13. Mai 2011 Lesezeit: ~5 Minuten

Vom Filmeinspulen und dem Zufall.

Ja, ich benutze Film. Ich bin vernarrt in den gesamten Prozess und davon möchte ich hier ein wenig erzählen. Manchmal fängt es mit einer Idee an. Sie formt sich im Kopf und wird durch verschiedene äußere Einflüsse hervorgerufen.

Ein Lied kann schuld sein oder Sonnenlicht, von dem mein Gegenüber in der ranzigen Berliner S-Bahn plötzlich in Gold getaucht wird. Manchmal auch eine einzige Farbe an einer Häuserwand, verblichen, vergessen. Oder das Krächzen einer Nebelkrähe ein paar Etagen über mir. Ich habe in meiner Tasche ein kleines weißes Büchlein, dort schreibe ich hinein, was ich denke und fühle.


Nimm den Stoff und mach irgendwas damit!

Danach suche ich nach einem Menschen, der mit mir diese Idee umsetzt und natürlich nach dem richtigen Film dafür. Beides ist wichtig und der Zufall dabei immer wieder ein netter Begleiter. Habe ich beides gefunden, geht es weiter.

Ich spule den ausgesuchten Film ein, ich streiche über das glänzende Material, fühle wie sich das Rädchen darin verfängt und schließe die Klappe. Oft zaubert sich unbemerkt ein Lächeln auf mein Gesicht. In mir sind Hochgefühl, Freude und Lust. Denn das ist wie ein Startschuss, alles liegt nun in meinen Händen und beim Zufall.


Weichzeichnen mit einem Feinstrumpf der Mitbewohnerin

Ich brauche manchmal recht lange, bis ich den Auslöseknopf herunterdrücke, aber manchmal passiert es auch intuitiv: Ein unbemerktes Mundzucken beim Gegenüber, ein Hochziehen der Augenbraue, ein Verzetteln mit den Händen, eine ungehörige Haarsträhne, ein Lichtfleck an der Wand – und zack.

Der Moment ist gebannt, festgehalten, aber noch nicht sichtbar. Nach dem 36-sten Hebelziehen spule ich den Film zurück. Ich mache das immer noch sehr vorsichtig und langsam. Ich mag die Schwere, mit der sich der Film dagegen zu wehren scheint.


Eine ungezogene Haarsträhne

Danach kommt der spannende Teil. Der Film kommt in die Entwicklerdose, der richtige Entwickler muss ausgesucht werden, die Zeit dafür ebenfalls. Dann sitze ich da, kippe die Dose jede halbe Minute.

Manchmal klingelt das Telefon oder jemand kommt herein und fragt etwas. Manchmal vergesse ich, mir die Zeit aufzuschreiben und schon habe ich eine Minute zu lange oder zu kurz entwickelt.


Das Gedicht einer Freundin (Lila G. Pahr) und das Ergebnis eines Unfalls beim Selbstentwickeln

Wenn ich dann den Film fixiert habe und mit dem Wässern fertig bin, geht mein Blutdruck noch einmal schwungartig nach oben. Ganz kurz flammt der Gedanke auf „Was, wenn alles auf dem Film schwarz ist oder ich gehörigen Mist gebaut habe?“

Letzens ist es mir nämlich passiert, dass ich den Reißverschluss des Wechselsacks nicht zugezogen hatte und nicht klar war, ob und wenn ja, wieviel Licht der Film abbekommen hatte. Aber dann hole ich tief Luft, ziehe den Film lang, sehe die ersten hellen und dunklen Stellen und beruhige mich wieder.


Blätter auf der Haut, Erinnerungen

Es sind die Zufälle, die aus dem Perfekten das Unperfekte machen. Einmal goss mein Freund statt Entwickler den Fixierer zuerst in den Tank. Ich habe ihn noch nie so schnell laufen und fluchen sehen, aber das Ergebnis war trotz dieses widrigen Umstands sehr interessant und es gab sogar ein paar Leute, die das mal nachmachen wollten.

Ein anderes Mal vergaß ich nach dem Wechseln des Objektivs, die Blende manuell umzustellen, und hatte danach einen fehlbelichteten Film in der Hand. Und sowas ärgert mich dann einen ganzen Tag, weil ich so unaufmerksam war. Jeder kleine Umstand, jedes Nicht- oder Dochbemerken, jede Unachtsamkeit hat Einfluss auf das Ergebnis.


Der erste selbstgemachte Abzug überhaupt

Zwei- bis dreimal im Jahr geht’s dann in die Dunkelkammer. Aus bis zu 20 Filmen muss ich mir dann die zehn liebsten heraussuchen. In der Dunkelkammer verbringe ich dann einige Stunden, ich merke ja auch überhaupt nicht, wie die Zeit vergeht und öffne ich dann die Tür, ist draußen schon ein halber Tag verstrichen.

Meinen allerersten Abzug habe ich natürlich von einem Bild gemacht, das mich überhaupt erst zur Schwarzweiß-Fotografie brachte. Es entstand vor ca. fünf Jahren und zeigt eine feingeformte Flasche vor einem Vorhang. Als ich sah, wie sich das Bild auf der zuvor weißen Oberfläche langsam herausschälte, war das ein bisschen wie Magie und ich hüpfte vor Aufregung auf und ab.


Ägypten, Wüstenlandschaften sind wie eine zweite Heimat

So schaffen es Negative in die Dunkelkammer, mit denen ich etwas sehr Persönliches verbinde. Wie zum Beispiel die Erinnerung an die letzte Reise in ein Land, das lange Zeit eine Art zweite Heimat war. Oder die Verwendung von Materialien wie den getrockneten goldglänzenden Blättern eines Blumenstraußes, die mit Erinnerungen an einen wichtigen Menschen behaftet sind.

