10. Mai 2021 Lesezeit: ~8 Minuten

Until you change – Konversionstherapien in Ecuador

In Ecuador gibt es etwa 200 Kliniken, in denen Konversionstherapien durchgeführt werden. Die als Entzugskliniken getarnten Einrichtungen werden von der Kirche unterstützt. Schwule und Lesben, die in den Kliniken von ihrer Homosexualität geheilt werden sollen, werden dort teils über Jahre hinweg psychisch und physisch gefoltert, erniedrigt und vergewaltigt. Obwohl Homosexualität in Ecuador legal ist, wird wenig gegen diese Einrichtungen unternommen.

Die ecuadorianische Fotografin Paola Paredes hat im Sommer 2016 eine Fotoserie mit dem Titel „Until you change“ aufgenommen, in der sie versucht, das Leid, das homosexuellen Männern und Frauen in diesen Einrichtungen angetan wird, sichtbar zu machen. 2018 durfte ich Paredes in Quito kennenlernen, das Interview habe ich im April 2021 via Zoom durchgeführt.

Vor ein paar Tagen wurde Deine neueste Arbeit „Today is hard“ auf Hundredheroines.org veröffentlich. Diese Serie dreht sich um Deine Covid-19-Erkrankung im Sommer 2020. Wie geht es Dir heute?

Im Sommer ging es mir drei Wochen ziemlich schlecht, inzwischen geht es mir wieder gut. Die Situation in Ecuador ist aber nach wie vor sehr schwierig. Viele Menschen sterben, mit dem Impfen geht es nicht voran, das medizinische System ist völlig überlastet.

Drei Stühle mit Bibeln und Kreuzen an der Wand

Frau in einem Bett

Auf die Arbeiten, die dabei entstanden sind, hat kwerfeldein in einer browserfruits-Ausgabe hingewiesen. Ich würde mit Dir gern über eine Arbeit sprechen, die schon ein paar Jahre zurückliegt, jedoch nichts an Aktualität verloren hat: „Until you change“.

In diesem Projekt beschäftige ich mich mit Konversionstherapien. Diese sind in Ecuador zwar verboten, werden aber in sogenannten Suchtkliniken durchgeführt. Lesben und Schwule werden meist von ihren strenggläubigen, konservativen Eltern in diese Kliniken gebracht und dort so lange eingesperrt, bis sie als geheilt, also als heterosexuell gelten.

Wieso dieses Thema?

Während ich an meinem Master arbeitete, hörte ich von den Kliniken. Ich war geschockt, schob das Thema aber erst einmal zur Seite, um mich später damit zu beschäftigen. Mit dem Projekt „Unveiled“, in dem es um mein Coming-Out vor meiner Familie ging, entwickelte ich meine eigene fotografische Sprache. Nach Abschluss des Projekts hatte ich das Gefühl, nun auch für eine Serie über Konversionstherapien bereit zu sein.

Wie bist Du dabei vorgegangen? Wie ist es Dir gelungen, Einblick in diese Kliniken zu bekommen?

Ich habe mit drei Personen gesprochen. Es war ziemlich schwierig, Überlebende zu finden, die darüber reden wollten. Meine erste Gesprächspartnerin lernte ich über einen Freund kennen. Über einen Zeitraum von sechs Monaten haben wir immer wieder miteinander telefoniert. Die Gespräche sind im Laufe der Zeit sehr tief geworden, sie hat mir sehr viele Details erzählt. Über eine Hilfsorganisation lernte ich zwei Frauen kennen, die die Geschichten bestätigen konnten.

Drei Frauen sitzen geschmink an einem Esstisch

Tabletten und ein Glas Wasser

Wie bist Du dann weiter vorgegangen?

Die Berge an Material, die ich angesammelt hatte, schrieb ich auf 15 Seiten zusammen. Anschließend begann ich mit der visuellen Recherche. Ich markierte im Skript die Szenen, die ich darstellen wollte und überlegte, wie es ich machen könnte. Nach einem ersten Testlauf im Studio wurde mir klar, dass ich sehr viel tiefer gehen musste. Ich konnte die Handlungen nicht einfach faken, ich musste sie fühlen. Das war der Punkt, an dem ich anfing, an mir selbst als Schauspielerin zu arbeiten.

Wie hast Du das gemacht?

Ich hatte schon ein bisschen Schauspielerfahrung, allerdings in lustigen Stücken. Hier ging es um Drama. Ich las sehr viel, unter anderen die Bücher des russischen Schauspiellehrers Konstantin Stanislawski. Er hat darüber geschrieben, wie man als Schauspieler Zugang zu den Emotionen bekommt, die man darstellen möchte.

Wo sind die Bilder entstanden?

