#Mamawowarstdu – Für mehr Sichtbarkeit von Müttern und Sorgepersonen
Bist Du Mutter oder eine Sorgeperson, die hauptsächlich für private Fürsorgearbeit (Care-Arbeit) zuständig ist? Hast Du eigentlich schon einmal darüber nachgedacht, wie oft Du auf Bildern zu sehen bist? Als mich damals mein Kind nach dem Urlaub fragte, ob ich denn überhaupt dabei gewesen war, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich war auf beinahe keinem der Urlaubsbilder und -videos zu sehen.
Für meine Kinder war ich nicht dabei gewesen. Ich blätterte die Alben der letzten Jahre durch und fing an zu zählen, wie oft ich eigentlich auf Bildern zu sehen war. Damit meine ich nicht ritualisierte Bilder wie etwa Gruppenbilder zu Weihnachten oder auf Hochzeiten. Ich meine Bilder aus dem Alltag. Aus dem Leben. Ich fand nur eine Handvoll.
Vor allem die Zeit der Schwangerschaften und des Wochenbetts wurde fast gar nicht dokumentiert. Ich spielte mitunter die Hauptrolle, war aber selten zu sehen. Kleine Fingerchen, Füßchen, Babygesichter, mit Oma, Opa, Cousinen und Tanten. Beim ersten Baden, beim ersten Brei, bei allen ersten Malen.
Aber kein einziges Bild von mir. Von meinem ersten Malen. Mit Dir. Kein Bild, das mich im Alltag zeigte. Bilder, wie ich versuchte, Dich zu stillen, wie es war, als wir aus dem Krankenhaus kamen und ich auf dem Sofa vor Erschöpfung einfach einschlief. Wie ich Dir vorgelesen habe und mit Dir stundenlang Baustellen beobachtete.
Es gibt keine Bilder davon. Keinem fiel es auf. Mit dieser traurigen Erkenntnis schrieb ich einen Beitrag auf Instagram. Noch nie habe ich so viele Nachrichten zu einem Thema bekommen.
Unsichtbare Mütter
Ich möchte der Frage nach der Unsichtbarkeit von Müttern im Familienalbum ernsthaft nachgehen. Ist es nur mein Gefühl, ein kleines Randphänomen oder wirklich eine gesellschaftlich relevante Lücke?
In meiner ersten willkürlichen Onlinerecherche finde ich zum Thema einen Artikel von Lauren Collins im New Yorker.
Bei der weiteren Suche stoße ich auf Laura Larsons Buch „Hidden Mothers“. „Unsichtbare Mütter“ gab es schon vor unserer Zeit. Im 19. Jahrhundert. Anders als wir es heute vielleicht interpretieren würden aber ebenfalls unsichtbar. Versteckt. Hinter Vorhängen und als Möbelstück umfunktioniert hielten diese Mütter ihre Babys. Für ein Bild.
Die relativ langen Belichtungszeiten der damaligen fotografischen Technologie forderten ein Stillleben oder ein Auskratzen oder Auslöschen der Mutter in der Postproduktion. Die Mütter sind essentiell für das Entstehen der Bilder, aber ihr Erscheinen ist es nicht. „Nie beabsichtigt, gesehen zu werden, verfolgt ihre Anwesenheit dennoch diese Bilder.“ Fast schon unheimlich und furchteinflößend ihre Rolle im Hintergrund. Es gibt wohl keine bessere Metapher für die Unsichtbarkeit von Pflegearbeit.
So ist es auch heute noch: Mütter und Sorgepersonen sind gar nicht auf den Fotos oder zumindest viel zu selten darauf zu sehen, obwohl sie in der Mehrheit immer noch diejenigen sind, die die meiste Pflegearbeit leisten. Die paradoxerweise auch für das Erinnern zuständig sind. Es liegt in der „Natur“ der Sache, dass sie sich selbst dabei vergessen, während sie hinter der Kamera stehen. Es ist die logische Konsequenz unserer Gesellschaft, dass Mütter alles tun und dabei im Hintergrund bleiben. Das ist kein Einzelphänomen, sondern strukturell begründet. Ein „Mütter-Foto-Gap“ sozusagen.
„Mütter-Foto-Gap“
Fotografie hat immer etwas mit Gesellschaft zu tun. Mütter bzw. Sorgepersonen sind in unserer Gesellschaft immer noch in der Mehrheit für die Pflegearbeit verantwortlich. Dazu gehört auch, sich um den ganzen Erinnerungs-Mental-Load zu kümmern und Erinnerungen für die Familie zu sammeln. Jahresbücher zu gestalten, Tagebücher zu schreiben, zu fotografieren, zu basteln, zu kleben, zu schneiden.
In der Mehrheit sind es auch meist die Mütter, die sich professionelle Fotoaufnahmen wünschen und (in heterosexuellen Beziehungen) gleichzeitig wiederum meist die Väter, die über Familienkassen entscheiden und kein Geld für diesen „Luxus“ ausgeben möchten. Den Wert nicht sehen (Habitus). Familien, die schlichtweg das Geld dafür nicht haben. Meist wird die Sehnsucht nach Bildern mit einem Augenrollen abgetan. Überhaupt – ein Leben zu haben, das man festhalten, das man sehen und zeigen möchte.
