25.000 km durch Deutschland während der Pandemie
Als sich COVID-19 Anfang 2020 schnell rund um den Globus ausbreitete, begann der Fotograf Ingmar Björn Nolting damit, den neuen Alltag zu dokumentieren. Er reiste durch Deutschland und fotografierte an den plötzlich geschlossenen Grenzen, in den Krankenhäusern, aber auch in Hinterhöfen. In seinem ganz eigenen Bildstil machte er das Gefühl der Distanz spürbar. Nun erscheint ein Buch des Projekts.
Ich habe anlässlich des Crowdfundings mit Ingmar über seine Serie gesprochen und darüber, warum das Projekt als Buch erscheint, obwohl die Bilder schon im Time Magazine und Der Zeit zu sehen waren.
Deine Bilder über die Pandemie in Deutschland wurden bereits vielfach veröffentlicht, ausgestellt und ausgezeichnet. Warum ist Dir ein Buch dazu noch wichtig?
Manchmal habe ich das Gefühl, dass diese Veröffentlichungen in Magazinen und Zeitungen eine sehr schnelllebige Geschichte sind. Sie sind vielleicht eine Woche zu sehen, manchmal auch nur einen Tag lang. Zudem wird immer nur ein kleiner Ausschnitt der ganzen Arbeit gezeigt.
Als das Projekt das erste Mal veröffentlicht wurde, war ich noch unterwegs für das Projekt. Das war während des ersten Lockdowns. Damit wurden die Bilder in eine ganz bestimmte Zeit hinein veröffentlicht. Seitdem hat sich unser Umgang mit der Pandemie und wie wir diese Bilder sehen, verändert. Auch mein Blick auf die Bilder hat sich im Laufe der Pandemie verändert und ich fand es wichtig, sie deshalb noch einmal als großes Projekt gesammelt zu zeigen. Vor allem auch einmal ohne zwischengeschaltete Publikationen oder Kurator*innen.
Das Buch nimmt das Projekt aus dieser Schnelllebigkeit heraus. Für mich ist es ein persönliches Dokument dieser historisch wahrscheinlich sehr relevanten Zeit.
Inwiefern unterscheidet sich Deine Bildauswahl von der bisheriger Veröffentlichungen in Magazinen?
Magazine neigen dazu, eine sehr ähnliche Auswahl zu treffen. Es geht dabei um gewisse Schlüsselbilder, die gut als Aufmacher oder auf Doppelseiten funktionieren.
Stimmt. Das Bild der Liebespaare an der Grenze habe ich zum Beispiel fast immer gesehen.
Genau. Oder der improvisierte Gottesdienst auf dem Parkplatz. Es sind so fünf bis sechs Bilder, die immer wieder gezeigt wurden, wenn es um das Projekt ging. Für mich sind aber auch andere Bilder sehr wichtig, wenn man das Projekt als Ganzes betrachtet. Sie sind nicht so bildgewaltig, aber genauso wichtig.
Ein Fotoessay ist für mich mehr als die Summe der Einzelbilder oder gar die stärksten Bilder zusammengenommen. Es geht dabei auch viel um den Ablauf der Bilder, welches Bild auf welches folgt, wie sie sich ergänzen, was zwischen den Bildern entsteht.
Das heißt, Du hast komplett selbst kuratiert oder hast Du Dir dabei auch Hilfe geholt?
Um alles zu sortieren, habe ich mit Wolfgang Zurborn eine erste Auswahl gemacht. Davon ausgehend habe ich dann in Kooperation mit meinem Kollektiv und der Designerin das finale Buch zusammengestellt.
Die Pandemie ist nicht vorbei. Ist Deine Serie mit dem Buch dennoch abgeschlossen?
Ja, das Projekt ist abgeschlossen, denn für mich ging es darin viel um den gesellschaftlichen Umgang mit Ausnahmesituationen. Darum, wie sich die Menschen oder auch ich mich selbst und die Leute, die mir nahe stehen, in diese Situation integrieren. Wie sie versuchen, damit umzugehen. Dieser Aspekt war irgendwann nicht mehr so wichtig, weil wir mittlerweile einen normalen Umgang mit der Pandemie gefunden haben. Ich hatte das Gefühl, dass ich fertig bin mit dem Thema.
Während Du zu Beginn der Pandemie den neuen Alltag festgehalten hast, der für die meisten Menschen von Isolation und Stillstand geprägt war, hast Du durch das Fotografieren das Gegenteil gelebt und wahrscheinlich mehr Orte und Menschen besucht, als zuvor im Leben. Was hat dieser Widerspruch für Deine Arbeit bedeutet?
