast unmöglich, mit einem Scan an die Möglichkeiten einer Raw-Datei zu gelangen, falls man diese Farbwelt auf Wunsch einmal verlassen möchte. Für mich persönlich ist dies auch der Hauptgrund, überwiegend digital zu fotografieren: Für Gegenlichtaufnahmen in der Hochzeitsfotografie mögen die cremigen Pastelltöne eines überbelichteten Fuji 400 H wunderbar passen. Für viele andere Situationen allerdings nicht. Und über den kreativen Freiraum meiner Farben möchte ich gern selbst entscheiden.
Ich bekomme über meine Website regelmäßig eine Menge Fragen zu meiner Nachbearbeitung, dem Film-Look in meinen digitalen Bildern und zu den Farben, die ich in meinen Bildern verwende. Das ist kein Hexenwerk und ich teile gern meine Erfahrungen. Ich möchte hier daher einmal beispielhaft einen Workflow vorstellen, den ich in diesen Medien noch nicht besprochen habe.
In diesem Zusammenhang sei nochmals betont, dass ein deutlicher Unterschied zwischen Fine-Art- und beispielsweise Hochzeitsfotografie besteht. Was in digitaler Form interessant aussieht, wirkt auf einem Abzug auf Fotopapier oftmals „over-processed“. Man sollte daher sehr vorsichtig arbeiten und es nicht übertreiben, es kann auch zu viel des Guten sein.
Ich versuche in meinen Bildern übrigens, nur generelle Merkmale analoger Fotografie zu integrieren und keinen bestimmten Film zu emulieren. Ich erreiche dies unter anderem über detailreiche Schatten, gedämpfte Highlights, den Einsatz eher matter und entsättigter Farben sowie durch einen nicht zu scharfen Fokus. In der analogen Welt entsprechen diese Merkmale am ehesten dem Kodak Portra 400 NC, der allerdings nicht mehr hergestellt wird.
Um den analogen Look zu emulieren, beginne ich, falls notwendig, zunächst in Lightroom. Ich fotografiere im Raw-Format und bei vorsätzlich überbelichteten Bildern hilft die Highlight-Recovery-Funktion von Lightroom, Details wiederherzustellen, die sonst unwiederbringlich verloren wären. Anschließend exportiere ich meine Bilder und bearbeite sie in Photoshop weiter.
Ich arbeite bei meinem persönlichen Film-Look ausschließlich visuell, ohne wissenschaftlich exakte Laborwerte. Ohne Gefühl und ein wenig Erfahrung mit beiden Medien erscheint des zunächst schwierig. Man sollte daher erst einmal ausprobieren, wie Film sich überhaupt „anfühlt“ und verhält, um diese Eigenschaften digital nachempfinden zu können. Hat man das Prinzip allerdings visuell nachvollzogen, so kann man diesen Look mit relativ einfachen Mitteln reproduzieren. Ich empfehle dazu, einfach einmal selbst ein wenig in Photoshop zu experimentieren.
Ich möchte hier beispielhaft meinen Workflow für das Bild „6235“ vorstellen, aufgenommen mit einer Nikon D700 und dem Nikkor 50mm f/1.4 G:
1. Originalbild
Das unbearbeitete Originalbild „straight out of camera“.
Nikkor 50mm f/1.4 G @ ƒ/1.4 – Nikon D700
2. Farbkorrektur
Das in Photoshop farbkorrigierte Originalbild.
3. Optimierung von Helligkeit, Kontrast und Farbsättigung
Durch den Einsatz von Gradiationskurven, Tonwertkorrektur und Farbentsättigung wurden Helligkeit, Kontrast und Grundfarben optimiert.
4. Graduelle Füllebene für gleichmäßiges Licht
Anschließend wurde die Lichtwirkung durch den Einsatz einer graduellen Füllebene mit geringer Transparenz und Sättigung verbessert. Diese hebt den Bildmittelpunkt hervor und läßt das Licht insgesamt weicher und gleichmäßiger wirken.
5. Farbkorrektur und Vignettierung
Durch den Einsatz von selektiver Farbkorrektur und Gradiationskurven wurden die Grundfarben kühler temperiert. Lichter und Schatten wurden hervorgehoben. Die Vignettierung betont den Bildmittelpunkt.
6. Füllebene für mattes Finish
Eine farbige Füllebene gibt bei sehr geringer Deckkraft einen samtigen Look und nimmt die Lichter und Schatten ein wenig zurück.
Insgesamt dauert diese Form der Entwicklung etwa 20 Minuten. Wenn man in Photoshop immer wieder die selben Aktionen durchführt, empfiehlt es sich, daraus eine Aktion zu erstellen, indem man seinen Workflow aufzeichnet und dann beliebig oft abspielt. Das spart bei der späteren Bearbeitung weiterer Bildern derselben Session eine Menge Arbeit und alle Bilder des Shootings können dann per Knopfdruck den gleichen Look bekommen.
Ist der analoge Retro-Hype im Bezug Fotografie also gerechtfertigt? Das muß wohl jeder für sich selbst entscheiden. Wer noch nie mit analoger Fotografie experimentiert hat, dem kann ich dies nur wärmstens empfehlen.
Im professionellen Einsatz bevorzuge ich persönlich allerdings die digitale Fotografie. Auch wenn mir Film privat sehr viel Freude bereitet, so mag ich in der täglichen Arbeit nicht auf Backups verzichten oder mich auf die termin- und farbtreue Zuarbeit eines Fotolabors verlassen. Der Film-Look läßt sich mit ein wenig Fingerspitzengefühl digital nachempfinden, auch wenn dies hoffentlich nie ein Ersatz für analoge Fotografie sein wird.