10. November 2011 Lesezeit: ~3 Minuten

Freund Zufall und das Unschärfeprinzip


Unscharfe Fotos sind eher unbeliebt. In diversen Fotocommunities werde ich immer recht schnell auf technische Defizite oder eben sonderbar platzierte Unschärfen aufmerksam gemacht. Natürlich ist richtiges Fokussieren von Vorteil, wenn man eine bestimmte Bildaussage treffen möchte.

Der Schärfepunkt, richtig gesetzt, gibt dem Betrachterauge die Möglichkeit, sich festzuhalten. Aber Unschärfe ist auch eine Gestaltungsmöglichkeit. Sie kann einen Ort mystifizieren oder Dynamik erzeugen.

Erinnern wir uns mal an diverse Filme, die bestimmt der ein oder andere schon gesehen hat. Wenn die Kamera wackelt, wenn der Mensch in der Unschärfe verschwindet. Wenn Gefühle und Wahrnehmung schwanken. Dann nutzen die Filmemacher gern die Unschärfe. Ich denke da beispielsweise an „Blair Witch Project“ oder „Das weiße Rauschen“.

Ich war vor nicht allzu langer Zeit mit Freunden in Norwegen unterwegs. Ich nahm drei Diafilme mit (Kodak Ektachrome 100, 3-6 Jahre überlagert). Ich hatte an meiner Canon A-1 eine noch unbemerkte Belichtungskorrektur eingeschaltet, vom letzten Shooting, so dass sie den Diafilm für einen ISO50-Film hielt.

Das Wetter in Norwegen war jedoch nicht sonnig. Also mitnichten ein ISO50-Wetter. Eher ISO400-Wetter. Ein Tri-x 400 wäre also toll gewesen. Hatte ich aber nicht in der Kamera. Da schlummerte der falsch eingestellte ISO100-Film vor sich hin. Wunderbar.

Es war später Nachmittag, als wir oben auf dem Berg ankamen. Das Wetter war unfassbar. Wärmendes Gelb verwob sich mit kaltem, wässrigen Blau. Eine merkwürdige Stimmung dort oben über Oslo. Keine Menschen, aber dafür wunderschöne Baumkulissen, wucherndes Gras über Steinen, seltsames Licht. Meine Freunde, ständig in Bewegung, kopfdrehend, leise, suchend.

Ich wollte diese Stimmung festhalten. Es war etwas Besonderes. Aber die Zeiten konnte ich nicht halten und ich hatte kein Stativ dabei. Aber von dort oben ohne ein Foto gemacht zu haben, wieder verschwinden? Nein, das kam nicht in Frage. Ich wollte etwas mitbringen. Ich wollte es einfangen, mit nach Hause nehmen, meine Erinnerung an den Geruch, an die Bewegungen meiner Freunde und der Bäume und an die Stille.

Ich versuchte, die Kamera so lange zu halten, wie sie brauchte oder ich stellte sie auf einen Stein oder den Boden. Irgendwas wird schon rauskommen, dachte ich mir. Und ich behielt recht. Als die Diafilme entwickelt waren und ich sie abholte, stockte mir der Atem. Die Farben, die Stille, das Gefühl. Es stieg wieder in mir auf. Ich war wieder dort, für einen kleinen Moment war ich dort oben auf diesem Berg mit meinen Freunden zusammen.

Ich sah mich zwischen den Bäumen schweigend und staunend laufen. Ich fühlte das nasse Gras unter meinen Füßen. Es war wie ein Film, der vor mir ablief, während ich die Dias betrachtete. Es war gelungen. Ich hatte meine Erinnerung mitgebracht. Sie waren nicht scharf, nicht kantig, sie waren verschwommen, verwaschen wie dieser Tag dort oben über Oslo.

Ich habe beschlossen, öfter einmal die Unschärfe in meine Fotos mit einzubeziehen. Bewusst die Landschaft oder einen Menschen darin verwischen zu lassen, um die Stimmung und das Gefühl des Nichtgreifenkönnens zu verbildlichen. Außerdem bin ich dem Zufall immer wieder sehr dankbar für derartige Erkenntnisse.

31 Kommentare

Die Kommentare dieses Artikels sind geschlossen. ~ Die Redaktion

  1. Ich finde auch komplett unscharfe Bilder mit dem richtigen Motiv toll. Gerade bei sehr strahlenden Farben wie beispielsweise dem Herbstlaub gerade abstrahiert man so von den eigentlichen scharfen Konturen und lenkt den Blick auf die Farben.

  2. die Fotos sind in DIESEM Kontext sicherlich klasse. Und das zeigt auch wieder einmal, dass es keinen Sinn macht, Fotos „für andere“ aufzunehmen, sondern für sich selbst. Einem selbst müssen sie gefallen. Und das kann jemand, der die Situation, in der die Fotos gemacht wurden nicht miterlebt hat auch kaum nachvollziehen.
    Soll heißen: die Fotos einfach so, für sich… na ja. Sagt mir nicht wirklich etwas.
    Aber die Fotos in diesem Kontext: klasse, passt!

  3. Stimme ich zu, ich vertrete die gleiche Politik, wenn auch bisher wegen fehlender Möglichkeiten eher in meinem Kopf. Dennoch sollte man aufpassen und die Schärfe auch bei poetischen Bilder nicht vernachlässigen.

