27. Februar 2012 Lesezeit: ~24 Minuten

Straßenfotografie & Recht

Zwei im Hintergrund erscheinende Menschen sind zu sehen. Im Vordergrund ist auf Glas 'Herrenstrasse 11' zu lesen. Eine Straßenaufnahme

Jeder, der heute ernsthaft und intensiv Menschen auf der Straße fotografieren will, muss sich auf lange Sicht mit der gegenwärtigen Rechtslage auseinandersetzen. Das Unterfangen ist nicht ganz einfach, da das zunächst etwas unübersichtliche Thema in der Konsequenz auf der Straße dann doch dazu führen muss, sein eigenes Tun hinter der Kamera zu reflektieren und eine Entscheidung zu treffen. Die trifft man natürlich auch, wenn man dies nicht bewusst tut.

Ich habe mir vorgenommen, das Thema hier aufzuschlagen und die verschiedenen Seiten, die es bietet, zu beleuchten. Und den hiesigen Lesern eine Vorlage zu geben, die sie und die auf der Straße fotografierende Allgemeinheit weiterbringt.

Meine persönliche Verstrickung in die Thematik

Ich werde nicht versuchen, das Thema Straßenfotografie und Recht ohne meine persönliche Involvierung zu besprechen. Schon zu Beginn meiner fotografischen Tätigkeit waren Straßenfotos ein Teil meiner Arbeit. Und sie sind es bis heute, wenngleich die Straßenfotografie heute für mich einen größeren Stellenwert hat als noch vor sieben Jahren.

Dadurch habe ich selbst eine intensive Beschäftigung mit der Thematik hinter mir und musste vor zwei Jahren schlussendlich auch für mich selbst entscheiden, wie ich mich angesichts der deutschen Rechtslage positionieren und so bestimmte Dinge (nicht) fotografieren kann.

So sage ich mit Miroslav Volf:

I, (…) could not hang up my commitments, desires, rebellions, resignations, and uncertainties like a coat before entering my study, to be taken up an put on when the work of the day was over.

Auch mir sind diverse Regelungen fremd, Meinungen von anderen suspekt und die Herangehensweise verschiedener Fotografen wiederum sehr sympatisch. Schlussendlich stehe ich jeden zweiten Tag auf der Straße und drücke den Auslöser, die Kamera ganz bewusst auch auf Menschen gerichtet.

Die rechtliche Situation in Deutschland

Um die Rechtslage zu klären, werde ich aus einem Interview zur Straßenfotografie zitieren, das wir vor drei Jahren mit Rechtsanwalt Philip Dorowski führten, der im Urheber-, Marken- und Wettbewerbsrecht tätig ist.

In Deutschland gibt es das Recht am eigenen Bild als besondere Form des Persönlichkeitsrechts. Was bedeutet das konkret für Fotografen?

Das Recht am eigenen Bild schützt den Einzelnen vor der unbefugten Verbreitung seines Bildnisses. Jeder Mensch soll selbst darüber bestimmen, ob und wie Bilder von ihm veröffentlicht werden. Der Fotograf, gerade im Bereich der Straßenfotografie, vertritt praktisch gegenläufige Interessen. Was dies nun konkret für den Fotografen bedeutet, beantwortet der nächte Abschnitt.

Was muss ich beachten, wenn ich “einfach so” Leute auf der Straße bzw. in der Öffentlichkeit fotografiere? Muss ich denjenigen immer fragen, ob ich ein Foto von ihm machen darf?

Die letzte Frage ist grundsätzlich mit “ja” zu beantworten. Ausgangspunkt ist hier §22 KUG. Liest man sich den Paragrafen durch, wird einem auffallen, dass die Herstellung der Fotografie allerdings nicht erwähnt wird. Man könnte also meinen, das Fotografieren von Personen auf der Straße sei zulässig.

Dies ist aber nicht der Fall. Diese Gesetzeslücke wurde im Laufe der Zeit durch die Rechtsprechung ausgefüllt. Obzwar das Herstellen eines Fotos nicht gegen den Gesetzestext des §22 KUG verstößt, kann aber das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten betroffen sein.

