kwerfeldein
17. Januar 2012 Lesezeit: ~7 Minuten

Ich wollte mal fragen, wie du deine Fotos bearbeitest.

Alle paar Wochen trudelt bei (sicher nicht nur) mir eine Nachricht von irgendeinem Menschen ein, der meine Fotos gesehen hat und daraufhin sich und auch mich fragt: Wie bearbeitest du deine Fotos? Ja, genau so allgemein. Warum ich dann mit ebenso schöner Regelmäßigkeit mit den Augen rolle, will ich hier etwas detaillierter ausrollen.

Vorweg kommt ein Disclaimer: Gegen berechtigte spezielle Fragen habe ich absolut nichts. Sowas wie: Hast du Blitzlicht oder einen Reflektor eingesetzt? Hast du Tipps für Hautretusche? Gibst du deinen Modellen Anweisungen? Immer her damit, ich wäre der letzte Mensch, der darauf nicht eine freundliche und oft auch ausführliche Antwort schreibt.

Ich frage mich, was für Antworten sich der Absender einer Frage, die so allgemein ist wie oben beschrieben, erhofft oder verspricht. Wenn jemand ein konkretes Bild nennt, kann ich noch anfangen, Rätsel zu raten, ob es einen speziellen Aspekt gibt, der dieses Bild von anderen unterscheidet, auf den derjenige vielleicht hinausmöchte. Die meisten fragen aber wirklich ganz allgemein. Oder hätten direkt gern mal ein Making-of meiner Bildbearbeitung.

Irgendwann habe ich mich auch mal an so einem Making-of mit Beispielbild versucht. Ich dachte, wenn ich versuche, die Entstehung eines Bildes nachzuvollziehen und verallgemeinert aufzuschreiben, sehe ich vielleicht selbst das Kochrezept für meine Bilder. Das hat natürlich nicht funktioniert, genauso wenig wie ich die Bearbeitung eines Fotos auf ein Foto aus einer völlig anderen Session anwenden kann. Im besten Fall ist das nur ein guter Ausgangspunkt.

Ich sehe insbesondere einen großen Unterschied zwischen so einer Schritt-für-Schritt-Dokumentation und einem Tutorial, das eine Technik oder ein allgemeines Vorgehen erklärt, das sich angepasst immer wieder anwenden lässt. So etwas wie mit Ebenenmodi und Masken mehrere Belichtungen ineinander verblenden – da lernt man ein Puzzlestück, das man bei Bedarf in seine eigene Arbeitsweise einfügen kann.

Vielleicht setze ich zu viel voraus, wenn ich voraussetze, dass Betrachter bei meinen Bildern erkennen, dass es sich selten um technische Tricks oder Bildkompositionen handelt. Sondern, dass ich einfach nur ein Foto gemacht und hinterher mit den einfachsten Mitteln, die fast jedes simple Bildbearbeitungsprogramm und jeder Raw-Konverter an Board hat, die Bildstimmung unterstützt habe: Helligkeit/Belichtung, Sättigung, Kontrast, Farbtemperatur, Gradationskurven.

Das kann daher rühren, dass ich selbst die Arbeiten anderer aus meiner Perspektive als Autodidakt sehe. Ich habe die Effekte der einzelnen angebotenen Funktionen erlernt, indem ich an den Reglern gedreht und die Veränderung im Bild betrachtet habe – eine sehr natürliche und vor allem intuitive, angeborene Art, zu lernen. Dazu kommt meine eigene Wahrnehmungserfahrung, also wie die Menschen und die Natur um mich herum durch meine Augen und auf unbearbeiteten Fotos für gewöhnlich aussehen. Dadurch kann ich mir den Großteil der Bearbeitung eines Bildes selbst zusammenreimen.

Daher möchte ich an dieser Stelle einen ersten Appell an Euch richten:

Experimentiert mehr, anstatt nachzufragen. Das meine ich im Sinne von: Schaut Euch die Bilder der anderen an (macht Ihr ja sowieso), analysiert sie mit Eurem Blick.

Fragt Euch: Wirkt das Bild insgesamt kalt oder warm, hell oder dunkel? Gibt es dominierende Farbtöne? Sind diese Farben wahrscheinlich natürlich (Haut, Pflanzen, Himmel, bekannte Materialien und Gegenstände) oder unnatürlich? Wirkt die Lichtstimmung natürlich oder künstlich? Passen die Farben, Kontraste und die Sättigung der Objekte zu dieser Farbstimmung? Haben einzelne Bildbestandteile oder die Lichter/Mitteltöne/Tiefen besondere oder abweichende Farbtöne?

