Rüdiger Beckmann: Was mich treibt
Ich sitze hier gerade an meinem Schreibtisch und schreibe für Kwerfeldein.
Ich lese nicht viel über Fotografie, das strengt mich oft sehr an. Allein auf dieser Site wurden in den letzten Tagen mehrere Artikel veröffentlicht, die mich überfordern. So viele Menschen, die fotografieren und darüber schreiben.
Manchmal lese ich ein kluges Zitat und vermute, dass sehr viele Menschen auf der Welt bereits formuliert haben, was ich euch jemals zu erzählen hätte. Aber es nützt nichts, wir müssen da jetzt zusammen durch.
Um herauszufinden, wie die Ästhetik meiner Bilder entsteht, kann ich am besten erklären, WARUM ich überhaupt Bilder suche. Mich interessiert die Oberfläche von Bildern nicht besonders. Auch wenn ich allein dadurch inszeniere, dass ich Menschen in meine Küche einlade, arrangiere ich dabei nicht. Ich verschwende keinen Gedanken und keine Zeit daran, wie die Dinge aussehen, die sich im Bild befinden.
Es geht nie um das „Wie sehe ich aus?“, sondern eher um das „Warum lasse ich mich heute fotografieren?“. Mich interessiert eigentlich nur das Gefühl hinter dem Bild, hinter der Person.
Manchmal sucht die Person lediglich eine Bestätigung ihrer Attraktivität. Manchmal will sie sie bewusst in Frage stellen. Manche Menschen tauchen an derselben Stelle immer tiefer, andere erfinden sich jedesmal neu. Gut ist, wenn es für alle Energien einen Raum gibt und die Freiheit, sie zu erforschen.
Im Vergleich zu Selbstfotografie geht es mir natürlich um die Begegnung der beiden Menschen, die sich für diese Bilder treffen. Wer Selfs macht, behält immer die Kontrolle, weil er Akteur, Publikum und Kritiker zugleich ist. Aber in der Begegnung mit einem Fotografen ist es unvermeidlich, Kontrolle abzugeben. Die meisten Menschen sind das nicht gewöhnt. Es macht zuerst Angst, ist aber auch sehr befreiend.
Wenn es gut läuft, entsteht daraus ein Weg, immer von einem Foto zum nächsten, von einer Session zum nächsten logischen Schritt, im Kopf oder auch im Bauchgefühl. Die portraitierte Person ist hautnah dabei, sie verändert sich unaufhörlich. Langsam wird deutlich, dass Menschen keine Zustände sind, sondern ein immerwährender Vorgang.
Am Anfang wollte ich möglichst verschiedene Menschen knipsen, um zwischen jedem die Unterschiede begreifen zu können, so wie ein Streetfotograf verschiedene Städte bereist und ein Aktfotograf an unterschiedlichen Körpern anatomische Nuancen kennenlernt.
Heute mache ich das nur noch mit sehr wenigen Personen, deren Bilder sich durch das unterscheiden, was in ihrer Welt gerade passiert. Je weiter wir kommen, desto weniger kann ich neue Leute knipsen. Es fehlt mir die Zeit, und oft auch die Ruhe, immer wieder in diesen Weg zu investieren. Aber er bleibt bei jeder neuen Person einzigartig und spannend.
Der Gedanke, ob ich dabei einen Stil entwickelt habe, hat für mich an Bedeutung verloren. Seit ich das analoge Mittelformat als Arbeitswerkzeug gewählt habe, habe ich nicht mehr bewusst für eine Ästhetik entschieden, und ich befürchte, ich könnte auch gar nicht anders knipsen, als ich es gerade tu. Dennoch lässt sich jedes Bild auf meiner autobiografischen Timeline einordnen, also entwickelt sich mein Knipsen wohl ungeachtet dessen, ob ich das gut finde oder nicht.
Wenn ich mir die Entwicklung anderer Fotografen anschaue, bemerke ich, wie sie immer routinierter inszenieren und störende Dinge auf ihren Bildern ausmerzen, um sie besser zu machen. Die Bilder werden immer geschlossener und stringenter, bis mir bei der Betrachtung vor lauter Perfektion fast die Luft wegbleibt.
Ich mag es immer noch, wenn in der Session etwas geschehen darf, das sich meiner Kontrolle entzieht. Und ich mag offene und diffuse Bilder mit unaufgeräumten Schmutzecken, die dem Betrachter viel Raum zum Atmen und auch für Interaktion bieten.
An diesem Punkt bemerke ich, wie sehr meine Beurteilung anderer Bilder sich über die Jahre verändert hat. Ich befürchte, dass die Zahl der Bilder, die man anschauen (und somit auch selbst machen) kann, nicht unendlich ist. Aus diesem Grund bin ich mittlerweile beim Bilderkonsum sehr viel vorsichtiger als früher.
Ich werde oft gefragt, was ich heute einem jungen Fotografen raten würde.
Meine Antwort lautet: Mach das Internet aus. Und mach deine ganz eigenen Bilder.