Die Rechtsprechung begründet dies damit, dass durch die Herstellung der Fotografie das Bildnis des Betroffenen von seiner Person abgelöst, datenmäßig fixiert und seiner Kontrolle und Verfügungsgewalt entzogen wird. Einfach gesagt, soll niemand mit dem Gefühl leben, dass irgendjemand irgendwelche Fotos von einem besitzt, die irgendwann veröffentlicht werden könnten.

Für den Fotografen ist daher zu beachten, stets die Einwilligung der Person einzuholen, die fotografiert werden soll. Einwilligung bedeutet übrigens die vorherige Zustimmung. Die Einwilligung muss nicht schriftlich, sondern kann auch mündlich erteilt werden. Da der Fotograf jedoch die Beweislast dafür trägt, dass eine Einwilligung vorliegt, ist er gut damit beraten, sich diese schriftlich geben zu lassen.

Schon aus diesen zwei Antworten geht hervor, dass wir es in Deutschland keinesfalls mit Graubereichen des Rechts zu tun haben, sondern klar geregelt ist, wie und unter welchen Vorraussetzungen eine Person in der Öffentlichkeit fotografiert und diese Fotografie dann auch publiziert werden darf. Lesen wir also weiter.

Muss ich alle auf dem Foto erkennbaren Personen um Erlaubnis fragen oder unkenntlich machen?

(…) Sofern eine Person in der Szene herausgestellt ist, bedarf es der Einwilligung dieser Person. Etwas anderes gilt bei Menschenmengen. Eine Einwilligung ist nicht erforderlich bei Bildern von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben.

Ganz entscheident ist hierbei, dass nicht eine einzelne Person, sondern die Menschenansammlung im Vordergrund steht und diese einen Eindruck von der Veranstaltung vermittelt.

Da man bereits für die Herstellung der Fotografie die Einwilligung benötigt, ist die Frage nach dem Unkenntlichmachen zweitrangig. Falls keine Einwilligung vorliegt und das Foto veröffentlicht werden soll, ist die Person unkenntlich zu machen. Die Unkenntlichmachung muss derart erfolgen, dass der Abgebildete keinen begründeten Anlass hat, anzunehmen, er könne erkannt werden.

Die Unkenntlichmachung muss in vielen Fällen daher über einen einfachen schwarzen Balken im Gesicht hinausgehen, da der Abgebildete unter Umständen auch durch weitere Merkmale seiner Erscheinung erkannt werden kann.

Wir sehen: Auch bei Bildern von Versammlungen gibt es diverse Dinge zu beachten und der Punkt der Unkenntlichmachung ist nicht zu unterschätzen. Ein weiteres, oft thematisiertes Thema ist das Fotografieren von minderjährigen Kindern oder Jugendlichen. Hierzu eine Stellungnahme von Dennis Tölle von rechtambild.de:

Beim Fotografieren von Kindern ist doppelte Vorsicht geboten. Auch hier gilt: Ohne Einwilligung sind Aufnahme und Veröffentlichung unzulässig. Neben der Zustimmung des minderjährigen Kindes ist allerdings ebenfalls die Zustimmung (bei)der Elternteile zwingend erforderlich.

Bei Kindern bis zum 7. Lebensjahr ist die Einwilligung der Eltern ausreichend. Im Altern von 8 bis 17 Jahren sollen die Eltern jedoch nicht über den Kopf des Sprösslings hinweg entscheiden können. Man spricht hierbei von der sog. „Doppelzuständigkeit“, nach der die Einwilligung von Kind und Eltern als erforderlich angesehen wird.

Diese Regeln gelten sowohl für die Aufnahme selbst, als auch für eine mögliche Veröffentlichung. Dies verdoppelt den vorherigen Aufwand für den Fotografen in zweierlei Hinsicht. Zum einen kann er wohl kaum immer das Alter des Kindes einschätzen und zum anderen muss er im schlimmsten Fall zwei statt einer Einwilligung einholen.

