02. März 2011 Lesezeit: ~4 Minuten

Rüdiger Beckmann: Was mich treibt

Ich sitze hier gerade an meinem Schreibtisch und schreibe für Kwerfeldein.

Ich lese nicht viel über Fotografie, das strengt mich oft sehr an. Allein auf dieser Site wurden in den letzten Tagen mehrere Artikel veröffentlicht, die mich überfordern. So viele Menschen, die fotografieren und darüber schreiben.

Manchmal lese ich ein kluges Zitat und vermute, dass sehr viele Menschen auf der Welt bereits formuliert haben, was ich euch jemals zu erzählen hätte. Aber es nützt nichts, wir müssen da jetzt zusammen durch.

Um herauszufinden, wie die Ästhetik meiner Bilder entsteht, kann ich am besten erklären, WARUM ich überhaupt Bilder suche. Mich interessiert die Oberfläche von Bildern nicht besonders. Auch wenn ich allein dadurch inszeniere, dass ich Menschen in meine Küche einlade, arrangiere ich dabei nicht. Ich verschwende keinen Gedanken und keine Zeit daran, wie die Dinge aussehen, die sich im Bild befinden.

Es geht nie um das „Wie sehe ich aus?“, sondern eher um das „Warum lasse ich mich heute fotografieren?“. Mich interessiert eigentlich nur das Gefühl hinter dem Bild, hinter der Person.

Manchmal sucht die Person lediglich eine Bestätigung ihrer Attraktivität. Manchmal will sie sie bewusst in Frage stellen. Manche Menschen tauchen an derselben Stelle immer tiefer, andere erfinden sich jedesmal neu. Gut ist, wenn es für alle Energien einen Raum gibt und die Freiheit, sie zu erforschen.

Im Vergleich zu Selbstfotografie geht es mir natürlich um die Begegnung der beiden Menschen, die sich für diese Bilder treffen. Wer Selfs macht, behält immer die Kontrolle, weil er Akteur, Publikum und Kritiker zugleich ist. Aber in der Begegnung mit einem Fotografen ist es unvermeidlich, Kontrolle abzugeben. Die meisten Menschen sind das nicht gewöhnt. Es macht zuerst Angst, ist aber auch sehr befreiend.

Wenn es gut läuft, entsteht daraus ein Weg, immer von einem Foto zum nächsten, von einer Session zum nächsten logischen Schritt, im Kopf oder auch im Bauchgefühl. Die portraitierte Person ist hautnah dabei, sie verändert sich unaufhörlich. Langsam wird deutlich, dass Menschen keine Zustände sind, sondern ein immerwährender Vorgang.

Am Anfang wollte ich möglichst verschiedene Menschen knipsen, um zwischen jedem die Unterschiede begreifen zu können, so wie ein Streetfotograf verschiedene Städte bereist und ein Aktfotograf an unterschiedlichen Körpern anatomische Nuancen kennenlernt.

Heute mache ich das nur noch mit sehr wenigen Personen, deren Bilder sich durch das unterscheiden, was in ihrer Welt gerade passiert. Je weiter wir kommen, desto weniger kann ich neue Leute knipsen. Es fehlt mir die Zeit, und oft auch die Ruhe, immer wieder in diesen Weg zu investieren. Aber er bleibt bei jeder neuen Person einzigartig und spannend.

Der Gedanke, ob ich dabei einen Stil entwickelt habe, hat für mich an Bedeutung verloren. Seit ich das analoge Mittelformat als Arbeitswerkzeug gewählt habe, habe ich nicht mehr bewusst für eine Ästhetik entschieden, und ich befürchte, ich könnte auch gar nicht anders knipsen, als ich es gerade tu. Dennoch lässt sich jedes Bild auf meiner autobiografischen Timeline einordnen, also entwickelt sich mein Knipsen wohl ungeachtet dessen, ob ich das gut finde oder nicht.

Wenn ich mir die Entwicklung anderer Fotografen anschaue, bemerke ich, wie sie immer routinierter inszenieren und störende Dinge auf ihren Bildern ausmerzen, um sie besser zu machen. Die Bilder werden immer geschlossener und stringenter, bis mir bei der Betrachtung vor lauter Perfektion fast die Luft wegbleibt.

Ich mag es immer noch, wenn in der Session etwas geschehen darf, das sich meiner Kontrolle entzieht. Und ich mag offene und diffuse Bilder mit unaufgeräumten Schmutzecken, die dem Betrachter viel Raum zum Atmen und auch für Interaktion bieten.

An diesem Punkt bemerke ich, wie sehr meine Beurteilung anderer Bilder sich über die Jahre verändert hat. Ich befürchte, dass die Zahl der Bilder, die man anschauen (und somit auch selbst machen) kann, nicht unendlich ist. Aus diesem Grund bin ich mittlerweile beim Bilderkonsum sehr viel vorsichtiger als früher.

Ich werde oft gefragt, was ich heute einem jungen Fotografen raten würde.
Meine Antwort lautet: Mach das Internet aus. Und mach deine ganz eigenen Bilder.

24 Kommentare

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  1. Hut ab!
    Großartige Fotos.

    „Die Bilder werden immer geschlossener und stringenter, bis mir bei der Betrachtung vor lauter Perfektion fast die Luft wegbleibt.“
    Da ist für mich sehr viel Wahres dran.

    Ich bin dann mal offli…____________________no signal – going to sleep .

  2. Sehr schöner Beitrag. Vor allem auch deswegen, weil er genau das gegenteilige von den restlichen Beiträgen hier erzählt.

