04. Oktober 2021 Lesezeit: ~4 Minuten

ORDER 7161 – Deportation von Rumäniendeutschen

„Kommen Sie doch vorbei und klopfen an mein Küchenfenster. Wenn mir Ihr Gesicht gefällt, lasse ich Sie vielleicht rein“. Dies war die etwas kecke Entgegnung, die ich von Ada Teutsch erhielt, als ich sie aus heiterem Himmel im Januar 2012 anrief, in der Hoffnung darauf, bei ihr in Kronstadt/Brașov (Rumänien) vorbeischauen zu dürfen.

Ein paar Stunden später klopfte ich sacht ans Fenster ihrer Erdgeschosswohnung; eine zierliche, kleinwüchsige Dame erschien hinter der Scheibe, musterte mich, bis sie ein leicht verschmitztes Lächeln aufsetzte und wieder aus dem Blickfeld verschwand. Ein paar Minuten später öffnete sich knarzend die Haustür.

Frauenportrait in schwarzweiß

Ich verbrachte die nächsten drei Nachmittage mit Ada in ihrer Küche, wo sie mir ihre Lebensgeschichte erzählte: Ihre sorglose Jugend und eine Zeit des glücklichen Lebens im Familienbund, die im Januar 1945 ein brutales Ende fand, als sie zusammen mit anderen Volksdeutschen in Viehwaggons verladen und in die Sowjetunion verschleppt wurde.

Viele ihrer Landsleute überlebten die ersten Monate im Lager nicht; sie starben meist an Erschöpfung durch die harten Arbeitsbedingungen bei Eiseskälte und Mangelernährung. Bis ins hohe Alter löste der bloße Anblick von Schnee Erinnerungen an den Winter 1945 aus, die Ada vor Angst lähmten und es ihr schwer machten, das Haus zu verlassen.

Landschaftsaufnahme

Während Ada ihre Geschichte erzählte, hörte ich ihr zu, nahm ihre Stimme auf Band auf und fotografierte sie, in dem Versuch, nicht nur ihre emotionale Reise in die Vergangenheit in Bildern und Worten festzuhalten, sondern auch ein Zeugnis unserer Begegnung zu schaffen. Ada war die erste von insgesamt 40 ehemaligen Deportierten, die ich in den folgenden drei Jahre treffen sollte.

Es war reiner Zufall, dass ich, ein Jahr bevor ich Ada traf, von der Deportation erfahren hatte. 2010 war ich nach Rumänien gereist, um die deutschsprachigen Gemeinden in Siebenbürgen zu erkunden, deren Vorfahr*innen aus dem Raum Luxemburg, meinem Heimatland, kamen.

Alte Fotos aus dem Archiv

Und es war während dieser Erkundungsreise, dass ich zum ersten Mal von der Deportation von Rumäniendeutschen erfuhr. Es überraschte mich, noch nie von diesem Schicksalsschlag gehört zu haben; umso mehr, als dass viele, meist jüngere Rumänen*innen sich dieses Kapitels der Vergangenheit ihres Landes nicht bewusst waren.

Die Deportation war bereits wissenschaftlich erforscht und in literarischen und filmischen Werken thematisiert worden, doch existierte zu diesem Zeitpunkt noch keine umfassende fotografische Arbeit zum Thema. Die Überlebenden zu treffen und zu fotografieren war eine „letzte Chance“ – die meisten der Betroffenen sind mittlerweile verstorben – die es mir ermöglichte, die Erinnerung einer Generation aus erster Hand zu dokumentieren und die Emotionen, die durch diese Erinnerungsvorgänge hervorgerufen werden, anhand von Portraits darzustellen.

Frau sitzt auf einem Bett mit Kreuz an der Wand

Was ich anfangs als offene und unbefangene Gespräche wahrnahm, die in erster Linie dazu dienten, Erinnerungen und Emotionen an vergangene Erlebnisse hervorzubringen, entwickelte sich schnell zu einem Oral-History-Projekt, das allmählich das kulturelle Gedächtnis der Deportierten, ihre Identität als Minderheit, wie auch tiefe Überzeugungen innerhalb ihrer Gemeinschaft offenbarte.

Insofern es Diskrepanzen zwischen den historischen Tatsachen und den Erinnerungen gab, entdeckte ich, „wie gewöhnliche Menschen, die in historische Schlüsselereignisse hineingeraten, ihrem Erlebten einen Sinn geben“. (A. Portelli) Dies war eines der Themen, die ich zur gleichen Zeit erforschte, als ich meine persönlichen Begegnungen mit den ehemaligen Deportierten fotografisch dokumentierte.

Buch

„ORDER 7161“ erzählt die Geschichte der Deportation durch eine Zusammenführung von Zeitzeug*innenportraits, Archiv- und Kontextbildern und gewährt mittels einer wichtigen Auswahl von aufgezeichneten Zeitzeug*innenberichten einen Einblick in die Erinnerungsprozesse 40 Überlebender.

Das Projekt könnt Ihr noch knapp zwei Wochen lang über ein Crowdfunding bei Kickstarter unterstützen und Euch das Buch sichern. Nach erfolgreicher Kampagne wird das Buch voraussichtlich Ende November bis Anfang Dezember beim Verlag The Eriskay Connection erscheinen.

