Zwei Männer beim Essen am Tisch
03. Februar 2022 Lesezeit: ~6 Minuten

Wer war die Familie Marubi?

Wie gelangte die Fotografie auf den Balkan? Einen jungen Italiener auf politischer Flucht verschlägt es 1856 nach Albanien, wo er die erste Fotografie des Landes aufnimmt und den Grundstein für die einhundertjährige Fotografendynastie von drei Generationen legt.

Pietro Marubbi wurde 1834 in Piacenza in Norditalien geboren. Als junger Mann war er in den politischen Auseinandersetzungen um die Einigungsbewegung des in Einzelstaaten zersplitterten Italiens unter dem Kaisertum Österreich als Anhänger von Giuseppe Garibaldi aktiv. Er floh aus seiner Heimat, als ihm vorgeworfen wurde, an der Ermordung des Bürgermeisters von Piacenza beteiligt gewesen zu sein.

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Es folgte eine Flucht mit mehreren Zwischenstationen unter anderem über Korfu, bis er sich 1856 schließlich in der nordalbanischen Stadt Shkodra niederließ. In den ersten Jahren dort betätigte er sich, schon unter dem ans Albanische angepassten Namen Pjetër Marubi, als Architekt, Maler und Bildhauer.

Möglicherweise fiel seine Wahl auf diese Stadt, da es dort bereits eine kleine italienische Gemeinschaft gab. Die lokale Wirtschaft florierte, Shkodra war dabei, ein wichtiges ökonomisches und kulturelles Zentrum zu werden. Schließlich fokussierte Pjetër Marubi sich auf eine seiner vielen Leidenschaften: die Fotografie.

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1858 nahm er die erste in Albanien gemachte Fotografie auf. Sie zeigt Hamze Kazazi, den Anführer der Autonomiebewegung (für die Unabhängigkeit Albaniens vom Osmanischen Reich), ein Jahr vor dessen Tod. Pjetër Marubi war zu diesem Zeitpunkt erst 24 Jahre alt.

Zu dieser Zeit gründete er auch das erste Fotostudio Albaniens in Shkodra und nannte es „Dritëshkronja Marubi“. „Dritëshkronja“ ist dabei die wörtliche Übertragung des griechischen Bedeutungsursprungs von „Fotografie“ ins Albanische: „mit Licht schreiben“. Pjetër Marubi konzentrierte sich darauf, wichtige politische Persönlichkeiten und Ereignisse fotografisch festzuhalten.

Seine Bilder dienten oft als Illustrationen der Berichterstattung über lokale Ereignisse Albaniens in der französischen, britischen und italienischen Presse. Daneben portraitierte er auch die Bevölkerung und hielt vom Schäfer bis zum Kriminellen unzählige Menschen in zumeist landestypischer Tracht fest.

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Drei Männer beim Musizieren

1885 begann der 15-Jährige Mikel Kodheli als Assistent im Fotostudio Marubi zu arbeiten. Er und sein älterer Bruder Mati waren die Söhne des Gärtners Rrok Kodheli von Pjetër Marubi. Zunächst wurde Mati zu einem Praktikum der Fotografie nach Triest geschickt, um anschließend im Studio Marubi zu arbeiten, doch er verstarb plötzlich im Alter von nur 19 Jahren.

So trat Mikel in die Fußstapfen seines Bruders und übernahm in zweiter Generation auch das Fotostudio. Es gibt widersprüchliche Angaben dazu, ob das kinderlose Ehepaar Maria und Pjetër Marubi Mikel adoptierte oder er den Namen nach dem Tod seines Lehrmeisters selbstständig übernahm. Statt das Fotostudio umzubenennen, führte er es unter dem Namen Kel Marubi weiter.

