Portrait eines Unbekannten
Menschen – wir sind nach unserem Wesen nach ziemlich gleich, nach Fähigkeiten, Aussehen und Charakter jedoch unterschiedlich. Das ist es, was mich bei dem Fotografieren von Menschen fasziniert – die Einzigartigkeit von jedem von uns.
Seit einigen Monaten habe ich begonnen, Menschen in der Straße zu fotografieren, teilweise inspiriert von hervorragenden Fotos auf Flickr. Dabei entstanden viele „candid“ Aufnahmen von Passanten. Hier würde ich gerne ein Bild vorstellen, das ausnahmsweise ein „normales“ Portrait darstellt, jedoch ein Portrait von einem Unbekannten.
An dem Tag als dieses Bild entstand, habe ich mich sehr gefreut, endlich mal wieder auf die Straße zu gehen und ein paar Bilder von interessanten Menschen zu schießen. Ich habe meine Freundin nach Heidelberg begleitet und hatte den ganzen Tag für mich, also fürs Fotografieren.
Als Street-Fotograf finde ich es immer aufregend, in einer unbekannten Stadt zu sein. Nach einigen Stunden wollte ich endlich mal eine Pause anlegen und machte noch einige Fotos von spielenden Spatzen.
Plötzlich hörte ich eine Stimme hinter mir: „Mach mal ein Foto von mir!“.
Überrascht drehte ich mich um und sah einen Mann mit einem großen Bart und einem Lederhut. Was ich noch interessanter fand waren seine Sonnenbrillen, an dem Tag war es ja bewölkt und stürmisch. Natürlich wollte ich ein Foto von ihm machen. Die Tatsache aber, dass er mich angesprochen hat und nicht ich ihn, hat mich überrascht und ich konnte anfags nur noch zögerlich einwilligen.
Schnell wechselte ich das Objektiv auf meine treue 5D, er setzte sich auf eine Treppe und ich schoß drei Bilder. Dabei habe ich die Blende des Canon 50mm f1.4 auf 1.8 eingestellt, um mehr Details in den Augen und dem Bart zu bekommen. Ich wußte sofot, dass die Aufnahmen gut geworden sind. Es hat einfach alles gepasst.
Das Licht fiel weich auf das Gesicht des Unbekannten und viele Anweisungen brauchte ich auch nicht zu machen. Der Mann hat von sich aus auf einem der Fotos ein Auge geschlossen, sein anderes Auge blickte direkt in die Kamera. Ich habe ihm die Bilder gezeigt und versprochen einen Bild per E-Mail und ein Link zu meinem Flickr-Stream zu schicken. Er hatte aber keine Mail-Adresse, also fragte ich nach der Postanschrift.
Wir haben uns dann noch ein paar Minuten unterhalten, ich schilderte ihm warum ich in Heidelberg bin, er erzählte mir ein bisschen über sein Leben. Nach einer freundlichen Verabschiedung setzte ich meinen Spaziergang durch die feuchten Gassen der heidelberger Innenstadt fort.
Zu Hause eingetroffen war natürlich dieses Bild das erste, was ich bearbeiten wollte. Ich mag es, meinen Bildern einen Film-Look zu geben, zumindest von den Farben her. Deswegen setzte ich einen blau-grünen Filter über das Foto und erhöhte den Kontrast. Die Farbbalance veränderte ich auch, wobei ich jeweils die Rotwerte in den Highlights und die Blauwerte im Schattenbereich erhöhte. Die Sättigung habe ich dann wiederum ein wenig verringert und fertig war das Bild.
Unter vielen Fotos, die ich auf Flickr habe ist dieses wahrscheinlich das beste. Für mich ist es das auf jeden Fall, vor allem wegen der Erinnerungen, die ich mit diesem Bild verbinde. Kurz vor Silvester ist es immer schön gute Vorsätze für das nächste Jahr zu haben. Was das Fotografierern angeht, habe ich auf jeden Fall den Willen mehr solche „menschliche“ Aufnahmen machen zu dürfen (mittlerweile ist es nach Silveser, wir haben die Passage aber dringelassen – d. R.)
Nachdem ich das Foto auch auf Papier hatte, habe ich es per Post verschickt. Eine Woche später bekam ich eine Antwort von dem nicht mehr Unbekannten. Er hat sich sehr über die Aufnahmes gefreut. Ich mich auch.
Hallo Ivan, wow, herzlichen Dank für dieses wunderschöne Foto und diese zauberhafte Geschichte. Solche Begegnungen machen das Leben und Fotografieren doch echt einzigartig! Danke, dass du dieses Erlebnis geteilt hat. Motiviert! Viele Grüße, Tina
Hammer, sehr schönes Portrait!
