12. April 2022 Lesezeit: ~7 Minuten

Der Vergessene: Bilder von Fred Koch in Berlin

Der Dialog zwischen Natur und Kunst ist ein Thema von immerwährender Faszination – es scheint eine ewige Begeisterung für die Zeugnisse der Natur zu geben. Eine fotografische Position, die überaus bekannt ist, ist jene von Karl Blossfeldt. Sein 1928 erschienenes Buch „Urformen der Kunst“ ist heute ein veritabler Klassiker der Fotogeschichte.

Der gelernt Modelleur und Kunstgießer Blossfeldt fertigte seit der Jahrhundertwende Pflanzenfotografien als objektives Anschauungsmaterial für seine Schüler an der Unterrichtsanstalt des Königlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin an. Heute gilt er als einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts, als ein Avantgardist, der den dokumentarisch-vergleichenden Stil Bernd und Hilla Bechers entscheidend vorgeprägt hat.

Ein Fotograf, den man weniger, ja beinahe nicht kennt, ist Fred Koch. Der 1904 in Berneburg geborene und 1947 verstorbene Bildautor bewegte sich auf ähnlichem Terrain wie Blossfeldt. Seine Sachfotografie mäandert zwischen Wissenschaft und Kunst. Mehr noch: Diese Bilder von Kristallen, Mineralien, Pflanzen und Insekten zeigen gerade die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Natur und Kunst. So hat es der Kunsthistoriker Dr. Boris von Brauchitsch formuliert:

Die Grenzen zwischen Natur und Kunst sind plötzlich seltsam durchlässig. Das Spiel zwischen Opulenz und Reduktion wird in Fred Kochs Bildern weit getrieben und macht sie zu bemerkenswerten Studien eines neusachlichen Purismus.

Muschel

© Fred Koch; Nautilus pompilius, Schnitt durch das Gehäuse, undatiert, Abzug Freundeskreis Ernst Fuhrmann; Silbergelatineabzug, 18,5 x 13,5 cm; Courtesy Sammlung Dr. Hans Schön

Fred Kochs Werk ist jetzt in der Alfred Ehrhardt Stiftung in Berlin neu zu entdecken. Sei es die um 1929 entstandene Nahaufnahme einer Besenginsterblüte mit den Staubblättern, die einen Schatten auf die Innenfläche eines Blütenblatts werfen, seien es all die Pflanzenstängel, Blütenkelche und wunderbaren Kristalle, die Pusteblume mit ihren leuchtenden Schirmchen, eine geöffnete Erbsenschote mit Früchten, Eisblumen, Korallen oder Insekten: Es sind meisterhafte Bilder, die hier zu sehen sind.

Eine große Frage hinter dieser Ausstellung lautet: Warum wurde Fred Koch mit seinen Fotografien nicht so berühmt wie Blossfeldt? Wie Alfred Erhardt, Aenne Biermann oder Albert Renger-Patzsch? Warum ist er keine Ikone der Fotografie des 20. Jahrhunderts? Die Nähe mancher Motive zu den Bildern der Genannten ist frappierend – nur jene von Koch sind keinen Deut schlechter als die der Stars der neusachlichen Naturfotografie.

Zangen eines Hirschkäfers

© Fred Koch; Zangen des Hirschkäfers, undatiert; Abzug Freundeskreis Ernst Fuhrmann; Silbergelatineabzug,
21,8 x 16,1 cm; Courtesy Sammlung Dr. Hans Schön

Rochen

© Fred Koch; Rochen, Röntgenaufnahme, undatiert, Abzug Freundeskreis Ernst Fuhrmann; Silbergelatineabzug, 22,9 x 17,1 cm; Courtesy Sammlung Dr. Hans Schön

Ein Grund, dass der auf der Darmstädter Mathildenhöhe aufgewachsene Fotograf in Vergessenheit geraten konnte, ist wohl in seinem frühen Tod zu finden. Doch nun zeigt eine Einzelausstellung der Alfred Ehrhardt Stiftung – endlich – rund 100 Werke aus den 1920er und 1930er Jahren, die Fred Koch auf eine Stufe mit den Meistern der neusachlichen Fotografie stellen. Renger-Patzsch selbst brachte ihn mit der Fotografie in Berührung – dieser leitete nämlich das Bildarchiv des Darmstädter Folkwang-Verlags des Schriftstellers Ernst Fuhrmann. Koch wird 1928 Renger-Patzschs Nachfolger.