Die Bilder wurden an sieben verschiedenen Orten aufgenommen. Bei der Suche nach den Aufnahmeorten habe ich mich von den Erzählungen der Frau, die ich interviewt hatte, inspirieren lassen. Ich bin außerdem zu der Klinik gefahren, in der die Frau untergebracht war, und habe mir mit einem Fake-Namen und einer erfundenen Geschichte Zugang verschafft. Ich musste es mit meinen eigenen Augen sehen, um ein Gefühl dafür zu bekommen.

Anschließend machte ich mich auf die Suche nach ähnlichen Orten. Gefunden habe ich verschiedene verlassene Gebäude wie ein Altenheim, ein Krankenhaus, ein Gefängnis, ein Hotel und Kolonialhäuser. Alle waren ziemlich heruntergekommen und zwielichtig.

Gummihandschuhe und Seil an einer gekachelten Wand

Frau wischt den Boden

Du warst Modell und Fotografin zugleich?

Mir wurde schnell klar, dass ich nicht gleichzeitig spielen, die anderen Schauspieler anleiten und fotografieren kann. Ich engagierte deshalb einen Theaterregisseur, der uns in den Szenen unterstützte. Bei „Until you change“ gingen wir vor, wie wenn wir einen Film drehen würden.

Hast Du ein Beispiel?

Meine Gesprächspartnerin hatte mit von einer Situation erzählt, die ich umsetzten würde. Ihr Arm wurde in die Toilette gedrückt, weil sie nicht sauber genug geputzt hatte. Als ich die Szene anfangs spielte, sah es nicht echt aus. Der Regisseur hat uns dann körperlich und psychisch auf die Situation vorbereitet. Erst als wir wirklich dazu bereit waren, haben wir die Szene aufgenommen. Gleichzeitig musste ich mich um die Bildkomposition kümmern, die Kamera einrichten.

Warum hast Du nicht ganz auf Schauspielerinnen gesetzt?

Es wäre mir zu unpersönlich gewesen. Schauspieler habe ich für die anderen Rollen genommen. Den Therapeuten, den Wächter. Die Hauptfigur wollte ich aber selbst darstellen.

Mann foltert Frau und hält ihren Arm in eine Toilette

Frau mit Seil gefesselt

Wie war es für Dich, beide Rollen inne zu haben: Die der Darstellerin und die er Fotografin?

Es war ziemlich verrückt. Es dauerte 21 Tage, bis wir mit den Bildern durch waren. Ich war richtig besessen. Ich wachte mitten in der Nacht auf, panisch versuchte ich mich zu erinnern, ob ich bei den Vorbereitungen und in der Umsetzung auch nichts vergessen hatte.

Ich musste mich unglaublich konzentrieren. Ich war diejenige, die das Bild komponierte, ich musste die Schauspielerinnen anweisen und diejenigen dirigieren, die die Kameras bedienten und sich um das Licht kümmerten. Dann musste ich auch noch die Dinge umsetzen, die mir der Regisseur sagte.

Es hat nur funktioniert, weil wir ein sehr gutes Team waren – der Theatermann, die Kameraassistenten und ich. Ich war mir sicher, dass sie verstanden, was ich mit den Bildern sagen wollte und dass sie in der Lage waren, meinen Briefings umzusetzen.

Wie waren die Reaktionen auf Deine Serie?

Für „Until you change“ bekam ich überwiegend positives Feedback. Natürlich gab es auch Kreise, in den es kontroverser diskutiert wurde. Von meinen bisherigen Projekten ist es mit Abstand das mit dem größten öffentlichen Erfolg, zumindest hinsichtlich Ausstellungen und Publikationen. Ich wurde sogar ins Gesundheitsministerium eingeladen, um über meine Recherchen zu sprechen.

Besonders auf Facebook wurde ich heftig attackiert. Ich bekam zwar keine Todesdrohungen, aber ziemlich ernste Drohungen. Ecuador ist immer noch ein sehr konservatives, homophobes Land. Wenn mein Projekt dazu beiträgt, dem Thema Aufmerksamkeit zu verschaffen, dann ist das mehr, als ich erwarten konnte.

Frau leert einen Eimer Wasser auf Fließen aus

Person in einer Badewanne

Viele Deiner Bilder sind Selbstportraits, Du machst Dich damit noch angreifbarer. Gibt es einen Fotografen oder eine Fotografin, die Dich dazu inspiriert hat?

Nan Goldin. Ich bin sehr fasziniert von ihrer Idee, die Kamera umzudrehen. Sie hat das in einer sehr rauen, intimen, kraftvollen Art gemacht.

Wirst Du auch bei Deinen zukünftigen Projekten als Protagonistin im Mittelpunkt stehen?

Nein, bei meinem nächsten Projekt, das im Sommer veröffentlicht werden wird, stehe ich nur hinter der Kamera. Das ist nach meinen bisherigen Projekten dann auch eine echte Erleichterung und völlig neue Erfahrung.

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