Natürlich gilt auch hier: Wo kein Kläger, da kein Richter. Allerdings sind Eltern noch um einiges stärker hinter der Verhinderung von Bildern ihrer Kinder hinterher, als sie es bei eigenen sind. Daher: Wenn möglich, zumindest keine Kinder ohne Einwilligung mit auf’s Bild.

Ich denke, dass wir nun die Rechtslage zu den betreffenden Schnittpunkten größtenteils geklärt haben. Falls dies für den interessierten Leser unzureichend ist, empfehle ich den Konsum des vollständigen Interviews mit Philip Dorowski und auch den Wikipedia-Artikel zum Recht am eigenen Bild. Eine umfassende Studie der speziellen Seite zum Recht am Bild ist ebenfalls kein Fehler.

Hier ist eine Person auf einer Rolltreppe zu sehen. Diese ist jedoch nicht zu erkennen, sondern man sieht nur einen Kopf im Hintergrund.

Standpunkte und Meinungen

Nun gibt es zur rechtlichen wie aktuell vorgefundenen Situation verschiedene Standpunkte, die unter (Straßen-)Fotografen vertreten werden. Christian Olsen schrieb im Juli 2011 Folgendes:

Ich gehe davon aus, dass der überwiegende Teil der Menschheit die meiste Zeit über nicht fotografiert und schon gar nicht im Internet veröffentlicht werden möchte. Zumindest nicht erkennbar und mit Betonung auf jeder Sorgenfalte im Gesicht – weil das ja “Charakter” hat und schon gar nicht, wenn er solch profanen Tätigkeiten nachgeht, wie es die meisten in der Streetfotografie dargestellten Menschen tun.

Die Gründe, die jeder Einzelne dafür haben könnte, nicht fotografiert werden zu wollen, interessieren mich dabei genau so wenig wie die Gesetzeslage. Gesetze sind für Menschen gemacht, die nicht intelligent genug sind, die möglichen Konsequenzen ihres Handelns einzuschätzen.

Für mich geht es dabei um Respekt. Um Einfühlungsvermögen. Die Privatsphäre. Moral, wenn man so will.

Guido Steenkamp von Seconds2Real antwortete in einem Interview auf KWERFELDEIN auf die Frage nach dem Umgang mit der Rechtslage so:

Mir persönlich ist jedoch kein (Street-)Fotograf bekannt, der sich vor oder nach einer Aufnahme ein schriftliches OK geben ließe. Street-Aufnahmen entstehen in der Regel spontan, in mehr oder weniger zufälligen Momenten. Wie man sich gut vorstellen kann, verträgt sich das nicht unbedingt mit dem vorherigen Abzeichnen einer Freigabeerklärung. Das heißt für uns, dass wir das, was wir am liebsten tun, so eigentlich nicht tun dürften. Zumindest dann nicht, wenn Personen auf den Bildern zu erkennen sind.

Wir haben dieses Thema einige Male bei Seconds2Real diskutiert. Allgemeiner Konsens ist, dass wir trotzdem fotografieren und unsere Bilder weiterhin im Internet oder bei Ausstellungen zeigen. Im Falle einer Beschwerde würde sicherlich jeder von uns eine gütliche Einigung mit der entsprechenden Person anstreben. Aber klar, im schlimmsten Fall muss man halt die rechtlichen Konsequenzen in Kauf nehmen. Entweder das oder man lässt es einfach und fotografiert statt dessen Blüten oder Insekten.

Thomas Leuthard schreibt in seinem freien E-Book unter anderem Folgendes:

Stay on the safe side…

If you want to be on the safe side, you have to stop shooting or at least stop publishing photos of strangers on the Internet. But this is something I would never do. It is your personal choice if you want to live with the fact that you do something which might be against the law. Or you find a way that makes it compliant with the law. Shoot only people you won’t recognize on the photo and so on. Read the next chapter about legal street photography.

