30. Mai 2022 Lesezeit: ~4 Minuten

Manchmal ist der Himmel über uns offen.

Meine Mutter ist auf einem kleinen Aussiedlerhof in Süddeutschland aufgewachsen. Seit mehreren Generationen besteht die Bauerndynastie ihrer Familie. In den sechziger Jahren wurde der landwirtschaftliche Betrieb vom Dorfkern ausgelagert und in der Umgebung von ihren Eltern neu aufgebaut.

Sie und ihre fünf Geschwister wurden von Anfang an stark eingebunden, da er aufgrund der geringen Größe umso intensiver bewirtschaftet werden musste, um rentabel zu bleiben. Es war die letzte Generation, in der der Hof noch erfolgreich betrieben wurde.

Mein Projekt „Manchmal ist der Himmel über uns offen.“ sucht die Auseinandersetzung mit dem Begriff Heimat. Ich begleite innerhalb der Arbeit die Rückkehr meiner Mutter an den Ort ihres Aufwachsens. Die Serie ist im Rahmen der Abschlussarbeit meines Studiums der Fotografie entstanden. Ich habe mich in dessen Verlauf häufig mit meiner Familie und dem Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart beschäftigt.

Frau mit zwei landwirtschaftlichen GerätenLeiter an einem Baum

Die Entscheidung für das Projekt war intuitiv, aber ich denke, ich habe es gemacht, um mehr über meine Mutter und ihr Leben vor mir zu erfahren. Ihre Kindheit erschien mir immer so weit weg und anders gegenüber meinem eigenen Leben.

Das Fotografieren habe ich als offenen Prozess betrachtet, weswegen es vorher keine konkreten Vorstellungen oder Pläne gab. Ich wusste zwar ungefähr, was mich erwartet, da ich natürlich in meiner Kindheit dort oft zu Besuch gewesen bin, aber diesen Ort aus fotografischer Sicht zu betrachten, war nochmal eine ganz andere Erfahrung für mich.

Person hinter einem Vorhang

Ich wollte die Wechselwirkung zwischen Distanz und Nähe einfangen. Die Reise auf den Bauernhof kann einerseits als Retrospektive gesehen werden, andererseits aber auch als Aufnahme der Gegenwart und dem materiellen Verschwinden der Heimat meiner Mutter. Für sie ist es eine letzte Aufnahme des Ortes, an dem sie geboren und aufgewachsen ist. Da sich nach dem Projekt einiges verändert hat, ist es der letztmögliche Zeitpunkt gewesen, das bildlich festzuhalten, was noch davon übrig war.

Uns wurde deutlich, wie die physische Form ihrer Heimat immer weiter abnimmt. Die Frage, inwiefern diese trotzdem in einem weiter existieren wird, beschäftigte mich sehr während des Prozesses. Fragen, die auch auf mich irgendwann zukommen werden. Der Wandel des Blickes auf den Ort des Aufwachsens, der mit dem Älterwerden und räumlichen Abstand einhergeht, ist der Kern meiner Arbeit. Das Spannungsverhältnis zwischen Konstanz und Wandel soll durch die skulpturalen Inszenierungen offengelegt werden.

Treppe mit NesternPerson an iner Badewanne mit Handtuch vor dem Gesicht

Der Titel der Serie ist ein Zitat aus einem Brief von meiner Mutter an ihre Eltern, den wir dort zufällig im Schrank gefunden haben. In diesem gratuliert sie beiden zu ihrem Geburtstag im Jahr 1999:

Heute Abend habe ich dann in einem Bildband geblättert, der von der Bergpredigt handelt. Auf dem Titelblatt ist ein Sonnenuntergang, der aussieht, als wäre es überm Hardwäldle Richtung Sonnenberg. Der Titel des Buches ist „Manchmal ist der Himmel über uns offen“ – und da kam es mir ganz spontan in den Sinn – wie weit muss der Himmel wohl offen gewesen sein, als er Euch zusammengeführt hat?

Ich glaube sehr weit.

Hände im Gras

Mir geht es nicht um die genaue Bedeutung des Satzes, sondern eher darum, was eine jede Person für sich hineininterpretieren kann. Wie offen die Welt für einen jungen Mensch stehen kann, wenn man von seiner Heimat wegzieht oder auch nicht. Wie auch, dass die eigene Herkunft sowohl tragen als auch einengen kann. Was passiert, wenn man seine Heimat verlässt? Und wenn man zurückkehrt?

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