Hatte ich auch schonmal gemacht
http://www.franziskusdomig.com/2010/09/22/cab-driver-in-salzburg/
und
http://www.franziskusdomig.com/2010/04/22/blowing-in-the-wind/
Da hätte ich gleich mal eine Frage zu der Street-Fotografie bzw. candid. Wie sieht es denn da mit den Rechten aus? Hast du von jeder Person auf den Bildern eine Freigabe? Oder benötigt man die da nicht?
Würde mich echt mal interessieren wie es da aussieht da ich mich im moment mit dem Thema beschäftige.
Gruß Sebastian
Ja, das habe ich mich auch beim Durchklicken des Flickr-Streams gefragt. Gerade bei den Freunden hier wird man stutzig.
http://www.flickr.com/photos/graveur/4857273673/
Lg
Das mit den Bildrechten würde mich auch sehr interessieren.
Tolles Bild!
cooole storry zu deinem bild hier !!!
ich würd auch gern sowas machen … mache auch gerne street bilder , aber ich hab mich bis jetzt noch nicht getraut einfach jemanden anzusprechen :D
wow, interessante geschichte, und noch interessantere aufnahme, kompliment!
lg,
günther
Danke für den sehr interessanten Beitrag. Ich finde Menschen auch immer sehr spannend. Leider traue ich mich nie die Leute anzusprechen. Deshalb frage ich mich, wie du es machst. Gehst du, nachdem du das Foto der Person/Personen ‚geschossen‘ hast, zu den Leuten hin und fragst nach Erlaubnis, es veröffentlichen zu dürfen(z.B. auf deinem flickr-Stream)? Wenn ja, machst du das schriftlich? Wie ist dann die Resonanz der Leute?
Rheinländische Grüße,
Marcel
Das ist ein tolles Bild, so wie viele andere auf Deinem Flickr-Stream auch!
Vorallem die Geschichte dahinter gefällt mir und dass Du Deine bearbeitung erklärt hast, finde ich als „noch Lernender“ sehr hilfreich!
Viele Deiner Bilder sehen aus wie im Vorbeigehen fotografiert. Ist das wirklich so und fragst Du die Leute dann im Nachinein, ob Du das Bild veröffentlichen darfst?
Oder sind sie doch gestellt?
Hallo zusammen,
Danke für die positiven Kommentare!
@Sebastian, Marcel: Ich mache vielen von den „Candid“-Aufnahmen mit einem 200mm Objektiv auf der Canon 5D. Deswegen ist es oft so, dass bei der Aufnahme selbst, die Menschen gar nicht wissen, dass sie fotografiert werden. Danach spreche ich sie nicht an, versuche aber entweder mit Gesten oder einfach indem ich mich „zeige“ klar zu machen, dass ich ein Bild gemacht habe. Wenn ich einen negativen Blick erkenne oder sehe, dass die Menschen grundsätzlich nicht mögen fotografiert zu werden, lösche ich das Bild auch wenn ich nicht danach gefragt werde. Bei den vielen Bildern, die ich mit dem 50mm Objektiv gemacht habe, ist es natürlich so, dass die Leute immer wissen, dass sie fotografiert werden, weil man ziemlich nah „dran“ ist…
Hallo Ivan,
erstmal: echt coole Fotos. Respekt!
Jetzt zu dem Rechtlichen:
Das heißt du riskierst es, dass du eventuell auf Schadensersatz verklagt werden könntest, falls jemand (der keine böse Geste oder Mimik gezeigt hat) sein Bild auf deinem Flickr-Stream findet?
Oder sehe ich da viel zu schwarz? Das Recht auf das eigene Bild sagt dies doch aus oder?
Mich interessiert die Frage schon lange und ich habe noch keine wirkliche Antwort auf die Problematik gefunden, außer der „Nummer-Sicher“: Jeden einen „Vertrag“ unterschreiben lassen…
Vielen Dank
Klasse Foto :)
Der Point.
Super Portrait und vor allem eine schöne Hintergrundstory …
Super Beitrag!
Das Rechtliche würdemich auch interessieren.
Sehr interessanter Mensch und klasse Foto. Das mit den Rechten bei Candid und Streetfotografie in Deutschland würde mich auch interessieren. Wie handhabst du das?
LG,
Philipp
Hallo,
Man muss beim Fotografieren das allgemeine Perfönlichkeitsrecht der abgebildeten Personen beachten. Wie ich schon in meinem vorherigen Kommentar geschrieben habe, versuche ich immer bei der Aufnahme selbst mindestens ein konkludentes Einverständnis von den Menschen zu erhalten, indem ich mich bemerkbar mache.