…or don’t care at all.

You cannot really do good and effective street photography by following the law by 100%. You either go candid and forget the law or you follow the law and lose the spirit of street photography. This is my personal opinion. Every- one has to figure this out for himself and do what he is comfortable with. I don’t suggest doing this; I just tell you how I do it. It must be right for you.

Ich möchte diese Standpunkte hier weder werten noch kommentieren und lasse sie daher so stehen. Ich bin der Meinung, dass jeder der Zitierten einen guten Grund für seine Auffassung und sich im Voraus Gedanken zur Thematik gemacht hat.

Mir geht es hier auch nicht um ein Entweder-Oder, auch wenn die Stellungnahmen sich gegenseitig widersprechen. Wer möchte, kann sich ja überlegen, mit welchen Überlegungen er am ehesten sympatisiert.

Hier sieht man einen Mann, der unter einem Schirm versteckt ist. Das Gesicht ist nicht zu erkennen, aber im Hintergrund ist eine Straßenbahn mit der Aufschrift 'Sehstörungen' und 'Sprachstörungen' zu sehen.

Meine Geschichte 

An dieser Stelle erlaube ich mir einen inhaltlich harten Bruch und wechsle von den zitierten Positionen zu meinen persönlichen Erfahrungen auf der Straße. Wie oben erwähnt, halte ich es für unmöglich, meine persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen mit der Kamera auf der Straße aus diesem Artikel herauszuhalten, respektive für gar nicht nötig. So nutze ich die Flucht nach vorn und beginne ganz am Anfang:

Als ich 2005/2006 begann, auf der Straße Aufnahmen zu machen, machte ich mir keine Gedanken über das Recht am eigenen Bild. Jedoch hatte ich ein paar Begegnungen mit Menschen, die ich auf der Straße fotografierte. Ich gebe zu, nicht alle waren angenehm.

1. Eines Sommers fotografierte ich mit der digitalen Kompaktkamera am Karlsruher Marktplatz. Plötzlich nahm mich eine Frau wenig freundlich zur Seite und meinte, ich solle die Fotos sofort löschen. Auf mein Nachfragen gab sie mir zu verstehen, dass ich wohl eines ihrer Kinder fotografiert hätte. Ein wenig erschrocken, denn ich hatte das gar nicht bemerkt, gab ich ihrer Bitte statt und löschte die Bilder.

Ich habe mir gemerkt: Achtung Martin, es gibt Menschen, die wollen nicht, dass ihre Kinder fotografiert werden. Seither fotografiere ich keine Kinder mehr auf offener Straße. Außer die meiner Freunde, bei denen ich weiß, dass es für sie kein Problem, sondern eine Bereicherung ist. „Martin, hast Du die Fotos vom Wochenende schon fertig?“.

2. Im Juli 2005 hatte ich folgende Begegnung, die ich auch gebloggt habe.

Ich stehe in Durlach zwischen ein paar Fachwerkhäusern und knipse. Es kommt ein Mann um die Ecke, der mir so halb ins Bild läuft, aber ich bemerke ihn gar nicht richtig, da ich mit meinem Teleobjektiv die Häuser anvisiere. Er fragt mich, was ich da fotografiere und sage ihm “Da hinten, die Häuser”. Er wird unverschämt. Ich dürfe niemanden, der mir in den Weg kommt, fotografieren. Ich zeige ihm das Bild, das ich geschossen habe, er ist nicht drauf. Er droht mir, die Kamera wegzunehmen, worauf ich ihn darauf aufmerksam mache, dass er das nicht darf.

Zur Polizei möchte er mit mir gehen und nimmt meine Kamera, die ich um den Hals gegurtet habe. Natürlich bin ich damit nicht einverstanden. Er nennt mich eine Drecksau, einen Schweinepriester. Dann meint er, er lasse mich gehen, das würde ihm guttun. Ich bestätige das mit der Bermerkung, dass ich das glaube. Einer Drohung, mich ins Gebüsch zu schlagen folgt die anschließende Bemerkung, mit mir doch zur Polizei zu gehen. Ich verweigere mich, er gibt mir noch den Ratschlag, dass ich an meine Eltern denken soll. Gut getroffen, Kollege. Ich verabschiede mich und laufe weiter. Er auch. Sachen gibt’s.