    • richtig so. ich mag scharfe bilder auch sehr ;) ob eine haarsträhne oder die augen oder was eben im fokus ist. aber man soll sich nicht entmutigen lassen auch so etwas zuzulassen, vorallem wenn es gerade technisch unmöglich ist „ordentliche“ bilder mit nach hause zu bringen.

  4. Ich mag Unschärfe als Gestaltungsmittel, die Welt atomisieren und auflösen, herrlich. Sich nach den Geschmäckern diverser Fotocommunities zu richten, ist – glaube ich – eine der größten Einschränkungen die man sich auf dem Weg zur eigenen Bilderwelt auferlegen kann, die Erkenntnis, dass alles erlaubt ist, was gemeinhin gerne als Fehler betrachtet wir, solange es bewusst geschieht, war für mich befreiend.

  5. Bei solchen Dingen beziehe ich mich gerne auf Feininger. Ein technisch perfektes Bild garantiert noch kein gutes Foto. Aber technisch schlecht gemachte Bilder haben manchmal durchaus das Potential, zu Meisterwerken zu werden. Hier hat dieser ‚Fauxpas‘ zu tollen Bildern geführt, die die Atmosphäre toll transportieren. Gänsehaut…
    Freund Zufall ist eben manchmal der beste Fotograf von allen :)

  6. Sind schöne Fotos geworden, das letzte ist super. (:
    Jedoch würd ich bei meisten nicht sagen dass hier die Unschärfe als Gestaltungsmittel genutzt wurde (außer die starke Bewegungsunschärfe bei der Dame mit dem roten Schal). Die Fotos würden auch scharf eine ebenso kräftige Bildwirkung erziehlen. Sie leben von Komposition und Farbe. Deswegen kann ihnen auch eine gewisse Unschärfe nicht so viel anhaben. Dass du die Fotos aber trotz schwerer Bedingungen gemacht hast ist super und hat sich in jedem Fall gelohnt. :)

    • da magst du mit dem ersten und letzten bild recht haben. bei allen anderen sehe ich im nachhinein doch eine verstärkte wirkung durch die unschärfe, beim ersteren hätte ich mir im nachhinein eine einzige scharfe haarsträhne gewünscht.

      :)

      • Ich find, dass das erste Bild so genau richtig ist. Die Unschärfe, die Vignettierung (durch den Wald) und die Tatsache, dass bei dem Mädchen nur der Hinterkopf und eben kein Gesicht zu sehen sind machen es mystisch und faszinierend. Und die atemberaubenden Farben rücken dadurch gerade mehr in den Vordergrund.
        Ganz ehrlich: Wunderschönes Bild!!

  7. ich persönlich mag ja scharfe bilder. also bilder mit einem schärfepunkt. bei meinen eigenen jedenfalls komm ich ohne nicht aus und ärgere mich, wenns nicht klappt. das hat mit dem geschmack der anderen nichts zu tun. ein unscharfes bild so hinzubekommen, daß ich es gut finde, das ist eine echte herausforderung und irgendwo fehlt mir da wohl die nötige gelassenheit.

  8. Das Fotos in erster Linie einem selbst gefallen sollten, ist verständlich.
    Auch Unschärfe und das „Unperfekte“ gefällt mir an der analogen Fotografie sehr gut, die ich auch für mich selbst grade entdecke.
    In diesem Fall sagen mir die Fotos allerdings gar nichts, das kann aber durchaus daran liegen, das ich nicht mit auf dem Berg war.
    Du verbindest einfach mehr mit den Fotos, für mich ist es, entschuldige bitte, ein verwischter Schnappschuss.

    Das Gefühl, das du beschreibst, kenne ich allerdings, wie wohl jeder der hier mitliest, durchaus.

  9. Ich mag es nicht, da die Augen immer irgendwo einen scharfen Punkt zum verweilen suchen. So strengt es auch ganz schön an da das Auge ständig versucht scharf zu stellen. Von den Motiven und der Stimmung her finde ich die Sachen eigentlich ganz gut, aber ich kann es mir nicht lange angucken…

  10. „Ich“, „mir“, „meine“ und der Bildbetrachter

    „Ich versuchte, die Kamera so lange zu halten, wie sie brauchte oder ich stellte sie auf einen Stein oder den Boden. Irgendwas wird schon rauskommen, dachte ich mir. Und ich behielt recht. Als die Diafilme entwickelt waren und ich sie abholte, stockte mir der Atem. Die Farben, die Stille, das Gefühl. Es stieg wieder in mir auf. Ich war wieder dort, für einen kleinen Moment war ich dort oben auf diesem Berg mit meinen Freunden zusammen.

    Ich sah mich zwischen den Bäumen schweigend und staunend laufen. Ich fühlte das nasse Gras unter meinen Füßen. Es war wie ein Film, der vor mir ablief, während ich die Dias betrachtete. Es war gelungen. Ich hatte meine Erinnerung mitgebracht.“

    Die Worte aus dem Text sagen bereits alles. Persönliche Erinnerungen.

    Ob scharf oder unscharf bleibt die Frage, was Bildbetrachter, die nicht dabeigewesen sind, in den Bildern sehen, wenn die persönlichen Eindrücke fehlen.

    lg
    thomas