Auf der Straße zwischen Film und Sensor
Als ich angefragt wurde, ob ich meine Bilder bei kwerfeldein vorstellen möchte, war ich sehr erfreut. Gleichzeitig war ich jedoch auch verunsichert. Sind doch die Fotos, die Ihr hier seht, noch aus der Zeit, in der ich glaubte, dass sich meine mir selbst gesetzten Standards niemals ändern würden. Die Fotos sind aus meiner analogen Zeit und als Würdigung an meine geliebte Contax T2 zu verstehen.
Der Auslöser meines Interesses für die Fotografie ist mir nicht mehr bekannt, doch als ich mit 21 Jahren meine erste Digitalkamera bekam, hat sich meine Leidenschaft für die Fotografie gesteigert und hält unvermindert an.
Zwei Jahre durchschritt ich mit meiner Digitalkamera sämtliche fotografische Sphären von Schwarzweiß- über Makro- zu HDR-Aufnahmen, bis ich mich entschloss, mir eine kleine kompakte Contax T2 mit 35 mm Brennweite zuzulegen, um Momente meines Alltags festzuhalten.
So entdeckte ich die analoge Fotografie für mich und war sofort fasziniert vom dynamischen Farbumfang, dem Korn, der Schärfe sowie Unschärfe und der Ästhetik, die diese analogen Bilder mit sich brachten.
Jedes belichtete Bild war schon beim Auslösen etwas sehr Besonderes und löste beim Betrachten einen nostalgischen Effekt in mir aus. Auch wenn jedes der Fotos einen eigenen Farbstich hatte, gab dieser den Bildern Charakter und eine Farbästhetik, die mich fesselte.
Vor allem gefiel mir der komplette Arbeitsprozess des analogen Fotografierens sehr gut. Vom entschleunigten Fotografieren übers Entwickeln bis zum Einscannen.
Jedes Mal, wenn ich einen fertig entwickelten Film abholte, war es so, als ob ich mich mit meinen eigenen Erinnerungen, gebannt als Bild auf Papier, überraschte und belohnte. Auch, weil oftmals Wochen, wenn nicht Monate, zwischen dem Fotografieren und dem Entwickeln lagen.
Digital fotografierte ich kaum noch und wenn, dann nur noch für eine Fotostrecke, für die ich später Photoshop benutzte, um die Bilder dem Konzept anzupassen. Dieser Prozess wurde mir mehr und mehr ein Dorn im Auge und ich konnte immer weniger mit der digitalen Fotografie anfangen.
Mir kam es vor, als wären meine digitalen Bilder im Rohzustand charakterlos und langweilig. Erst Photoshop schaffte es, ihnen mit Hilfe von Filtern und erhöhten Kontrasten Leben einzuhauchen. Und genau diese Vorgehensweise habe ich zu diesem Zeitpunkt als „nicht echt“ empfunden. Heute sehe ich das durchaus anders.
Meine analogen Bilder hingegen waren nicht perfekt. Öfter als gewollt waren sie unscharf, hatten Fussel auf den Negativstreifen und waren mit extremen Farbstichen versehen.
Doch gerade diese Unperfektheit löste in mir eine starke Sympathie für die Bilder aus. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass ein Zusammenhang besteht zwischen Familienbildern von früher, die alle analog sind, und dem Gefühl, das ich bekam, als ich meine selbstgeschossenen, analogen Bilder betrachtete.
Kurz gesagt: Die analoge Fotografie war für mich die einzig wahre. Diese Haltung behielt ich fünf Jahre lang bei, bis ich nach und nach merkte, dass die sogenannte entschleunigte Fotografie mein eigenes Fotografier-Verhalten veränderte, verringerte und beinahe fast völlig zum Erliegen brachte. Eine Sinnkrise bezüglich der Fotografie stand kurz bevor.
Doch als ich mir dann vor etwa einem Jahr die Bilder der Straßenfotografen Matt Stuart, Alex Webb, Pau Buscato und anderen anschaute, war ich sehr verblüfft über ihre Ansichten auf die Welt.
Nicht nur verblüfft, sondern sogar komplett neu inspiriert und vor allem motiviert. Diese Fotografen, die es schafften, die absurden Alltäglichkeiten in einer derart humoristischen Einfachheit darzustellen, gaben mir einen gewaltigen Schub in Richtung Straßenfotografie.
Jedoch hatte ich nach wie vor das Problem, dass ich wegen des entschleunigten Prozess des Analogen kaum noch Lust hatte, auf diese Art und Weise zu fotografieren.
Also beschloss ich, dass es höchste Zeit für eine Veränderung war und ich der digitalen Fotografie eine neue Chance geben wollte. In dieser Zeit kam mir auch der Spruch unter: „Nicht die Kamera macht das Bild, sondern der Fotograf.“
Ich verkaufte mein gesamtes analoges Equipment, um mir eine kleine handliche Ricoh GR* zu besorgen. Für die Straßenfotografie ist sie perfekt geeignet, unauffällig und leise, so dass ich mir auch heute noch vorkomme wie ein Tourist, der mit seiner kleinen „Knipse“ durch die Stadt läuft und unbemerkt fotografiert, was seinem Auge gefällt.
Dadurch, dass ich die Bilder noch am gleichen Tag betrachten konnte und ich somit sofort Fehler fand, wurden die eigenen Bilder zur enormen Motivation, diese wiederum am nächsten Tag zu übertrumpfen. Der Zufall musste es nur gut mit mir meinen. Und das ist das Schöne an der Straßenfotografie: Hinter jeder Ecke kann genau das Bild warten, von dem ich nicht wusste, dass ich es gesucht habe.
Generell versuche ich dabei, auf die alltäglichen Banalitäten des Lebens zu achten. Dabei sind Humor und Extreme beiläufige und stets wiederkehrende Elemente.
Meine analoge Bilder zeigen die Momente meines damaligen persönlichen Alltags, die digitalen Bilder den Alltag meiner Mitmenschen.
So wie ich mich als Mensch über die Jahre verändert habe, so hat sich auch meine Sicht auf die Fotografie verändert und wird sich bestimmt auch weiterhin verändern. In diesem fortlaufenden Prozess werde ich jedoch immer eine Kamera dabei haben, um diesen für mich und Interessierte zu dokumentieren – analog oder digital.
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