Mit Fotografien werden Familiengeschichten erzählt, die über Generationen weitergegeben werden und in Biografien übergehen. Wenn dabei Personen einfach immer fehlen, ist das ein Problem! Dabei meine ich nicht die etlichen Selfies, die wir alle auf dem Handy haben oder ritualisierte Bilder, die oft in Form von Gruppenfotos an Weihnachten, zu Geburtstagen oder sonstigen Feierlichkeiten entstehen.
Ich meine diese Bilder aus dem Alltag. Im Sandkasten, im Bett, beim Vorlesen, beim Anziehen und Kuscheln. Diese Bilder von Pflegearbeit, von Liebe, Freude, Trauer, Wut – all das, was Mutter- und Elternschaft eben ausmacht. Es muss Menschen um einen herum geben, die die Sehnsucht hinter diesen Bildern verstehen. Die Bilder auch mal in ungestellten Momenten machen. Die verstehen, welchen Wert diese Bilder für die Person und die Familie haben. Haben werden.
Darüber hinaus wird FLINTA* und insbesondere Müttern immer wieder erzählt, sie sollen sich im Hintergrund halten – „alles für das Kind“ lautet die Devise. Das hat auch viel mit weiblicher (gelesener) Sozialisation zu tun. Sich daraus zu emanzipieren ist Arbeit und erfordert viele Kapazitäten, die nicht jeder Mensch hat.
Noch vor ein paar Jahren hatte ich selbst den Glaubenssatz, dass ich es nicht wert genug bin, Fotos von mir selbst zu haben. Ich fand mich nicht schön in diesem neuen Körper und fand mich nicht zurecht in dieser neuen Rolle. Zudem dachte ich, es wäre eitel und peinlich, mich selbst zu fotografieren oder andere Menschen darum zu bitten. Dadurch sind mir viele wichtige Bilder und auch Erinnerungen verlorengegangen.
Es hat lange gedauert, bis ich den Wert hinter den Bildern verstanden habe. Dass ich es wert bin, dass es eben nicht um die anderen geht, sondern um mich. Mich zu sehen. Gesehen zu werden. Ein Mutter-Foto-Gap? Ja, meiner Meinung nach gibt es den und er bestätigt nur die Diskriminierung auf vielen weiteren Ebenen. Die Unsichtbarkeit von Müttern und Sorgepersonen ist allgemein ein großes Problem in der Kunst. Mütter verschwinden, wenn es um künstlerische und kreative Prozesse geht. Die Journalistin Mareice Kaiser bringt es in ihrem Buch „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ gut auf den Punkt:
Kunst ist Luxus, wenn man Mutter ist. Sich das überhaupt erlauben: Dinge zu tun, die auf den ersten Blick keinen kapitalistischen und kümmernden Sinn haben. Auf den zweiten Blick auch nicht. Zeit ist Luxus.
Ich versuche langsam diese Lücke zu schliessen. Aber das ist ein großes Privileg, dass nicht jeder Mutter bzw. Sorgeperson zu Teil wird. Das weiss ich.
Ich habe gemerkt, wie sehr ich diese Bilder brauche. Ich brauche sie, um zu sehen, was in unserer Familie eigentlich passiert ist. Mit mir, mit uns als Paar, mit uns als Familie und um uns herum. Um sowohl schöne als auch schmerzhafte Erinnerungen zu verarbeiten. Um Erkenntnisse zu sammeln und reflektieren zu können. Denn diese Bilder haben etwas Heilsames für mich. Seitdem ich diese Bilder von mir habe, geht es mir besser, fühle ich mich besser. Zum einen, weil ich mich sehe und gesehen fühle, zum anderen, weil ich mir Zeit nehme, selbst auch Fotos von mir zu machen. Fernab medialer Ideale und süßer Kinderfüßchen. Diese Selbstportraits sind meine Sprache geworden. Meine Flucht.
Sich selbst auszuhalten auf Bildern, die eigenen Erinnerungen und Reflektionen darüber als etwas Heilsames zu empfinden, sich selbst mal in den Mittelpunkt zu stellen, Raum und Zeit nur für sich zu haben, das ist ein großes Privileg als Mutter. Und das sollte es einfach nicht sein. Für niemanden!
Entstehung einer Challenge
Aus diesen Überlegungen heraus entstand vor knapp anderthalb Jahren die Idee zur Challenge #Mamawowarstdu, in der ich Mütter oder Sorgepersonen dazu auffordere, Fotos von sich zu machen oder auch machen zu lassen. Sich in den Fokus zu rücken, Raum und Zeit einzunehmen, um über das eigene Leben, den eigenen Körper, die eigene neue Rolle nachzudenken.
Die Challenge entwickelte sich weiter und bekam mit Liza einen weiteren Fokus: Texte. Texte und Fotos nur von und für sich zu haben, hatte irgendwie etwas Revolutionäres. Denn es geht schlussendlich nicht nur um ein Foto und ein paar Gedanken. Sondern um so viel mehr.