Ich habe mir gemerkt: Achtung Martin, es gibt Menschen, die reagieren grundsätzlich empfindlich und aggressiv, wenn sie auf der Straße fotografiert werden. Auch, wenn das gar nicht der Fall war.

3. Letzte Woche fotografierte ich in einen mir entgegenkommenden Mann aus der Ferne mit einer Brennweite von 85mm. Er war auf dem Bild nicht zu erkennen, weil er noch viel zu klein im Bild war. Dennoch lief er schnurstracks auf mich zu und fragte etwas gereizt, ob ich ihn fotografiert hätte.

Ich sagte: „Ja, das habe ich“, worauf der verwundert nachhakte: „Ja und warum?“ – „Nun, ich bin Straßenfotograf und dokumentiere das Leben hier in Karlsruhe. Ich veröffentliche meine Fotos ebenfalls.“ Sein Gesicht wurde immer größer, doch reagierte er zu meiner Verblüffung so: „Na dann. Also gut. Auf Wiedersehen.“

Ich habe mir gemerkt: Achtung Martin, es gibt Menschen, die spüren auf weite Entfernung, fotografiert zu werden, sind aber beruhigt, wenn ich ihnen auf Anfrage direkt, ehrlich und ohne Herumdrucksen sage, was ich da tue.

4. Weiter hatte ich sehr viele sehr positive Begegnungen mit Menschen auf der Straße. Von der grüßenden Oma bis zur netten Nachfrage, mit welcher Kamera ich denn fotografiere, war alles dabei. Manche Menschen haben mir zugelächelt, gewunken oder vor mir posiert.

Diejenigen, die ich nicht ohne zu fragen fotografierte, sondern direkt ansprach, reagierten meist freundlich und hatten wenig Probleme mit einer Veröffentlichung des Bildes im Netz. „Werde ich jetzt berühmt?“. Aber auch das war natürlich nicht immer der Fall. Manche Menschen wollten auch nach einer freundlichen Anfrage nicht fotografiert werden und liefen rasant weiter. „Nein, ich will nicht in die Zeitung.“

Ich habe mir gemerkt: Achtung Martin, es gibt Menschen, für die ist es kein Problem, auf der Straße fotografiert zu werden. Insbesondere dann, wenn ich sie zuvor angesprochen und gefragt habe. Aber auch das ist kein Regelfall.

~

Ich kann nicht bestreiten, dass diese Begegnungen mit Menschen meine Art, auf der Straße zu fotografieren, verändert und geprägt haben. Heute versuche ich, alledem einigermaßen gerecht zu werden. Und zwar, ohne mich komplett zu verkrampfen und ohne um jede im entferntesten kritische Rechtslage einen 10km-Bogen zu machen. Weiter habe keine Lust, die Flinte ins Korn zu werfen und nur noch die gern zitierten Blümchen zu fotografieren.

Deswegen ist meine Lösung die, darauf zu achten, dass die Personen, die ich fotografiere, nicht zu erkennen sind. Wie weiter oben aufgegriffen wurde, hat auch diese Herangehensweise natürlich ihre Grenzen, aber ich tue mein Möglichstes. Daher sind Menschen auf meinen Fotos meist nur sehr klein abgebildet, von hinten fotografiert oder nur ihr Schatten oder Umriss zu sehen.

Außerdem ist für mich das Gesicht eines Menschen so ein wertvoller, schöner und – wenn man so will – intimer Bereich. So kann ich es ein Stück weit verstehen, wenn Leute nicht von einem Wildfremden beim Einkaufsbummel fotografiert und dann im Netz publiziert werden wollen. Diese Tatsache zu ignorieren, ist mir selbst nicht möglich.

