12. März 2012 Lesezeit: ~6 Minuten

Frank Kunert: Fotografien kleiner Welten

© Frank Kunert
„Sonnenseite“

Ein kleiner Hinterhofbalkon, auf den die Sonne scheint. Idylle pur, es sieht nach absoluter Ruhe aus, dort würde ich jetzt gern sitzen. Vielleicht mit einem Buch in der Hand und einem leckeren Kaffee dazu. Ringsrum könnte es für meinen Geschmack noch etwas grüner sein – aber das ist es nicht, was mich irritiert.

Die eigentliche Frage ist doch: Was machen diese Schienen da? Die Schienen, die unter dem Balkon verlaufen. Ja, vielleicht liegen die noch von früher dort, als das Haus noch nicht dort stand. So jung sieht das Haus aber gar nicht aus. Und die Schienen auch nicht so alt, nicht einmal Sand hat sich dort abgesetzt. Was ist also hier los?

© Frank Kunert
„Babyfon“

Nach der anfänglichen Irritation, die sich beim dritten oder vierten Blick auf die „Kleine Welten“ von Frank Kunert verlässlich einstellt, folgt diese Frage. Was ist hier los, was stimmt hier nicht? Handelt es sich vielleicht um eine Bildmontage? Oder gar eine Computeranimation?

Nein, viel besser: Die kleinen Welten sind Modelle, die der Fotograf höchstselbst in detailverliebter Arbeit für seine Fotografien mit den üblichen Mitteln des Modellbaus herstellt. Viele Wochen lang schneidet, klebt, malt und bastelt er, bis die Kulisse so gut ist, dass die Täuschung des ersten und zweiten Blickes perfekt ist.

© Frank Kunert
„Büroschlaf“

Dass man bei näherer Betrachtung oder auf großformatigen Abzügen der Fotografien sieht, dass es sich um Modelle handelt, ist durchaus beabsichtigt. Es geht Kunert nicht um die perfekte Darstellung absurder Szenen, auch wenn es im ersten Moment verblüffend ist, wie real er Größenverhältnisse, Farben, Strukturen, Details nachahmt und das Licht setzt.

Viel mehr regt das Spiel mit Realität und Modell, Wahrnehmung und Erfahrung zum Nachdenken an und schafft es überhaupt erst durch den Moment des Erkennens, die teilweise gesellschaftskritische Tiefe hinter den oberflächlich vermeintlich lustigen Arrangements anzudeuten. Die der Betrachter dann aus dem kurzen Schreck, dass reale Absurditäten dokumentiert worden sein könnten, weiterdenken kann.

© Frank Kunert
„Öffentliche Toilette“

Eine entscheidende Rolle spielen hierbei auch die Bildtitel, die das ganze Werk abrunden. Völlig alltägliche Worte und Redewendungen legt Frank Kunert auf die Goldwaage oder zeichnet eine mögliche, wenn auch ungewöhnliche Interpretation.

Schier unerschöpflich scheint dabei sein Fundus zu sein und beim Betrachten der Fotos mit ihren Titeln, die dem Ganzen oft noch eine zweite Ebene geben, denke ich immer wieder: Darauf hätte ich wirklich selbst kommen können. Es ist erstaunlich, in was für eingefahrenen Bahnen wir oft denken, wie selbstverständlich eine bestimmte Bedeutung eines Wortes oft zwischen so vielen anderen möglichen ist.

© Frank Kunert
„Geschlossene Gesellschaft“

Besonders gut gefällt mir an Kunerts Bildwelten auch, dass sich neben den wortspielhaften Bildideen ein bestimmter Stil, eine eigene Stimmung durch die Arbeiten zieht: Schmucklose Betonhäuser, wohlbemessener Schmutz, herumliegender Kleinkram. Das gedämpfte Licht eines müden Tages, abgenutzte Gegenstände, alte Farben.

Ich assoziiere das Seufzen einer längst verflogenen Motivation. Unsere Umgebung verkommt schneller, als wir sie wieder herausputzen können. Und oft genug ist es uns auch egal, wir sind zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, die uns aber auch nicht glücklich machen.

Das ist eine weitere Ebene in den Fotos, die etwas in mir nachdenklich zum Schwingen bringt. Die meine Beziehung zur Gestaltung des Großraumes, in dem ich lebe und mich bewege, anspricht, sie in Frage stellt. Ich bekomme die Traurigkeit vorgeführt, die sich bei genauer Betrachtung auf den Gebäuden und Fassaden abzeichnet.

© Frank Kunert
„Hotel Bellevue“

Frank Kunert ist Jahrgang 1963. Er wurde in Frankfurt geboren und machte nach dem Abitur eine Fotografenlehre. Nachdem er einige Jahre lang als Assistent in Fotostudios tätig war, machte er sich 1992 selbstständig. Inzwischen kann er sich hauptsächlich um die Gestlatung und Fotografien seiner „Kleinen Welten“ kümmern.

Er wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet und seine Werke sind seit über zehn Jahren mehrmals jährlich in Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen. Dort kann man oft auch einmal einzelne Modelle, die die Grundlagen seiner Fotos bilden, mit den eigenen Augen von allen Seiten betrachten.

© Frank Kunert
„Kinder!“

Neben den „Kleinen Welten“ gestaltet Frank Kunert auch fotografische Buch- und Werbeillustrationen, für die er wiederum mit Modellen und Knetfiguren arbeitet. Bei diesen wird ebenso sein handwerkliches Geschick sichtbar, sie leben aber meistens in ganz anderen Farb- und Stimmungswelten.

Die ganze Bandbreite seines Schaffens könnt Ihr natürlich auf seiner Webseite sehen. Diese legen wir Euch darüber hinaus aber auch noch ans Herz, weil Ihr dort auf einigen Bildern sehen könnt, wie die Modelle für die „Kleinen Welten“ entstehen. Im Rahmen der Arbeitsumgebung im Studio und oft mit Frank Kunert selbst als Größenvergleich. Beeindruckend!

© Frank Kunert
„Menu à deux“

Frank Kunerts Arbeiten sind außerdem in vielfältiger Form zu erwerben. Wer sie also jetzt schon liebgewonnen hat, kann sich schon einmal überlegen, was er haben möchte: Postkarten, Drucke von klein bis ganz groß, den Bildband „Verkehrte Welt“ – oder doch lieber ein Frühstücksbrettchen?

© Frank Kunert
„Drive Inn“

Oder Ihr notiert Euch eine der demnächst stattfindenden Ausstellungen, Messen oder Kunsthandwerkermärkte, auf denen Ihr die Arbeiten betrachten könnt. Zum Beispiel:

18. März bis 28. Mai 2012
Einzelausstellung
Wandelhalle, Bad Wildungen
Öffnungszeiten: Mo – So, 10 – 18 Uhr

24. und 25. März 2012
36. Kunsthandwerkermarkt im Engelshof, Köln
Öffnungszeiten: Sa + So, 11 – 18 Uhr

20. bis 22. April 2012
FORMART Designmesse, Bochum
Maschinenhalle Friedlicher Nachbar
Öffnungszeiten: Fr 16 – 20 Uhr, Sa + So 11 – 19 Uhr

Zahlreiche weitere Ausstellungs- und Markttermine für 2012 findet Ihr auf der Webseite.

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