04. Januar 2011 Lesezeit: ~4 Minuten

Portrait eines Unbekannten

Menschen – wir sind nach unserem Wesen nach ziemlich gleich, nach Fähigkeiten, Aussehen und Charakter jedoch unterschiedlich. Das ist es, was mich bei dem Fotografieren von Menschen fasziniert – die Einzigartigkeit von jedem von uns.

Seit einigen Monaten habe ich begonnen, Menschen in der Straße zu fotografieren, teilweise inspiriert von hervorragenden Fotos auf Flickr. Dabei entstanden viele „candid“ Aufnahmen von Passanten. Hier würde ich gerne ein Bild vorstellen, das ausnahmsweise ein „normales“ Portrait darstellt, jedoch ein Portrait von einem Unbekannten.

An dem Tag als dieses Bild entstand, habe ich mich sehr gefreut, endlich mal wieder auf die Straße zu gehen und ein paar Bilder von interessanten Menschen zu schießen. Ich habe meine Freundin nach Heidelberg begleitet und hatte den ganzen Tag für mich, also fürs Fotografieren.

Als Street-Fotograf finde ich es immer aufregend, in einer unbekannten Stadt zu sein. Nach einigen Stunden wollte ich endlich mal eine Pause anlegen und machte noch einige Fotos von spielenden Spatzen.

Plötzlich hörte ich eine Stimme hinter mir: „Mach mal ein Foto von mir!“.

Überrascht drehte ich mich um und sah einen Mann mit einem großen Bart und einem Lederhut. Was ich noch interessanter fand waren seine Sonnenbrillen, an dem Tag war es ja bewölkt und stürmisch. Natürlich wollte ich ein Foto von ihm machen. Die Tatsache aber, dass er mich angesprochen hat und nicht ich ihn, hat mich überrascht und ich konnte anfags nur noch zögerlich einwilligen.

Schnell wechselte ich das Objektiv auf meine treue 5D, er setzte sich auf eine Treppe und ich schoß drei Bilder. Dabei habe ich die Blende des Canon 50mm f1.4 auf 1.8 eingestellt, um mehr Details in den Augen und dem Bart zu bekommen. Ich wußte sofot, dass die Aufnahmen gut geworden sind. Es hat einfach alles gepasst.

Das Licht fiel weich auf das Gesicht des Unbekannten und viele Anweisungen brauchte ich auch nicht zu machen. Der Mann hat von sich aus auf einem der Fotos ein Auge geschlossen, sein anderes Auge blickte direkt in die Kamera. Ich habe ihm die Bilder gezeigt und versprochen einen Bild per E-Mail und ein Link zu meinem Flickr-Stream zu schicken. Er hatte aber keine Mail-Adresse, also fragte ich nach der Postanschrift.

Wir haben uns dann noch ein paar Minuten unterhalten, ich schilderte ihm warum ich in Heidelberg bin, er erzählte mir ein bisschen über sein Leben. Nach einer freundlichen Verabschiedung setzte ich meinen Spaziergang durch die feuchten Gassen der heidelberger Innenstadt fort.

Zu Hause eingetroffen war natürlich dieses Bild das erste, was ich bearbeiten wollte. Ich mag es, meinen Bildern einen Film-Look zu geben, zumindest von den Farben her. Deswegen setzte ich einen blau-grünen Filter über das Foto und erhöhte den Kontrast. Die Farbbalance veränderte ich auch, wobei ich jeweils die Rotwerte in den Highlights und die Blauwerte im Schattenbereich erhöhte. Die Sättigung habe ich dann wiederum ein wenig verringert und fertig war das Bild.

Unter vielen Fotos, die ich auf Flickr habe ist dieses wahrscheinlich das beste. Für mich ist es das auf jeden Fall, vor allem wegen der Erinnerungen, die ich mit diesem Bild verbinde. Kurz vor Silvester ist es immer schön gute Vorsätze für das nächste Jahr zu haben. Was das Fotografierern angeht, habe ich auf jeden Fall den Willen mehr solche „menschliche“ Aufnahmen machen zu dürfen (mittlerweile ist es nach Silveser, wir haben die Passage aber dringelassen – d. R.)

Nachdem ich das Foto auch auf Papier hatte, habe ich es per Post verschickt. Eine Woche später bekam ich eine Antwort von dem nicht mehr Unbekannten. Er hat sich sehr über die Aufnahmes gefreut. Ich mich auch.

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