Auseinandersetzung mit dem Gegenüber

So denke ich, dass sich jeder auf der Straße Fotografierende damit auseinandersetzen muss, wie Betroffene darüber denken. Und exakt darum ging es mir in der Umfrage: Wie Leute reagieren, wenn sie auf der Straße fotografiert werden und das Foto im Netz wiederfinden würden. Ich möchte diese Menschen verstehen und – so gut es geht – ihre Bedenken berücksichtigen.

Flo wiederum schrieb dort:

Ich würde ganz klar akzeptieren, dass mir etwas “angetan” worden ist, was ich anderen regelmäßig “antue”. Ich finde es nicht schlimm, auf der Straße fotografiert zu werden. Da müsste ich es auch unangenehm finden, gesehen zu werden. Es ist eben öffentliches Leben, ich bin dort ein Teil der Öffentlichkeit und verhalte mich schließlich anders als in meinem vier Wänden.

Ob das dann auf ein Foto gebannt wird oder ob mich andere Augen sehen können, wie ich mich verhalte, macht dann im Grunde keinen Unterschied. Es ist auch kein persönlicher Angriff auf eine Person. Ein Streetfotograf ist in der Hinsicht ja demokratisch und fotografiert andere genauso.

ABER: Keine nachteiligen Aufnahmen. Ich lege meine moralische Latte selbst so hoch, dass ich bei Aufnahmen auf der Straße selbst darauf achte, Menschen nicht in kompromittierenden Situationen oder Posen zu erwischen. Und wenn ich es doch mal tue, dann wird es nicht veröffentlicht. Das erwarte ich von anderen genauso. Punkt.

Bee äußerte folgenden Standpunkt zur gestellten Frage:

Ich wäre wenig begeistert. Der Fotograf würde von mir eine freundlich-bestimmte E-Mail bekommen, das Foto sofort offline zu nehmen. Und wenn ich ihn virtuell kennen würde, hätte die Beziehung von meiner Seite aus einen Knacks.

Dabei geht es gar nicht so sehr darum, dass ich im Netz bin. Bin ich eh schon mit einigen Fotos. Sondern darum, dass ICH entscheiden will, was von mir online ist. Und wo. Da hilft kein “das Foto ist doch schön”. Es geht um meine Selbstbestimmung, die da übergangen wurde.

Für mich persönlich war diese Umfrage deshalb wichtig, weil ich so mit den Lesern einmal einen Fall durchexerzieren und in die theoretische Handlungsfolge einsehen konnte. So wurde es mir möglich, dem Problem auf persönlicher Ebene auf den Grund zu gehen und zwar ganz bewusst, ohne die Rechtslage zu besprechen, die meines Erachtens klar ist. Denn es hat häufig auch weitere Gründe, warum Menschen sich bei einer Sache unwohl fühlen – ganz egal, wie das Rechtssystem drumherum aufgestellt ist.

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Zurück zur Straßenfotografie in der Praxis. Mein Anliegen ist es, so zurückhaltend und schonend wie möglich zu fotografieren, jedoch die Straße als Ort der Aufnahme nicht zu verlassen. Ich habe so viele positive Assoziationen mit dem täglichen öffentlichen Leben, dass ich nicht damit aufhören möchte, dort auch zu fotografieren. Mitsamt allen rechtlichen Stolpersteinen, um die ich ständig Slalom laufe. Sport ist gesund und hält jung, auch in dieser Metapher.

Jedoch bin ich gar nicht verbissen. Ich sehe die Stolpersteine als Herausforderungen, derer ich mich annehme und versuche, sie kreativ zu nutzen. Wenn das, was man bisher so gemacht hat, nicht möglich ist, muss ich mir eben andere Perspektiven und Herangehensweisen überlegen. Und das ist für mich auch in Ordnung.

Dieses Foto zeigt eine Person, die sehr weit weg kurz davor ist, eine Straße zu überqueren. Sie ist am rechten Bildrand abgebildet und der Blick des Betrachters wird von links nach rechts an einer Hauswand zur Person geführt.

