27. Mai 2021 Lesezeit: ~4 Minuten

Another Time, Another Place

Noch immer erzählt meine Mutter gern die Geschichte, wie ich bereits im zarten Alter von sechs Jahren 18 km durch das Sauerland lief. Tageswanderungen standen jeden Sonntag auf dem Familienprogramm. Wenn wir in den Sommerferien in die Berge fuhren, liebte ich es, zu Almen und Hütten aufzusteigen und mir per Stempelabdruck einen Vermerk im Tourenbüchlein zu sichern. Am Ende des Urlaubs lockte ein Wanderabzeichen in Bronze, Silber oder gar Gold.

Die Reisen in die Alpen wechselten sich mit Fahrten nach Dänemark ab. In einem Jahr eine Ferienwohnung in einem engen Hochgebirgstal, im nächsten ein Häuschen in Strandnähe. Dort gefiel mir der weite Blick bis zum Horizont, aber Sand zwischen den Zehen mochte ich nie. Und Schwimmen kann ich bis heute nicht.

Bergsee mit Zelt

Berge

Als das Ende der zehnten Klasse näher rückte, wollte ich mehr erleben, als mir der Familienbund bis dahin möglich gemacht hatte. Ich heckte den kühnen Plan aus, tagelang allein in den Allgäuer Alpen über Klettersteige turnen zu wollen. Doch ein Verbot meiner Eltern erstickte meine Ambitionen im Keim. Vielleicht war es gut so.

Nicht, weil ich drauf und dran war, mich in ungeahnte Gefahr zu begeben, sondern weil ich dadurch zu einem anderen Ziel gezwungen wurde, das mich im Laufe meines weiteren Lebens nicht mehr loslassen sollte. Anstelle exponierten Felsgeländes in den nahen Alpen kam mir die Idee, dann einfach in die weitläufige Wildnis Nordschwedens aufzubrechen. Die kannte ich zwar noch nicht, aber ich hatte davon gelesen, Bilder gesehen und Geschichten gehört. Es schien mir wie die Verschmelzung Dänemarks mit einem Hochgebirge zu sein.

Wanderer vor einem Bergsee

Meer mit Lichtstrahl

Zur meiner großen Überraschung willigten meine Eltern ein und ich machte mich im August 1991 im Alter von 17 Jahren auf den Weg. Ich brach zum ersten Mal in nordische Einsamkeit auf, verliebte mich auf der Stelle unsterblich und war fortan verloren an die raue Kargheit und Schönheit dieser Landschaften. Zunehmend lockten mich die Extreme. Meine Erfahrung wuchs und einhergehend der Wunsch, die eigenen Grenzen auszuloten.

Als meine Schulfreunde fürs Abitur büffelten, lief ich im Winter solo durch den Nationalpark Sarek. Statt regelmäßig die Universität zu besuchen, marschierte ich über den 800 km langen Nordkalottleden. Wochenlange Wintertouren führten mich in menschenleere Gebiete, ausgedehnte Gletscherwanderungen über endlose Eisfelder Norwegens und Islands. Den Höhepunkt meines Abenteurertums erreichte ich schließlich mit zwei Expeditionen über das grönländische Inlandeis.

Hütte im Schnee

Dann kamen die Krampfanfälle. Im Frühjahr 2012 rissen sie mich zweimal aus heiterem Himmel zu Boden und die Diagnose Epilepsie wurde gestellt. Mein Wandererleben geriet für einen Moment aus den Fugen. Dieser Einschnitt allerdings wurde rasch zu einem Grundstein meines weiteren Werdegangs. Ich träumte noch einmal alles neu, brach auf zu den wundervollen Orten, die mir von Anbeginn so viel bedeuteten und spürte gleichzeitig Neuland auf, das ich seit jeher einmal erkunden und erleben wollte.

Auch heute verdichten sich alle Unwägbarkeiten des Lebens in wilder Natur. Nach wie vor spüre ich den Drang, einen Fuß vor den anderen zu setzen, Grenzen zu erforschen und tief einzutauchen in eine Welt voller Geheimnisse. Es ist mein größtes Glück, immer wieder aufbrechen zu können. An immer neue Orte.

Wald

Blick auf ein Gewässer durch Wald

Einige Impressionen meiner letzten Reisen kann man ab sofort in meinem neuen Fotobuch „Another Time, Another Place“ entdecken. Darin geht es nach Norwegen, Island, Schottland, Neufundland, Patagonien, die Färöer-Inseln und Schweden. Neben den Bildern bereichern Texte und Gedanken die Erlebnisse jeder Reise. Intime Momente voller Liebe und Melancholie.

Informationen zum Buch

„Another Time, Another Place“ von Martin Hülle
Sprache: Deutsch
Einband: Hardcover
Seiten: 192 Seiten
Maße: 28 × 24,5 cm
Verlag: Eigenverlag
Preis: 49 €

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