Der nächste Schritt ist das Veröffentlichen des Fotos. Grundsätzlich ist es so, dass nach dem Kunsturhebergesetz man Bilder von Menschen nur mit deren Einwilligung veröffentlichen kann (§22,23). Ausnahmen sind natürlich im Gesetz enthalten, so z.B. wenn es um Demonstrationen oder Aufzügen geht oder das Bild einem höheren Interesse der Kunst dient. Insbesondere dieser letzte Punkt ist bei Candid-Aufnahmen wichtig: man muss die Bilder nicht vermarkten oder einen wirtschaftlichen Nutzen daraus ziehen wollen, die Verbreitung muss nur Zwecken der Kunst dienen. Und natürlich, das Bild selbst muss als „Kunst“ bezeichnet werden können, also bestimmten Mindestvoraussetzungen erfüllen. Um auf keinen Fall das allgemeine Persönlichkeitsrecht von dem Abgebildeten zu verletzen, ist es deshalb ratsam nach Erlaubnis zu fragen – dann ist man auf der sicheren Seite…
VG,
Ivan
(viele Infos zu dem Thema Fotografie und Recht gibt es im Buch von Alexander Koch „Handbuch zum Fotorecht“)
Ein Klasse Portrait! Die nette Geschichte drumrum trifft den Nagel auf den Kopf…auch ich liebe das Genre Street, gerade wegen der Unplanbarkeit.
Hallo Ivan,
finde auch, dass du da ein richtig klasse Foto gemacht hast und den Beitrag finde ich auch gut. Aber eine Frage hab ich: Einleitend schreibst du, Menschen seien vom Wesen her gleich, aber von Charakteren her unterschiedlich. Sind Wesen und Charakter nicht das gleiche? In meinem Verständnis schon, daher würde mich mal interessieren, worin du den Unterschied siehst.
Viele Grüße,
Marlis
Hallo Marlis,
Es freut mich sehr, dass dir das Foto gefällt.
Ich finde, dass es zwischen Wesen und Charakter schon einen Unterschied gibt. Für mich ist Wesen eine Kombination von Merkmalen, die für eine bestimmte Art von Dingen typisch ist. Sollte eine dieser Eigenschaften fehlen, würde dieses Ding nicht mehr zu der Gattung gehören, zu der es gehören würde, wenn es diese Eigenschaft hätte. Der Charakter dagegen ist etwas einzigartiges, etwas, was bei jedem Menschen unterschiedlich sein kann. Er gehört für mich nicht zu dem Kern des Menschlichen, sondern ist eher eine Ausprägung unserer Individualität…
Viele Grüße,
Ivan
So stelle ich mir NEo mit 70 Jahren vor ;-)
Mir gefällt die Aufnahme auch und die GEschichte verstärkt das Wohlgefallen. Dennoch gefallen mir viele andere Bilder auf Deinem flickr stream (den ich erst heute durch den Artikel entdeckt habe) noch besser.
Eine geniale Geschichte und ein Portrait der Spitzenklasse dazu!!! Es ist einfach immer wieder spannend was wir Fotografen draußen erleben, wenn wir uns mit der Kamera in eine neue Umgebung wagen. Ich kann sehr gut nachvollziehen warum Dich mit diesem Bild viel verbindet.
Spannendes kann man erleben, man muss ihm nur begegnen und das geschieht bekanntlich nicht daheim… ;-)
Viele Grüße
Sascha
Wow!!!
Vielen Dank für die spannende Hintergrundstory zu diesem herausragenden Bild!
Gruß
Walter
Vielen Dank für die netten Kommentare!
Hallo Ivan,
das ist einfach eine wunderschön erzählte Geschichte und ein erstklassiges Foto!
Ich beneide Dich, denn ich würde auch so gerne mal meine Scheu überwinden und unbekannte Menschen auf der Strasse ansprechen und porträtieren. Aber mir fehlt der Mut, diesen Schritt das erste Mal zu machen.
Erzähl uns doch ein bisschen, wie dieses erste Mal bei Dir war. Hat es für Dich auch Überwindung gekostet oder wie hat sich das ergeben? Und wie ist es heute? Oder hattest Du diese Scheu nie?
Danke und Gruss
Mitchy
Tolle Geschichte – Tolles Bild Ich hatte einmal eine
ähnliche Geschichte mit einem Grenzbeamten in Zambia. Dieser hat
mich angesprochen und mich gebittet doch Bilder von Ihm zu machen.
.Voller Freude ist er vor seinem Schlagbaum hin und her gehambelt
und hat sich schön in Szene gestellt. Die Bilder hab ich direkt an
seine Township Adresse geschickt. Ob jemals ein Bild angekommen ist
weiß ich leider nicht ;-) Gurß und weiter so. Martin