Weiterführende Gedanken

Ich persönlich nehme mir das Recht heraus, kein Richter zu sein. Ich muss nicht zu allem, was ich sehe, eine urteilende Meinung haben. Ich muss nicht alles, was ich im Netz, zu Hause, im Kino oder sonstwo sehe gut oder schlecht, falsch oder richtig, super oder gaga finden. Manche Dinge lasse ich stehen, ohne sie zu werten. Manchmal bleibt einem auch nichts anderes übrig, will man sich nicht selbst zerreißen.

So gehe ich auch mit Bildern von Menschen um, die auf der Straße fotografiert wurden. Ich sehe diese Fotos und denke nicht darüber nach, ob das nun ein Rechtsbruch ist oder nicht. Ob das Bild nun in Deutschland, England oder Amerika aufgenommen wurde und daher erlaubt ist oder nicht. Mich persönlich interessiert das nicht. Die Straßenfotografie als solche liegt mir selbst viel zu sehr am Herzen, als dass ich mich gedanklich ständig in Richtig-oder-falsch-Konstrukten aufhalten möchte.

Im Gegenzug muss niemand meinen weiter oben genannten – und nur an mir selbst anliegenden – Maßstäben gerecht werden. Jeder soll von mir aus so fotografieren, wie er oder sie es für richtig hält. Ich sehe meine Mitmenschen als selbständig denkende und eigenverantwortliche Leute, die selbst definieren, wer sie sind und wie sie agieren.

Wenn nun jemand auf der Straße fotografiert und aus irgendeinem Grund – bisher ist das in meinem Umfeld noch nicht vorgekommen – abgemahnt wird, muss er selbst damit klarkommen, weil er selbst für sich verantwortlich ist. Wer bereit ist, für diese Form der Fotografie den Weg am Rande des Gesetzes zu gehen: Ich werde niemanden aufhalten und zwar weder können noch wollen.

Was ich jedoch kritisch sehe, ist, wie mit der Thematik in den Weiten des Netzes und auch hier streckenweise umgegangen wird. Da tauchen dann Worte wie „Würde“, „Respekt“ oder gar „Ehre“ auf, jedoch werden diese Maxime im Falle einer Diskussion gern vergessen und es wird fern jeden Respekts verbal aufeinander eingedroschen.

Da zweifle ich hin und wieder schon an der Überzeugungskraft solcher Worte. Insbesondere in diesem Kontext, denn man wird schlicht unglaubwürdig, wenn man in der ersten Hälfte eines Satzes von Respekt spricht und in der zweiten Hälfte seinen Gegenüber beleidigt. Quellen hierzu brauche ich keine zu nennen; aufmerksame Leser werden in diesem Magazin und auf zahlreichen anderen Webpräsenzen zum Thema nicht lange suchen müssen.

Fazit

Ich bin der Meinung, dass unter Berücksichtigung diverser Punkte die Straßenfotografie möglich ist. „Streetphotography’s not dead“ twitterte ich letzten Winter exakt aus dieser Haltung heraus und deshalb, weil es viele Fotografen gibt, die die Straßenfotografie betreiben. Nicht nur in Deutschland, sondern international, wobei jedes Land seine eigenen Bestimmungen hat.

Jeder muss für sich selbst entscheiden, wie er mit der oben geklärten Rechtslage umgeht und wie viel Gewichtung er ihr und dem Unbehagen von Menschen geben möchte. Ich habe vorerst meine Richtung eingeschlagen und freue mich deshalb auf die Zukunft: Mit der Kamera auf der Straße.

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In Referenz zur letzten Umfrage und vielen Artikeln in diesem Magazin erlaube ich es mir, die Kommentare unter diesem zu schließen. Leider ist es derzeit nicht möglich, sachliche und von Respekt den anderen gegenüber geprägte Diskussionen zu erreichen. Daher nehme ich es mir heraus, hier einen Strich zu ziehen. Trackbacks zu setzen ist erlaubt.

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