Rezension: Die Pflanzenbilder des »I. H.«
Dr. phil. II Christiane Jacquat ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Pflanzen- und Mikrobiologie der Universität Zürich. Im daran angeschlossenen Botanischen Museum ist sie außerdem Kuratorin, sodass ihr eines Tages in der mehrere Tausend Glasdiapositive umfassenden Sammlung fünf besondere Kästen auffielen.
In diesen befinden sich 208 nummerierte und mit lateinischen sowie deutschen Pflanzennamen beschriftete Glasdiapositive der Größe 8,5 x 8,5 bzw. 8,5 x 10 cm, die herausragend realistisch kolorierte Pilze, Moose und Farne in ihrer natürlichen Umgebung zeigen. Signiert sind die Glasplatten gar nicht oder nur mit den Initialen „I.H.“ – die Spurensuche beginnt.
Diese Suche nach dem oder der Urheber*in der Bilder führt die Autorin mit zuerst nur wenigen Hinweisen am Ende durch fünf Länder, zahlreiche Städte sowie deren Archive, Behörden, Hochschulen und andere Institutionen bis hin zu Antiquitätenhändlern und Trödlern. Am Ende lassen sich zumindest die Eckpfeiler eines Lebens rekonstruieren:
Josef Hanel, Fotograf und Dekorationsmaler, lebte von 1865 bis 1940 an verschiedenen Orten in der Nähe von München, in Wien sowie bei Neustadt (heute Prudnik). Nachdem er als (Dekorations-)Maler und Fotograf gearbeitet hatte, spezialisierte er sich zunächst auf Pilze und ihre zur korrekten Bestimmung exakte fotografische Abbildung.
Später macht er sich mit seinen kolorierten Fotografien selbstständig und erweiterte sein fotografisches Repertoire auch auf Flechten, Moose, Pflanzenkrankheiten und Blütenpflanzen. Seine handkolorierten Fotografien verkaufte er an Pilzsammlervereine, als Lehrmittel oder Illustrationen für Fachbücher und Ratgeber.
Dieser, soweit es die wenigen Quellen erlauben, ausführlich nachgezeichnete Lebenslauf lässt sich im vorliegenden Band nachlesen. Neben einem Vorwort und einem spannenden Abriss über den Verlauf der Spurensuche – „Das Rätsel »I.H.«“ – bereichern fünf weitere kurze Texte die Zusammenstellung.
Diese gehen etwas näher auf den fotografisch-historischen Kontext ein, in dem Josef Hanel sich seinerzeit als Künstler, Fotohandwerker und Wissenschaftler bewegte und kommentieren Besonderheiten seiner verwendeten Foto- und Kolorationstechnik. Sie bieten zahlreiche Ansätze und Hinweise zum Weiterrecherchieren und Nachlesen – eine wahre Fundgrube zur Fotografie am Beginn des 20. Jahrhunderts.
Den größten Teil des Bildbandes machen natürlich die Abbildungen aus. Diese finden sich auf knapp 160 Seiten sortiert nach Pflanzenarten mit je einer kurzen biologischen Beschreibung der Kategorie und teilweise unterteilt in weitere Unterarten. Die Größe der Abbildungen reicht von etwa der Originalgröße der Glasdiapositive bis zu ganz- oder im Fall der wenigen Landschaftsaufnahmen sogar doppelseitiger Präsentation.
Zu jeder Abbildung sind Angaben zu Klassifizierung sowie deutschem und lateinischem Namen der abgebildeten Pflanze aufgelistet. Hinterm Abbildungsteil findet sich außerdem eine Pflanzenliste, in der sich Klassifizierung, Namen der Pflanze sowie detaillierte Angaben zu Beschriftung und Format des dazugehörigen Glasdiapositivs anhand der Seitenzahl nachschlagen lassen.
Besonders auf den großen Abbildungen – mit Vergleich zur Originalgröße der Glasdiapositive von nur 8,5 cm Breite – lässt sich nachvollziehen, warum die Kolorierungsarbeit von Josef Hanel so herausragend ist: Bis auf wenige Ausnahmen sind die Farben nicht nur perfekt realistisch gewählt als auch fehlerfrei aufgetragen.
Obwohl man weiß, dass es sich um kolorierte Abbildungen handelt, könnte man bei vielen Abbildungen dennoch schwören, dass es doch Farbfotografien sein müssen. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man sich klar macht, wie der Arbeitsablauf der Kolorierung von Josef Hanel ausgesehen haben muss.
Er konnte nicht vor Ort Farben mischen, abgleichen und auftragen, also gegen tatsächlich vorhandene Farben wie ein Freiluftmaler „colour matching“ betreiben. Vielmehr musste er nach der Entwicklung und dem Umkopieren des Negativs zu einem Diapositiv im Studio nachträglich – möglicherweise Tage später – die Farb- und Lichtstimmung aus dem Gedächtnis und ohne Vergleichsmaterial rekonstruieren.
Die „Die Pflanzenbilder des »I. H.«“ hat mit einer Größe von 23 x 30 cm ein noch handliches Format, das den teilweise großformatigen Abbildungen den angemessenen Platz bietet, um in all ihren Details wirken zu können. Unterstützt wird dies durch ein durchdachtes Layout mit diversen informativen Abbildungen, liebevollen Details, stabil-wertigem Einband und mattem Papier, auf dem Josef Hanels kolorierte Arbeiten wunderbar zur Geltung kommen.
Der Dankbarkeit für Hilfe bei der Informationssuche auch in Polen und der Tschechischen Republik wird mit Übersetzungen der Biografie Josef Hanels ins Polnische und Tschechische Rechnung getragen. Neben der Standardausgabe für 49 € ist auch eine Vorzugsausgabe erhältlich, die zum Preis von 79 € zudem die Kopie eines Originalglasdiapositivs enthält.
Natürlich ein Buch für alle, die sich für Botanik interessieren. Doch auch fotohistorisch Interessierte, die keine Hobby-Mykolog*innen sind, finden in diesem Bildband einen einmaligen Einblick in die (Natur-)Fotografie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der zum immer wieder drin Blättern und Weiterlesen einlädt.
Informationen zum Buch
„Die Pflanzenbilder des »I. H.«“ von Christiane Jacquat
Sprache: Deutsch (mit Biografie auf Tschechisch und Polnisch)
Einband: Gebunden
Seiten: 228 Seiten
Maße: 23 x 30 cm
Verlag: AT Verlag
Preis: 49 €