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Ganz ähnlich wie Pjetër Marubi fotografierte auch Kel Marubi vor allem politische Führungspersonen sowie jeden wichtigen historischen Anlass der Zeit in Albanien. Ebenso führte er die Dokumentation der albanischen Gesellschaft weiter und portraitierte den städtischen Alltag, Landschaften und unzählige Geschäftsleute in ihren Betrieben.

Kels vier Töchter halfen bei der Arbeit im Fotostudio und einem seiner beiden Söhne lehrte er das Retuschieren. Den anderen Sohn, Gegë Marubi, geboren im Jahr 1909, bildete er gezielt umfassend zum Fotografen und seinem Nachfolger aus. Dafür wurde er nach Lyon ans Institut Lumière der Brüder Lumière geschickt.

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Während die Marubi-Fotografen der ersten und zweiten Generation überwiegend auf Glasplatten fotografiert hatten, wechselte Gegë Marubi zu Aufnahmen auf Zelluloidfilm. Neben Portraits und der Dokumentation wichtiger Ereignisse fertigte er auch viele Landschaftsaufnahmen an, die – im Gegensatz zu den Arbeiten seiner Vorgänger – gänzlich ohne Menschen auskamen.

Im Zuge des Zweiten Weltkriegs erlangte 1944 Enver Hoxha, der Führer der kommunistischen Partei, die Macht in Albanien, nachdem das Land sich zuvor erfolgreich gegen die italienische und deutsche Besatzung zur Wehr gesetzt hatte. Unter der Diktatur der Partei der Arbeit Albaniens entstand die Sozialistische Volksrepublik Albanien.

Kind auf einem EselFriseurbesuch

Nachdem Gegë Marubis Arbeit als Fotograf während des Kriegs unmöglich geworden war, wurde das Fotostudio 1946 durch den Staat geschlossen – alle Fotograf*innen wurden im Kommunismus zur Arbeit in einer anonymen, gemeinsamen Kooperative gezwungen. So gab Gegë Marubi im Jahr 1952 schließlich seine Tätigkeit als Fotograf ganz auf.

Anschließend widmet er sich der Konservierung und Archivierung der fast 100 Jahre umfassenden fotografischen Sammlung der Marubi-Dynastie. Schweren Herzens muss er in den 1970er Jahren das gesamte Vermächtnis mit 150.000 Glas-Negativplatten dem albanischen Staat überlassen.

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Viele der Foto-Studenten des Fotostudio Marubi eröffneten wiederum ihre eigenen Fotostudios in und um Shkodra. Auch ihre Archive wurden verstaatlicht. Im gleichen Jahr wurde das Archiv „Fototeka Marubi“ eröffnet, dessen Sammlung aus mehr als 500.000 Negativen von 18 Fotografen aus und um Shkodra, besteht.

Gegë Marubi konnte seine Arbeit der Konservierung im Rahmen der Fototeka Marubi noch bis zu seinem Tod im Jahr 1984 fortsetzen und so den Erhalt der Hunderttausenden Fotografien, angefertigt in verschiedenen Techniken von Nasskollodium- über Gelatine-Trockenverfahren, Planfilme, Infrarotfotografie und Zelluloid-Rollfilme, sicherstellen.

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Wegen seiner künstlerischen, kulturhistorischen und wissenschaftlichen Bedeutung wurde die Fotosammlung 2003 zum nationalen Kulturerbe Albaniens erklärt. Da die Marubi-Fotografen über drei Generationen hinweg akribisch systematische Aufzeichnungen über ihre Fotografien und Auftraggeber führten, können diese noch heute etwa für die Ahnenforschung genutzt werden.

Im Online-Archiv der Sammlung, die inzwischen den Namen „Nationales Fotografiemuseum Marubi“ trägt, können bereits über 50.000 der Bilder eingesehen werden, etwa 10 % des Bestands. Die Digitalisierung des Archivs läuft weiter, außerdem finden mehrmals jährlich Sonderausstellungen statt.

Arbeiter in einer HallePortrait drei Männer in Uniform

Quellen und weiterführende Literatur

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