Natürlich kann man stundenlang an einem Foto zugange sein und ewig Feinarbeit an den Details leisten. Aber der erste Eindruck, das grundlegende Gefühl, die Stimmung, die Euch beim Betrachten eines Fotos packt, wird höchstwahrscheinlich mit den oben genannten einfachen Mitteln erzielt worden sein. Daher lohnt es sich, andere Bilder länger zu betrachten und der Wirkung, die sie auf Euch haben, genauer nachzuspüren. Und diese dann mit der Analyse der sichtbaren Nachbearbeitung im Bild zu vergleichen.

Die Erkenntnisse, die Ihr gewinnt, indem Ihr die Farbgestaltung eines fremden Bildes analysiert und mit den Erkenntnissen über die Effekte des Bildes in Euch abgleicht, bleiben erstens tausend Mal besser bei Euch hängen, als wenn Ihr ein Buch über Farbenlehre lest. Und zweitens könnt Ihr sie besser selbst auf ein Bild anwenden, wenn ihr die passende Dosis jeweils selbst finden müsst, anstatt einen Wert aus einer Anleitung in Euer Programm einzutippen oder ein Preset zu laden.

Es gibt Arten von Nachbearbeitung, die mögen unter „Manipulation“ in dem Sinne fallen, dass sie im besten Fall nicht als solche zu erkennen sein sollen. Diese sind aber gar nicht mein Thema. Mir geht es um die Art der Nachbearbeitung, die nicht versteckt, sondern ganz offen und sichtbar ist. Weil sie es sein muss, damit sie beim Betrachter den Effekt auslöst, den der Fotograf bzw. Bildbearbeiter erzielen möchte.

Natürlich muss sie dafür richtig dosiert sein. Nur die richtige Dosis sorgt dafür, dass wir im allerersten Moment glauben, den Nachbearbeitungs-Trick, der auf uns wirkt, nicht sehen zu können und deshalb nachfragen müssen. Wenn zu viel Rot im Bild ist, ist der Effekt überdosiert, wirkt nicht und fällt negativ auf. Darum nimmt man ihn sofort als solchen wahr.

~

Zumindest für mich wird das Nachbearbeitungspferd falsch herum aufgesattelt, wenn man mich fragt, wie ich etwas bearbeitet habe. Insbesondere dann, wenn ich davon ausgehen kann, dass derjenige sich eine Anleitung wünscht, die er wie ein Kochrezept einfach auf seine eigenen Fotos anwenden kann, damit seine Fotos „so“ aussehen wie meine. Ein Foto spiegelt immer auch etwas aus dem Inneren des Fotografen wider. Die Farbbearbeitung kann das ebenfalls und rundet so das Endprodukt ab.

Daher kommt hier der zweite Appell:

Experimentiert mehr, anstatt nachzufragen. Im Sinne von: Fragt Euch selbst, welche Stimmung Ihr mit einem konkreten Foto, einer Serie oder auch Eurer Fotografie als Gesamtwerk transportieren wollt.

Die Frage geht natürlich Hand in Hand mit der Frage nach persönlichen Themen und dem eigenen Stil. Aber anhand eines bereits gemachten Fotos ist es einfacher, herauszufinden, welche Stimmung das Foto schon hat und in welche Richtung Ihr sie stärker lenken möchtet. In ein Foto sind ja Euer bisher entwickelter Stil und die unterbewusst von Euch bearbeiteten Themen bereits eingeflossen. Die Antwort kann auch ein diffuses Bauchgefühl sein, dem Ihr bei der Bearbeitung folgt.

Indem man diese Frage für sich beantwortet, kann man sie durch Nachbearbeitung auch im Bild selbst für den Betrachter beantworten. Zur Umsetzung kann eine gute Portion Farbenlehre und ähnliches nicht schaden, man muss aber nicht immer so fürchterlich verkopft sein. Man kann sich für’s Erste fragen, ob das Bild einem so oder doch eher so besser gefällt, während man an einem Regler dreht oder an einer Kurve zieht. Das richtige Maß stellt sich dann mit der Zeit schon noch ein.

Also weniger recherchieren, lesen, planen und nachdenken, sondern einfach auch mal selbst machen. Aber diese Predigt ist ja nicht neu. Ich lege sie Euch nur noch einmal ans Herz, auf dass Ihr sie mit dem Blick auf die Nachbearbeitung neu betrachtet. Bevor Ihr nachfragt.

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