Solche Bilder werden dann liebevoll gerahmt und bekommen einen besonderen Platz an der häuslichen Bilderwand. Und wenn ich Glück habe auch an den Wänden von Freunden.

21 Kommentare

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  1. Gut hast Du beschrieben, was mich momentan einerseits noch vom analogen Fotografieren abhält, mich andererseits aber auch genauso fasziniert. Es die Spannung. Das Unkontrollierbare. Zumindest in Teilen.

    Digital ist jeder Schritt wieder rückgängig zu machen. Trotz- oder gerade deswegen besitzen analoge Fotos einen nicht zu verwechselnden Charme.

    Auf einem Flohmarkt habe ich einmal versucht, dies mit einer digitalen Kamera nachzuempfinden:

    http://leichtscharf.de/fotografie/reminiszenz-an-einen-flohmarkt-in-schwarz-weis/

  2. Wunderbar! Ich habe den Text heute nicht zum ersten Mal gelesen und muss jedes Mal wieder neu schmunzeln, weil Du den Leser mit Deinen Erklärungen in Deine Vorgänge einbeziehst. Es ist wie ein kurzer Traum, in den man einsteigt und am Ende es schade findet, dass er schon wieder vorbei ist. Dazu die Fotos, wie gesagt, wunderbar.

  3. ich bin sowas von „verzaubert“ von dem artikel und der liebe von marit beer zur analogen fotografie..ja es ist so wie sie es beschreibt wenn ich nachdenke ist es so und nicht anders…

    ich habe den artikel verschlungen und dabei lief der film des kopfkinos ab…

    ich habe gerade auch kaum lust mit der 50 d zu fotografieren weil mir genau das erlebnis wie es von marit beschrieben wird fehlt…es ist gebannt das foto das bild der augenblick und wie sieht es aus…keine ahnung erst wenn der film voll ist und man die ruhe und zeit hat sich ihm ganz zu widmen sieht man ein erstes ergebnis auf dem filstreifen und dann gehts ja noch weiter und das ist es man hat es in den händen….

    ein ganz großer artikel der euch hier gelungen ist…die liebe zur fotografie ist greifbar

    danke marit und gruß vom doc
    martin

  4. Ich bewundere jeden der die Nerven hat den analogen Prozess komplett durchzuziehen. Die Ergebnisse sprechen für sich, deshalb wünsche ich mir für mich manchmal die Gelassenheit öfter mit Film zu arbeiten und auch analog auszuarbeiten – Farbe wie SW. Die Möglichkeiten habe ich an meiner Hochschule dafür, aber ich nutze sie selten. Der unfassbare Zeitaufwand fühlt sich wie ein bizarrer Anachronismus an, er stress mich regelrecht. Ich kann die Stimme schlecht verdrängen die mir da sagt: digital erreichst du in 5% der Zeit 90% der Ergebnisqualität mit dazu perfekter Reproduzierbarkeit, der Möglichkeit jederzeit zurück zu gehen und Backups anzufertigen, …

  5. Ein wirklich wundervoller Artikel!

    Sehr sehr schön geschrieben…

    Lege mich selber gerne mal mit einer meiner analogen Babys auf die Lauer… Früher war es immer meine „alte Lady“ die Canon AE-1 die mit durfte… Heute muss sie sich den Platz mit der EOS 3 teilen…

    Analog ist schon was feines… Allein das klack, klack zzzzzt-Geräusch… *schwärm*

    Man fotografiert bewusster… man nimmt sich mehr Zeit…

    Das warten auf die Ergebnisse ist für mich dann immer wie das Warten auf den Weihnachtsmann für ein kleines Kind (ich entwickel nicht selbst)

    Ich kann es jedem nur Empfehlen!

    Danke für diesen schönen Artikel…

    Beste Grüße
    Sascha

  6. „Wenn ich dann den Film fixiert habe und mit dem Wässern fertig bin, geht mein Blutdruck noch einmal schwungartig nach oben. Ganz kurz flammt der Gedanke auf „Was, wenn alles auf dem Film schwarz ist oder ich gehörigen Mist gebaut habe?“

    GENAU SO geht es mir jedes Mal. :) Und noch jedes Mal ist es gutgegangen. Danke für dieses wunderbaren Artikel.

  7. So schön, du schaffst es in Worte zu fassen was ich fühle. Erst seit kurzem, es ist noch ganz frisch und extrem Intensiv…..
    So spannend wenn man die Dose wieder öffnet und den glitschigen Film gegen das Licht hält…..ich werde es immer wieder tuen…..

  8. Das ist mit Abstand die schönste Beschreibung des Analogen Fotografierens und was es ausmacht.
    Lass uns alle ein wenig umständlich, uneffektiv und verträumt sein.
    Lass uns ein wenig die Kontrolle verlieren.
    Lass uns Fotografieren und das alles genießen!

  9. hier treffen sich jetzt wohl einige verwandte Seelen, die alle eines gemeinsam haben.

    Die Liebe zur analogen Fotografie, die Empathie einen derartigen Text zu verstehen und nachempfinden zu können, die Bildimpressionen vor dem inneren Auge nachzuerleben, …

    Ohne die Autorin zu kennen, weiß ich bereits, daß ich mit ihr zusammen durch den Orient treiben könnte um mit alten A1’en in schwarz/weiß neue Bildwelten entdecken zu können.

    Thomas

  10. Kann man hier nicht einmal einen Artikel veröffentlichen wie man so als Anfänger in diese Fotografie reinkommt. Vor allen dingen selber entwickeln. Das wäre richtig richtig fein!

  11. Blogartikel dazu: Die Redaktion stellt sich vor: Marit Beer | KWERFELDEIN | Fotografie Magazin