Für mich war das Projekt eine Reaktion auf ein Gefühl. Als Fotograf war es mir immer wichtig, rauszugehen, mit Menschen zu sprechen, Geschichten zu fotografieren und einfach in Kontakt zu sein. Dieser Sinn kam durch die Pandemie abhanden und es hat sich irgendwie leer angefühlt. Nach der ersten Rede von Merkel habe ich mich wieder daran erinnert, was der Wert meiner Arbeit ist und dass es gerade jetzt wichtig ist, rauszugehen. Ich habe dann nach einer Form gesucht, wie ich trotz dieser ganzen Vorschriften sicher arbeiten kann.
Natürlich hat sich meine Zeit im Lockdown dann komplett anders gestaltet, als die der Menschen um mich herum. Ich habe viel in meinem persönlichen Umfeld fotografiert, mich mit Freund*innen und Bekannten ausgetauscht. Viele dieser kleinen Geschichten sind auch im Buch gelandet.
Deine Oma sieht man zum Beispiel auf einem der Bilder, oder?
Ja, genau. Auch meinen Vater Mitbewohner, meine Cousine, meine Tante und Bruder habe ich fotografiert oder den Strand, an dem ich früher immer Urlaub gemacht habe.
Deine Serie gibt einen Einblick in die Zeit der Pandemie in Deutschland. Sie wurde aber auch schon weltweit ausgestellt und Dein Buch trägt einen englischen Titel. Inwiefern spiegeln diese Bilder aus Deutschland die globale Pandemie wider?
Ich denke, dass die Bilder über den Kontext Deutschlands hinaus mitnehmen können und ein Gefühl beschreiben, von dem ich behaupten würde, dass es zumindest in der westlichen Welt nicht sehr verschieden war, trotz des zum Teil unterschiedlichen politischen Umgangs mit der Situation.
Du hast das vermutlich schon oft gehört, aber Deine Bilder wirken wie Szenen auf einer Bühne. Wie schaffst Du das?
Meine Bildsprache ist relativ distanziert und hat tatsächlich gut zu dem Thema gepasst, in dem es ja wirklich viel darum ging, Abstand zu halten. Mich interessieren diese bühnenhaften Momente sehr, in denen es auch auf die kleinen Details ankommt.
Nehmen wir als Beispiel gern noch einmal das Grenzbild und wie da am Rand die Motorradhelme auf dem Boden liegen. Das ist ein Detail, bei dem man sich vielleicht selbst an die Zeit erinnert, als man noch jung war und gerade den Motorradführerschein gemacht hatte und damit zur ersten Freundin gefahren ist. Solche Details, die über die Pandemie hinausgehen, finde ich spannend. Solche distanzierten Szenen sind manchmal auch einfach offener für Interpretation.
Ich habe in den Bildern aber natürlich nichts inszeniert. Es sind Reportagefotos, da greift man nicht ein. Ich habe nur versucht, möglichst präzise zu fotografieren.
Du hast die Arbeit direkt im Anschluss an Dein Studium begonnen. Wie viel Druck spürst Du nach so großer Anerkennung für Deine nächsten Projekte?
Das hat noch nie jemand gefragt, aber es ist auf jeden Fall etwas, womit ich mich beschäftige. Ich spüre auf jeden Fall einen Druck, aber der ist nicht größer als der, den ich mir sowieso immer mache. Ich habe einen sehr hohen Anspruch an meine Arbeit. Mein Bachelorprojekt war bereits recht ambitioniert und ich denke, ich habe es ganz gut geschafft, mit den Geschichten über die Flut und die Ukraine daran anzuknüpfen.
Im Crowdfunding zum Buch bietest Du auch Drucke an. Vielleicht ist es eine naive Frage, aber wer hängt sich Bilder einer Pandemie ins Wohnzimmer?
Ich kenne tatsächlich Leute, die meine Bilder aufgehängt haben und möchte mir kein Urteil darüber erlauben. Ich wollte einfach noch etwas zusätzlich zum Buch auf Kickstarter anbieten.
Vielen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Dir auf jeden Fall ganz viel Erfolg für das Buch. Und vielleicht dient der Verkauf der Drucke ja auch als ideelle Unterstützung für dieses großartige und wichtige Projekt.
Informationen zum Buch
„About the Days ahead“ von Ingmar Björn Nolting
Bindung: Hardcover mit Schweizer Broschur
Seiten: 132 mit 58 großformatigen Farbfotografien
Maße: 30 x 22,3 cm
Sprache: Deutsch und Englisch
Verlag: Kettler
Preis: 38 € (Vorzugspreis im Crowdfunding)