Bereits seit 2004 befasst sich die Alfred Ehrhardt Stiftung mit Kochs Werk – um jetzt seine Ergebnisse unter dem Titel „Fred Koch. Naturfotografie der 1920/30er Jahre“ zu präsentieren. Und diese Bilder sind teilweise phänomenal. Dabei fällt der Hang zur ästhetischen Überspitzung auf: Gerne verlässt Koch das Terrain neusachlicher Fotografie, um teilweise zu ganz überraschenden Makro-Bildern zu kommen: Er fotografiert in Untersicht, spielt mit der Lichtführung, dramatisiert das Gezeigte durch extreme Tiefenschärfen, Schatten und Lichtreflexionen. Diese Art der Inszenierung macht sein Werk zu einem markanten Kontrapunkt in der neusachlichen Pflanzenfotografie.

Vor allem auch seine Kristallfotografien, etwa die Nahaufnahme einer kugelförmigen Kristallformation, übertreffen in ihren ästhetischen Qualitäten und in der architektonischen Konstruktion die seiner Zeitgenossen deutlich. Doch auch insgesamt lässt sich sagen, dass Detailreichtum und Präzision bei Koch zu einer großen stilistischen Originalität führen, die in dieser Ausstellung nun erstmals deutlich wird. Koch folgt in seinem Denken über Pflanzen den etwas kruden „biosophischen“ Ideen Ernst Fuhrmanns, der diese als dämonische und sexualisierte Lebewesen interpretiert.

Kristall

© Fred Koch; Gips-Kristalle (Eisleben, vergrößert), vor Februar 1931; Silbergelatineabzug auf Barytpapier, 12,3 x 14,3 cm; bpk-Bildagentur

Und so kann man auch viele der Bilder Kochs deuten: als fotografische „Beweise“ einer wirklichen Lebendigkeit der Pflanzenwelt, die etwa der Schriftsteller Will Vesper 1931 so beschrieben hat: „Es ist, als sähe man zu, wie Pflanzen sich bewegen, sich formen, sich freuen, kämpfen, siegen, leiden und sterben, wie lebendige Wesen, die sie ja auch sind.“

Eine echte Neuentdeckung wird also in dieser von Stefanie Odenthal kuratierten Ausstellung präsentiert. Damals oft anonym publizierte Bilder eines Künstlers, der sich gegen Ende seines kurzen Lebens der Pressefotografie zuwenden wird, 1943 nach Berlin zieht, als Bildberichterstatter 1944 in Rumänien in Gefangenschaft gerät und 1947 nach Freilassung auf dem Rücktransport stirbt. Und so wurde Fred Koch zum großen Vergessenen der Sachfotografie der 1920er und 1930er Jahre.

Sein genuiner Beitrag liegt vor allem in der Überführung des Natürlichen in eine Sphäre des Theatralischen, was eine gewisse ästhetische Nähe zur NS-Fotografie nahelegen könnte. Sagen wir es so: Zumindest war diese Fotografie durchaus anschlussfähig an die NS-Ästhetik. So waren auch mehrere Arbeiten von Fred Koch im Jahr 1935 bei der Ausstellung „Wunder des Lebens“ zu sehen – eine demagogische Propaganda-Schau zur Rassentheorie der Nationalsozialisten, die in Berlin von Reichsinnenminister Wilhelm Frick eröffnet wurde.

Pflanze von oben

© Fred Koch; Crassulaceae Sempervivum tabulaeformis, undatiert, 1920er Jahre; Silbergelatineabzug auf Barytpapier, ca. 24 x 18 cm; Courtesy LVR-LandesMuseum Bonn, Fotografische Sammlung

Ist die Schönheit dieser Bilder davon unbenommen? „Wie herrlich kann selbst der kleine Kristall erscheinen, richtig beleuchtet und richtig vergrößert, der uns eine ganz neue Welt erschließt, nicht wissenschaftlich echt, denn so wunderbar sehen die Sachen in natura gar nicht aus; doch künstlerisch wundervoll“, so schwärmte etwa der österreichische Ingenieur Adolf Herz 1931 über die Fotografien von Koch. Es lohnt sich in jedem Fall, diese Ausstellung zu besuchen.

 

Informationen zur Ausstellung

„Fred Koch. Naturfotografie der 1920/30er Jahre“
Zeit: bis 24. April 2022; Di–So 11–18 Uhr
Adresse: Alfred Ehrhardt Stiftung, Auguststraße 75, 10117 Berlin

 

Informationen zum Ausstellungskatalog

„Fred Koch: Naturfotografie der 1920er/30er Jahre“
Sprache: Deutsch, Englisch
Einband: Gebunden
Seiten: 144
Maße: 21 x 28 cm
Verlag: Snoeck
Preis: 29,80 €

Dieser Text wurde zuerst im Magazin SCHWARZWEISS veröffentlicht.

Ähnliche Artikel