8 Kommentare

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  1. Lieber Marc Schroeder,

    danke für dieses Projekt. Ich „kenne“ dieses Stück der Geschichte, allerdings nur am Rande, ebenfalls aus Erzählungen, während einer Reise ins Rumänien der 1970er Jahre. Der Satz:

    „Ihre sorglose Jugend und eine Zeit des glücklichen Lebens im Familienbund, die im Januar 1945 ein brutales Ende fand, als sie zusammen mit anderen Volksdeutschen in Viehwaggons verladen und in die Sowjetunion verschleppt wurde.“

    wirft bei mir eine Frage auf. Wer waren die „anderen Volksdeutschen“ in den Viehwaggons? Sind da Deutsche aus „Reichsdeutschland“ (wäre interessant aus welchen Bevölkerungsgruppen), oder andere Teile der Bevölkerung in Rumänien gemeint, also rumänische Staatsangehörige deutscher Herkunft (wie etwa die Banater Schwaben)?

    Gerade bei mündlicher Überlieferungen, halte ich es für besonders wichtig, genauestens zu protokollieren, daher meine Frage. Damit da nichts verwechselt wird. Ich weiss von Siebenbürger Sachsen, die sich in erster Linie als Teil der (Zitat) „multikulturellen Gesellschaft“ in Rumänien (Rumänen, Ungarn, Migranten aus Deutschland, Armenien, Sinti, Roma, und anderen Minderheiten) verstanden, in zweiter Stelle als „Deutsche“, an keiner Stelle aber als „Volksdeutsche“.

    Viele Grüße und viel Erfolg!

    Armin

    • Lieber Armin,
      Danke für Ihre Nachricht. Stalins Befehl bezog sich auf alle Deutsche – unabhängig ihrer Staatsbürgerscgaft – die auf dem von der Roten Armee „befreiten“ Gebiet Rumäniens (u. benachbarten Ländern) lebten. Im Falle von RO, gehörten die meisten dieser „Deutschen“ zu der „deutschen Minderheit“ (Banater Schwaben, Siebenbürger Sachsen, Bukowina Deutsche usw).

      • Lieber Marc Schroeder,

        vielen Dank für die Antwort. Demnach war es also Stalin der in seinem Befehl den Begriff der „Volksdeutschen“ benutzt? Ich „fremdele“ trotzdem mit dem Begriff und werde ihn weiterhin nicht verwenden – schon gar nicht in gegenwärtigen Zeiten. Da kann der Begriff noch so „feststehend“ sein (wie Georg Schuh es in seiner Antwort nennt) – er ist und bleibt undifferenziert.

        Guten Tag und alles Gute für das hier vorgestellte Projekt!

        Armin

    • Volksdeutsche ist schlicht ein feststehender Begriff, der ethnische Deutsche im Osten Europas bezeichnet, die unter den verschiedensten Staatsangehörigkeiten dort lebten und meist zu einer Zeit dorthin auswanderten, als es noch kein Deutschland als Staat gab.

      • Lieber Georg Schuh,

        zu der Zeit, „als es noch kein Deutschland als Staat gab“, gab es meines Wissens auch keine „Volksdeutschen“. Ich schließe dabei meinen Irrtum als Möglichkeit ein. Dennoch, ich möchte den Begriff „Volksdeutsche“ differenziert betrachten, wie es ja nun auch der Autor in der Antwort oben tut, zumindest für Rumänien. Deshalb „rüttele“ ich an diesem „feststehenden Begriff“, da ich mit Volkstümelei nichts anfangen kann. Zur Sicherheit werde ich noch mal bei Wikipedia gucken. Vielleicht muss ich dann revidieren.

        Eine gute Woche!

        Armin

      • Nachtrag: Meine (nicht erschöpfende) Recherche findet den Begriff „Volksdeutsche“, wie zu erwarten war, nicht vor dem 20. Jhdt – „ironischerweise“ um 1933 in Luxemburg. Und natürlich in Deutschland. Bis 1945. Deshalb verwende ich ihn nicht.
        Grüße nochmal!

        Armin

      • Lieber Armin,
        sorry gerade erst gelesen „zu der Zeit, „als es noch kein Deutschland als Staat gab“, gab es meines Wissens auch keine „Volksdeutschen“. Ich schließe dabei meinen Irrtum als Möglichkeit ein.“ Das habe ich ja auch nicht geschrieben! Im Gegenteil, zu der Zeit als die Menschen dorthin auswanderten, gab es Deutschland als Staat noch nicht und die deutschsprachigen Menschen bezeichneten sich nach dem Gebiet in dem sie lebten als Schwaben, Sachsen, Franken, Bayern usw. deren Herrscher sich auch gerne gegenseitig bekriegten. Es gab damals noch keine nationales Bewusstsein der Deutschen, das entstand erst im Laufe der Napoleonischen Kriege. Der Begriff Volksdeutsche wurde eben wie ich geschrieben habe, wertfrei so definiert und von Stalin in dem Sinne verwendet. Ich kann mit Volks- und Identitätstümelei jeglichen Couleurs auch absolut nichts anfangen, diese dienen nur zur Festigung von Machtstrukturen einer Minderheit – divide et impera. In diesem Sinne ein nachdenkliches WE

  2. Hab mir das Buch gerade bestellt.

    Meine Urgroßeltern haben die russische Gefangenschaft auch überlebt. Leider sind sie mittlerweile schon tot. Ich bin selber aus Rumänien und kenne die Geschichten von meinen Großeltern. Mein Opa wurde mit 11 Jahren zum Familienoberhaupt von 5 Geschwistern, als sie seine Mutter verschleppt haben. Als sie zurück kam, erinnerten sich seine Geschwister nicht mehr an sie.

    Ich bin sehr gespannt auf das Buch. Vor allem auch auf die Reaktion meine Großmutter darauf.
    Danke für die Arbeit!!!!