    Ich finde beide Seiten haben etwas. Es kommt m. M. n. darauf an was man fotografieren möchte/muss. Perfekt initierte Bilder können ebenso seinen Reiz haben wie Bilder die gerade aus der Lust entstanden sind.

    Die Bilder im Beitrag finde ich zumeist sehr schön. Aber eben auch nicht alle. Aber zum Glück sieht das jeder anders. :-)

  3. Ich finde dein Artikel toll und er bringt mich zum Nachdenken. Ich schaue auch viel zu viel im Internet. Früher als Inspiration, heute erwische ich mich dabei, wie ich meine Fotos mit anderen vergleiche und da mache ich rein technisch gesehen eine ziemlich schlechte Figur. Bei Landschaftsbildern ist das noch schlimmer als bei der Menschenfotografie. Keine Probleme habe ich dagegen bei meinem Plümchen, da bin ich wohl schon irgendwo dort gelandet, wo ich mit mir zufrieden sein kann. Da weiss ich was ich will und was mir gefällt. Aber zurück zu der Technik! Meine Ausrüstung ist bescheiden, ich habe keinen externen Blitz, kein Studio, keine Beleuchtung und ich kann mein Stativ nicht leiden. ;-) Wenn ich Menschen fotografiere, kann ich keinen arrangierten Raum mit ruhigem Hintergrund anbieten. Und um raus zu gehen, spielt nicht immer das Wetter mit. Also, bin ich gezwungen, es anders zu machen. Ich muss mit dem arbeiten, was ich vorfinde und genaue Vorstellungen oder ein Konzept können da ganz schön kontraproduktiv sein. Ich schaffe noch lange nicht, die Fotos, die ich machen will und wenn ich dann frustriert vergleiche, dann erinnere ich mich daran, dass die meisten dieser tollen Fotografen eine riesige Ausstattung haben, einen Assi, der den Reflektor hält, evtl. einen Visa und sind super gut in der Nachbearbeitung. Und das ausserdem schon sehr viel länger machen als ich. Viele sogar mit einer fundierten Ausbildung. Und dann sind meine Fotos doch gar nicht so schlecht! :-) Man muss wirklich sein eigenes Ding machen mit den Bedingungen, die man eben so hat. LG Frau Zausel

    • danke dir.
      diese probleme kenne ich gut.
      ich hab technisch gesehen auch die schlechtesten voraussetzungen, die man sich vorstellen kann. ich mag nicht allzuviel blendendes licht anmachen, und blitz schon gar nicht, die kameras haben 2.8 bzw 4 als anfangsblende, somit entstehen die bilder mit 1/15 bis 1/60 sekunde.
      und das ist natuerlich trotzdem alles ziemlich unterbelichtet.
      aber solange ueberhaupt erkennbare bilder entstehen, werde ich diese faktoren wohl nicht veraendern.
      lg ruedi

  4. Mir fällt nur eins dazu ein. Authentisch. Es ist einfach auf den Bildern zu sehen, dass beide Protagonisten ein Teil zur Aufnahme beitragen. Außerdem mag man fast glauben, die unterschiedlichen Persönlichkeiten und Charakterzüge der abgebildeten Personen erahnen zu können. Wirklich ganz groß, der Artikel sowie die Bilder.

  5. Wieder ein sehr gelungenes Portrait, das die emotionale Linie der Fotografie, die in vielen Vorstellungen zuvor bereits angeschnitten wurde, weiter betont. Perfektion ade?
    Ein Kontrapunkt mit dem ich nach wie vor sehr sympathisiere. Eröffnet er doch einen angenehm spannenden Spielraum. Besonders hier schön illustriert durch die Aussage über „viel Raum zum Atmen und auch für Interaktion“.

    Die Nuss

  6. Ich habe vor nicht allzu langer Zeit erst eine analoge Spiegelreflexkamera bekommen. Jetzt entdecke ich Fotografie, für mich neu.
    Zuvor habe ich mit einer Bridgecam, ganz intuitiv Bilder gemacht.
    Nun möchte ich aber bewusst fotografieren. Dabei überfordere mich damit zum Teil selbst, wenn ich mich im Internet umschaue und mindestens so gut wie die Profis sein möchte.
    Ich habe keine Mittel mich all dem scheinbar notwendigem auszustatten.

    Dabei will ich mich doch nicht schon bevor ich richtig angefangen habe, abschrecken lassen. Ich habe noch den ganzen Weg vor mir, zum puren Bild, meinem Bild.

    Dein Artikel macht Mut diesen Weg einzuschlagen.
    Hab vielen Dank.

  7. Hallo Rüdiger und hallo Redaktion,
    Der Artikel inklusive Bilder waren gerade durch diese selbstreflektierende Art und Weise sehr anregend. Aber eine Bitte:

    Bitte macht doch irgendwie einen NSFW Wimpel an die Posts, wenn nicht erkennbar ist, dass nach dem Teaser oben ohne kommt.

  8. wow, wieder ne neue abkürzung gelernt. an der arbeit soll man ja auch arbeiten!

    an sich finde ich aber ne brust mehr SAVE FOR WORK als zb die spiegel-nachrichten, in denen erschossene leute gezeigt werden!

  9. Blogartikel dazu: Share Dich zum Teufel! Im Gespräch mit Beckmann - kwerfeldein - Fotografie Magazin

  10. Blogartikel dazu: Rüdiger Beckmann – Beyond Vanity | Spuelbeck.net Photography